Alain spannt den Bogen: Die Berliner Philharmoniker unter Muti, Petrenko und Mehta

Alain spannt den Bogen: Die Berliner Philharmoniker unter Muti, Petrenko und Mehta

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Die Bilanz der Konzerte mit den Berliner Philharmonikern in Luxemburg sieht nicht berauschend aus. Nur zweimal innerhalb von 50 Jahren gastierte das Eliteensemble in Luxemburg, einmal 1969 unter Herbert von Karajan im Stadttheater und dann 2014 unter Simon Rattle in der Philharmonie.

Viele Musikfreunde hatten sich erhofft, die Berliner öfter in unserer Philharmonie begrüßen zu dürfen. Nun, wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, dann muss der Prophet eben zum Berg kommen. Und dieser Berg war die Berliner Residenz im Rahmen der Osterfestspiele Baden-Baden, zu denen auch in diesem Jahr wieder etliche Luxemburger Musikfreunde angereist waren.

Wir hatten drei Veranstaltungen auf unserem Programm und begannen am vergangenen Samstag mit einer Aufführung von der Messa da Requiem von Giuseppe Verdi, die unter der Leitung von Riccardo Muti stand. Und wenn man von einer wirklich perfekten musikalischen Interpretation reden kann, dann trifft dies auf dieses Konzert hundertprozentig zu. Mutis Verdienste, um Verdi hier zu erläutern, hieße Eulen nach Athen zu tragen, aber was der italienische Maestro hier an Emotionen, Präzision und Klangschönheit heraufbeschwören konnte, das war schon phänomenal.

Die Berliner Philharmoniker spielten mit einer atemberaubenden Schönheit und Intensität, während Muti weniger an einer opernhafter Geste wie an klaren Linien, Transparenz und orchestraler Balance interessiert war. Muti bot somit einen wunderschönen Klangteppich, auf dem sich Solisten und Chor vollends entfalten konnten. Für die beiden Baden-Badener Aufführungen hatte der Dirigent auf den von ihm hochgeschätzten Chor des Bayerischen Rundfunks zurückgegriffen, der alle Erwartungen weit übertraf und mit seiner Gesangskunst einfach nur faszinierte.

Eine solistische und äußerst homogene Traumbesetzung mit Vittoria Yeo, Sopran, Elina Garanca, Mezzosopran, Francesco Meli, Tenor und Ildar Abdrazakov, Bass rundete das Hörvergnügen dann optimal ab.

Lang Langs Osterei

Wenn er sein am 6. Juni in der Luxemburger Philharmonie vorgesehenes Konzert auch krankheitshalber abgesagt hat, so präsentierte sich Starpianist Lang Lang am 21. April im Festspielhaus Baden-Baden doch in allerbester (gesundheitlicher!) Verfassung. Schon zwei Stunden vor Konzertbeginn gab es eine sehr lange Warteschlange, was eigentlich immer noch schwer zu begreifen ist. Denn es dürfte inzwischen doch wohl jedem Musikkenner bekannt sein, dass Lang Lang nur mit Wasser kocht und sich seine Interpretationen wie ein Ei dem anderen gleichen – egal, welches Werk er von welchem Pianisten spielt.

In diesem Sinne passte das natürlich sehr gut auf Ostern. Lang Langs Osterei war diesmal das 2. Klavierkonzert von Beethoven, das er mit seinem manierierten und selbstgefälligen Spiel natürlich künstlerisch ins Abseits beförderte. Schade, denn der chinesische Star besitzt eine absolut phänomenale Technik und ein sich quasi auflösendes Pianissimo, das wohl kein anderer Pianist nachspielen kann. Die Berliner Philharmoniker, heute unter der Leitung ihres designierten Chefdirigenten Kirill Petrenko, spielten Lang Lang brav nach, ohne selbst irgendeinen Akzent zu setzen.

Eine ganz andere Dynamik dann nach der Pause, wo anschließend die 5. Symphonie von Peter Tschaikowsky auf dem Programm stand. Höchste Klangkultur, absolute Präzision und eine unnachahmliche Dynamik machten dann diese beliebte Symphonie zu einem wirklichen Ereignis, zumal Petrenko eine dem Kitsch abgewandte Leseart bevorzugte und auf klare Linien sowie einen offenen Klang setzte. Mit einfachen Bewegungen ließ er die Innenspannung quasi aus dem Nichts entstehen und sich entwickeln. Das war die kunstvolle Dirigierkunst eines Maestros, der in ein paar Jahren zweifelsohne zu den ganz Großen gehören wird.

