„Créer c’est résister, résister c’est créer“: Von Kunst, Empathie und Sinn im Werk von Lisa Kohl

„Créer c’est résister, résister c’est créer“: Von Kunst, Empathie und Sinn im Werk von Lisa Kohl

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Düdelingen, Brüssel, Leipzig, Istanbul und zuletzt Los Angeles – das sind nur ein paar Etappen auf dem Lebens- und Schaffensweg der jungen Raum- und Videokünstlerin. Denn Lisa Kohl ist vor allem eine Reisende. Immer wieder zieht es sie in die Ferne, zum Kontakt mit dem Fremden.

Von Luc Van den Bossche

Zur Person

Lisa Kohl wurde 1988 in Luxemburg geboren. Sie studierte Bildhauerei, erst an der Brüsseler „Cambre arts visuels“ und anschließend an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, wo sie 2017 ihren Abschluss mit Auszeichnung machte.

Seit 2011 war sie an mehr als 20 Einzel- und Gruppenausstellungen sowie Projekten in Belgien, Deutschland, der Türkei, Kuba, Kroatien und Luxemburg beteiligt. Letztes Jahr wurde sie mit dem Kunstpreis der Stiftung der Saalesparkasse ausgezeichnet.

Hierzulande wird Ende September das Videoperformance-Projekt „EXIT“ in den Rotondes zu sehen sein. Im März 2020 ist ihrem Schaffen eine Einzelausstellung im „Centre d’art Dominique Lang“ in Düdelingen gewidmet.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Künstlerin (www.lisa-kohl.com).

Kunst ist Widerstand. Gegen die Absurdität der menschlichen Existenz und gegen das, was unsichtbar macht. Ein Überlebenskampf. Eine Sprache, das auszudrücken, was sich nicht in Worte fassen lässt. So zumindest sieht die Künstlerin Lisa Kohl ihr Schaffen. Mit ihren Werken versucht sie, das Ungezeigte und vielleicht Unzeigbare zu zeigen. Sinn in einer absurden Welt zu stiften.

Sie versteht die Kunst als persönliche Notwendigkeit, die sich aber nie auf das rein Persönliche begrenzen lässt. „Ich schaffe Bilder für das, was mich zeitnah umtreibt“, so die Künstlerin. Ästhetik und Ethik sind untrennbar miteinander verbunden, ihre Arbeit „ein Spagat zwischen sozialpolitischem Engagement und persönlicher Bildsprache“. Sie führt die Künstlerin immer wieder auf den Menschen zurück: „Ich begebe mich direkt auf das Feld und suche die Nähe zu den Rändern.“

„Himmel und Hölle“ zugleich

Es sind die Dringlichkeit des anderen, die Verbindung auf physischer und emotionaler Ebene, der Dialog, die sie antreiben. So auch in den Werken, die während ihres zweimonatigen Aufenthalts als Stipendiatin in der „Villa Aurora“ in Los Angeles entstanden sind. Die Künstlerresidenz war während des Zweiten Weltkriegs eine Anlaufstelle für deutsche Künstler und Literaten im Exil, darunter Größen wie Thomas Mann und Bertolt Brecht.

„Für Brecht war die Stadt ‚Himmel und Hölle‘ zugleich. Er sprach von ‚gefallenen Engeln‘, von jenen, ‚die die Erfolglosigkeit an den Rand der Gesellschaft verdrängt hat’“, erzählt Kohl. Dieses Zwiespältige bestehe noch heute. Da wären einerseits die Stars und die Glitzerwelt des Hollywood-Boulevards. Und andererseits die sozialen und ethnischen Spannungen sowie die enorme Obdachlosigkeit an Orten wie Skidrow. „Krasse Bilder“ habe sie dort gesehen, Szenen „wie aus einem Stück von Samuel Beckett“, Menschen, die „einfach aufgegeben und diffamiert“ werden.

