Der Diktator will nicht lieben lassen

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Beate Ulbrichts Lebensgeschichte war traurig. Wie traurig, das zeigt Ines Geipel in ihrem Doku-Roman „Tochter des Diktators“. Und das Ende war brutal. 1991 wurde sie in ihrer Wohnung tot aufgefunden – erschlagen.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Sie wurde 1944 in Leipzig als Tochter einer aus der Ukraine zur Zwangsarbeit verbannten Frau geboren und erhielt den Namen Maria Pestunowa. Nachdem Walter Ulbricht, von 1949 bis 1971 SED-Chef in der DDR, und seine Frau Lotte, 1946 das Mädchen adoptierten, wurde aus ihr Beate Ulbricht. Das war ein schweres Schicksal. Nicht nur weil Beate die „Tochter des Diktators“ war, beneidet, gemieden, gemobbt in der Schule, sondern auch weil sie später Alkoholikerin wurde, unglücklich war und 1991 in ihrer Wohnung tot aufgefunden wurde. Da war sie 47 Jahre alt.

Beate Matteoli, wie sie zuletzt hieß, war erschlagen worden, es ist nie aufgeklärt worden, wie ihr Tod zustande kam. Man weiß nur, dass sie zeitlebens Schlimmes zu ertragen hatte, weil sie verfemt wurde. Für ihren Vater und dessen Genossen hatte sie nämlich eine falsche Liebeswahl getroffen.

Geschichte der Unmenschlichkeit

Ines Geipel, 57, ist eine fleißige Autorin. So wie die Dresdnerin eine fleißige Sportlerin war, die als Leichtathletin der DDR-Nationalmannschaft zu den schnellsten Sprinterinnen weltweit gehörte und für den SED-Staat die so beliebten Goldmedaillen einsammelte. Nach dem Mauerfall gab sie alle Medaillen zurück, weil sie – wie viele DDR-Olympioniken – gedopt war.

Das Thema Doping, vom Regime den Sportlern aufgezwungen, sowie den Körperterror in den Leistungssportzentren hat Geipel in mehreren Büchern beeindruckend aufgearbeitet.

Die Figuren ihres Doku-Romans sind authentische zeitgenössische Personen, die Familiengeschichte geht aber weit hinaus über die realsozialistischen Lebensumstände im Land der Funktionäre, die sich anmaßten, einzig und allein das Sagen im Staat zu haben und auch über die Entwicklung von Menschen zu entscheiden. Es ist eine verstörende Geschichte, die nicht chronologisch, sondern raffiniert aufgefächert erzählt wird. Eine gleichnishafte Geschichte für Unmenschlichkeit.

Die erste Staatstochter

Sie beginnt mit der Italienerin Anni Paoli, die in Cigoli lebt, zwischen Pisa und Florenz. Anni ist die Erzählerin und ihre Figuren sind Bea und Ivano Matteoli in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bea ist „die Tochter des Berliner Mauerbauers Walter Ulbricht, das erste ostdeutsche Staatskind also“, heißt es. Der Vater verfügte, dass sie ihr Abitur in der Sowjetunion machen sollte, danach studierte sie in Leningrad.

Als sie sich 1962 in den Kommilitonen Ivano Matteoli verliebte, einen glühenden italienischen Kommunisten, war das den Eltern ganz und gar nicht recht. Bea/Beate wurde massiv bedrängt, auch über den Tod Ulbrichts hinaus. Dem Paar war es nicht möglich, ein normales Leben zu führen.

Es gibt ein Foto von Walter und Lotte Ulbricht, auf dem sie auf einer Gartenschaukel sitzen, zwischen sich die junge „Staatstochter“. Die kleine Familie sieht fröhlich aus auf dem Foto, aber zum Zeitpunkt der Aufnahme gab es wohl schon Krieg zwischen den Generationen.

Zur Scheidung gezwungen

Der Mann, für den Beate in Liebe entbrannte, war der Sohn eines kommunistischen Schusters, in Cigoli verdächtigt, an einem Bombenanschlag beteiligt gewesen zu sein. Als Ulbricht vom Eheplan hört, lehnt er das zunächst ab, erlaubt es dann. Beate muss ihr Studium in Leningrad aufgeben und nach Ost-Berlin zurückkehren, wegen ihrer Aufsässigkeit wird sie als Arbeiterin in die Produktion geschickt.

Ehemann Ivano wird genötigt, in Ost-Berlin zu leben und systematisch überwacht. Die oberste Staatsführung drängt beide schließlich zur Scheidung, sie werden ihr ganzes Leben darunter leiden. Ivano stirbt auf ungeklärte Weise in Rom, Beate versucht sich als Malerin, erfolglos. „In der Kälte schien alles zu zerbröckeln“, schreibt Ines Geipel.

Ines Geipel: „Tochter des Diktators.“ Klett-Cotta, Stuttgart, 198 S., 20 Euro

Zum Autor

Roland Mischke wurde als Kind vertriebener Schlesier in Chemnitz geboren. Er studierte Evangelische Theologie und Germanistik in Berlin, volontierte bei der FAZ und arbeitete danach zwölf Jahre vor allem im Feuilleton dieser Zeitung. Danach gründete er mit Partnern einen Buchverlag und war nebenher als freier Journalist für Zeitungen und Zeitschriften im gesamten deutschsprachigen Raum tätig.

Sein Themenspektrum erstreckt sich von aktuellen Kulturberichten – vor allem aus Berlin – über Kommentare zum Kulturbetrieb bis zu Lifestyle-Berichten und Geschichten über politische und gesellschaftliche Hintergründe und Entwicklungen. Zudem hat er einige Sachbücher geschrieben.