Wie in jedem Jahr stand auch diesmal mit Verdis Otello wieder eine Oper auf dem Programm der Berliner Konzerte. Nachdem man den vorgesehenen Daniele Gatti wegen seiner „Me too“-Affäre ausgebootet hatte, stand nun mit Zubin Mehta einer der letzten Grandseigneurs unter den Dirigenten im Orchestergraben.

Wilsons magischer Otello

Robert Wilsons Inszenierung im Stile des japanischen Nô-Theaters war gewöhnungsbedürftig; hatte man sich aber auf die reinen und selbstständigen, eigentlich sinnfreien Bewegungen der Sänger-Darsteller, die bis auf einen Minimum reduzierte Handlung und die wundervollen Lichtspiele eingelassen, konnte man eine wunderbare, andersartige Opernerfahrung machen.

Zumal auch Zubin Mehta mit einer sehr kammermusikalischen, feinen und fast gewollt spannungsarmen Interpretation, die genau den Intentionen Wilsons entsprach, durchgehend überzeugen konnte. Die Berliner Philharmoniker spielten auch an diesem letzten Abend (22. April) mit höchster Konzentration und Klangschönheit, die aus Verdis Otello fast eine gesungene Symphonie machte. Abgesehen von einem schlecht singenden Lodovico (Federico Sacchi) bewegten sich alle Nebenrollen auf einem guten, wenn auch nicht überragenden Niveau, das man sich eigentlich bei einer solch aufwendigen Edel-Produktion hätte erwarten dürfen.

Vladimir Stoyanov bot als Jago eine gesangliche Meisterleistung und wagte es, diese Rolle mit sehr viel Belcanto zu singen, was die Figur somit noch gefährlicher machte. Wundervoll auch die Desdemona von Sonya Yoncheva, die insbesondere im letzten Akt ihre ganze Interpretationskunst zeigen konnte und am Schluss vom Publikum auch mit dem meisten Applaus bedacht wurde.

Für den kurzfristig indisponierten Stuart Skelton hatte der amerikanische Tenor Marc Heller die Titelrolle übernommen. Da er sowieso als Cover vorgesehen war, war er mit der komplexen Regie von Wilson bestens vertraut. Heller beeindruckte mit mächtiger Stimme und stählerner Höhe, war aber auch zu sehr feinem Gesang fähig. Nach einem guten ersten Akt und einem kleinen Einbruch im zweiten, konnte sich Heller im dritten und vierten Akt enorm steigern. Großer Jubel für alle Beteiligten, insbesondere für Sonya Yoncheva und Maestro Zubin Mehta.

Rotes-Kreuz-Benefizkonzert

Zurück in Luxemburg besuchten wir am Dienstag das Benefizkonzert des Roten Kreuzes mit dem European Union Youth Orchestra (EUYO) unter der Leitung von Vasily Petrenko. Auf dem Programm standen die Ouvertüre zu Ruslan und Ludmilla von Michail Glinka, die Polonaise aus Tschaikowskys Oper Eugen Onegin sowie die gewaltige 10. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch.

Die Sopranistin Kristine Opolais sang darüber hinaus die Rachmaninow-Romanze „Wie friedlich“ sowie die berühmte Brief-Szene aus Tschaikowskys Onegin. Das EUYO besitzt einfach in jeder Besetzung eine fantastische Klang- und Spielqualität, die mit jedem Orchester von Rang mithalten kann. Vor allem die Interpretation der komplexen 10. Symphonie von Schostakowitsch beeindruckte durch höchste Konzentration und technische Brillanz.

Petrenko konnte die jungen Musiker zu wahren Höchstleistungen führen, die es ihm dann mit einem sehr engagierten und intensiven Spiel dankten. Opolais’ große Opernstimme eignete sich weniger für die Rachmaninow-Romanze, dafür aber gelang ihr die Brief-Szene sehr eindrucksvoll. Herrlich auch die Zugabe „O mio babbino caro“ von Puccini.

Das EUYO schien auch nach der strapazierenden Schostakowitsch-Symphonie noch nicht müde und setzte für das jubelnde Publikum noch zwei Zugaben drauf.