Um mit ihnen in Kontakt zu treten, hat die Künstlerin mit dem Kollektiv „Food Not Bombs“ zusammengearbeitet: „Jeden Sonntag haben wir für die Bewohner von Skidrow und Downtown gekocht. Es ging uns weniger ums Ernähren als ums Teilen. Darum, ihnen ein Stück Würde zurückgeben.“ Während des Aufenthalts in der Stadt der (gefallenen) Engel entstand u.a. die Fotoserie „Shelter“. Sie zeigt verhüllte Gestalten im öffentlichen Raum. Ein Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, der Widersprüchlichkeit von Geborgenheit und Abschottung, des Intimen und Entmenschlichenden der Anonymität.

Empathien statt Agenda

Die Bezeichnung „engagierte Künstlerin“ lehnt Lisa Kohl ab. Sie habe viel über ihre Rolle und Verantwortung als Künstlerin in der Gesellschaft nachgedacht und schlussendlich eine Antwort gefunden: „Meine Kunst ist ein Sprachrohr, meine Aufgabe, denen, die zur Stille verdammt sind, eine Stimme zu geben. Ich versuche, so vorsichtig und sensibel wie möglich an die Themen und Menschen heranzutreten.“ Den anderen zu ermöglichen, zum Akteur zu werden.

Dabei ist sich Kohl ihrer Privilegien als Europäerin bewusst. „Man muss stets darauf achten, dem Gegenüber die Würde zu lassen, das Leid nicht zu instrumentalisieren. Ich habe eine Verantwortung darin, worauf ich hinweise, welche Blickwinkel ich wähle.“ Von L.A. aus ging es mit einem amerikanischen Freund nach Mexiko, in die Grenzstadt Tijuana. Schon am zweiten Tag wurde sie fündig: In einem Zeltlager in Zona Norte, dem „scheinbar gefährlichsten Viertel“, lernte sie Jessi kennen, einen der vielen mexikanischen Abgeschobenen, die dort als „Obdach- und Heimatlose“ leben. „Lange Zeit war er überzeugt, amerikanischer Staatsbürger zu sein“, berichtet Kohl. „Jessi erzählte uns über seine Kindheit in L.A., seine Mitgliedschaft in kriminellen Gangs, seinen Drogenkonsum und über seine Zeit im Gefängnis, auf die seine Abschiebung folgte.“ Dass er vieles bereue. Von seinen Kindern, die er in L.A. zurücklassen musste.

Kunst als konstante Infragestellung

Dieses bewegende Schicksal hat Kohl in ihrer Videoinstallation „The Line“ verarbeitet. Jessi schildert seine Lebensgeschichte im Voice-over zu den per Drohne aufgezeichneten Filmaufnahmen. Diese zeigen den Anfang bzw. das Ende des Grenzzauns an der Westküste. Die titelgebende Linie spaltet den Wellengang. Das „Göttliche“ wird vom Menschlichen zerschnitten, während die willkürliche Macht das erzählte Leben des Einzelnen zermalmt. Eine mehrschichtige Arbeit über „Identität, Heimat(losigkeit), Grenzüberschreitung, Hoffnung und Vergeblichkeit“, bei der die Vogelperspektive den Betrachter „mit den Begriffen Macht, Göttlichkeit und Überwachung konfrontiert“.

Widersprüche und Parallelen bilden ein Kernelement von Lisa Kohls Kunst. Dabei steht die persönliche Ebene im Vordergrund: „Es geht über das Konzeptuelle hinaus. Die Betrachter sollen sich durch die Konfrontation mit meinen Werken persönlich betroffen fühlen und Sympathie entwickeln.“ Die Kunst ist somit ein Begegnungsraum, der Fragen aufwirft. Sie ist sich bewusst, dass der Umgang mit gesellschaftlichen Themen heikel ist: „Ich will Hoffnung in die Hoffnungslosigkeit tragen, das Poetische in einer grausamen Welt zeigen, achte jedoch immer darauf, dass es nicht zu schön wird.“ Und weiter: „Kunst ohne konstante Infragestellung des Künstlers ist unmöglich.“