Das Mädchen und der Milliardär

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John Green ist noch wenig bekannt, doch konnte er mit seinem Debütroman bereits einen Erfolg verbuchen. „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ heißt sein neues Buch, in welchem er die Geschichte einer Jugendlichen erzählt, die in das Erwachsensein hineinwächst.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke*

Aza Holmes, 16, hat einen Tick. Sie reißt seit Jahren eine Wunde an einem ihrer Finger immer wieder auf, lässt sie nicht verheilen. Ihr Vater ist vor einiger Zeit an einem Herzinfarkt gestorben, das war ein Schock für das Mädchen. Wenn Aza sich schlecht fühlt, sucht sie nach seinem alten Handy und schaut sich die Fotos an, die der geliebte Vater von der Familie machte.

Ihre Mutter kann ihr nicht helfen, obwohl die Lehrerin es ruhig und respektvoll versucht. Aza lässt sich von niemanden küssen, sie fühlt sich fremd im eigenen Körper. Die Mutter vermittelt die begabte Schülerin an eine Therapeutin, Aza nimmt gelegentlich Medikamente, wenn sie Schwermut spürt. John Green erzählt die Geschichte in „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“.

Autor knüpft an Erfolg an

Aza hat sich nicht im Griff, sie denkt häufig, „ich wäre vielleicht nicht echt“. Deshalb bohrt sie den Fingernagel in die Wunde, „und dann spürte ich den Schmerz und dachte eine Sekunde lang: Natürlich bin ich echt“. Doch bald zweifelt sie wieder, in ihrem Gedankenkarussell wird sie gepeinigt von ansteckenden Bakterien, die in ihrem Körper herumschwirren, dem „Displostomum pseudospathaceum“.

Green, Jahrgang 1977, in Florida aufgewachsen, veröffentlichte vor sechs Jahren „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. Das Buch wurde ein weltweiter Verkaufsschlager. Es war die anrührende Liebesgeschichte von zwei krebskranken Jugendlichen, die gänzlich ohne Kitsch auskam. Nun gelingt es ihm, mit seinem neuen Roman an seinen Erfolg anzuschließen. Die Regel, dass das zweite Buch eines Autors meist kümmerlicher ist als das erste, trifft auf Green nicht zu. Sein Werk hat eine starke emotionale Tiefe, die Beschreibung seiner Figuren ist äußerst einfühlsam, er agiert auf unterschiedlichen Gedankenwegen und schafft es, den Roman über einen jugendlichen Menschen zu einem Text zu gestalten, der existenziell alle angeht.

Jugendliche wachsen in Erwachsensein hinein

Aza ist von Ängsten geplagt, sie verstrickt sich in seltsame Gedanken und ihre Freunde verstehen sie oft nicht. Ihre beste Freundin Daisy bringt sie dazu, sich an der Suche nach einem verschwundenen Milliardär zu beteiligen, für das Auffinden von Russell Pickett sind 100.000 Dollar Belohnung ausgeschrieben. Aza muss auf einmal Mut beweisen, erlebt die Furchtlosigkeit von Daisy, das gemeinsame Überwinden von Hindernissen macht sie stark. Die Mädchen wachsen durch die Umstände in ihr Erwachsensein hinein, der junge Davis interessiert sich für Aza. Ein zartes Liebesgeflecht wird gesponnen, bleibt aber nach vorn offen und angenehm schmachtfrei. Davis ist der Sohn des Milliardärs.

Sprechen ist Schreiben

John Green studierte Religionswissenschaften und Literatur, in seiner Zeit als Pfarrer hat er sich viel mit Jugendlichen in einem Krankenhaus befasst und eine außergewöhnliche Sensibilität für sie entwickelt. Er schildert, wie Teenager ihr eigenes Leben mit seinen Rechten und Pflichten erfassen und sich in die Selbständigkeit einfädeln. Mit allen Schwierigkeiten im Umgang mit Erwachsenen, in der Kürzelsprache junger Leute, ihrem wichtigsten Kommunikationsmittel, mitsamt der Versuche, in den sozialen Medien akzeptiert zu sein. Sprechen, lernt man bei Green, ist für Teenager weitgehend Schreiben.

Green kann extrem sinnlich über das Erwachsenwerden schreiben. Es kommen immer wieder Sätze, die hängen bleiben. Etwa: „Bei den besten Gesprächen erinnert man sich nicht daran, worüber man gesprochen hat, sondern wie es sich angefühlt hat.“

John Green: „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken.“ Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser, München, 288 S., 20 Euro.

Roland Mischke wurde in Chemnitz geboren. Er studierte Evangelische Theologie, volontierte und arbeitete bei der FAZ, gründete mit Partnern einen Buchverlag und war als freier Journalist im gesamten deutschsprachigen Raum tätig.