Zwischen Schattenarbeit und Sichtbarkeit: Grafik-Designer Michel Welfringer über seine Arbeit in Cannes

Zwischen Schattenarbeit und Sichtbarkeit: Grafik-Designer Michel Welfringer über seine Arbeit in Cannes

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Seit nunmehr elf Jahren designt Michel Welfringer das Plakat für die „Quinzaine des réalisateurs“, die alternative Parallelauswahl in Cannes, die als Fundgrube für große Entdeckungen gilt: Regisseure wie Jarmusch und Coppola haben hier angefangen.

Michel Welfringers Tätigkeit ist eine Schattenarbeit, bei der das Resultat und nicht der Künstler im Rampenlicht steht – die wenigsten würden den Lockenkopf auf der Straße erkennen und ihn auf seine Arbeit ansprechen. Doch das (tolle) Plakat kennt jeder Film-Aficionado – ganz gleich, ob er in Cannes ist oder nur die Kulturseiten in der internationalen Presse liest. Wir haben den Designer, der von Kinoplakaten über Kunstbücher bis hin zur grafischen Gestaltung des luxemburgischen Filmfestivals viele Kulturprodukte und -events visuell aufwertet und im Pariser und Luxemburger Kulturalltag fest verankert ist, auf dem Strand der „Quinzaine“ getroffen.

Tageblatt: Wie kam es dazu, dass man Sie als Grafikdesigner des Plakats der „Quinzaine“ auswählte?
Michel Welfringer: Durch Zufall eigentlich. Ich hatte ein Cover für die Platte der Ska-Punk-Band Les fils de Teuhpu entworfen. Eine Freundin, die die Band gut kannte, meinte, ihre Schwester arbeite auf der „Quinzaine“ – die würden einen Grafiker suchen, ich solle mich doch mal vorstellen gehen. Ich arbeitete damals für die Grafikagentur „Les designers anonymes“, wollte mich aber unabhängig machen. Ich hab’s dann einfach versucht – und hatte Glück, dass die mich und nicht jemand anderes gewählt haben.

Wie verläuft die Zusammenarbeit?
Das hängt immer davon ab, welches Image der Künstlerische Leiter, der die Filmauswahl zusammenstellt, abgeben will. Die „Quinzaine“ ist ein „One-Shot“-Event. Sie hat eine grafische Identität, ein Logo, das über die Jahre gleich bleibt. Aber jedes Jahr gibt es eine andere Tendenz in der Filmauswahl.

Mein Job ist es, das Image des jeweiligen Jahres grafisch zu gestalten und wiederzugeben. Das sieht man hauptsächlich auf dem Plakat, aber wir deklinieren das Design dann in verschiedenen Varianten durch, die man im Katalog oder in den Presseveröffentlichungen wie im Hollywood Reporter oder der Libération sehen kann.

Die Vision ändert sich oftmals mit dem Wechsel des Künstlerischen Leiters. Paolo Moretti, der neue künstlerische Leiter, wollte etwas Abstraktes, etwas Technologisches – weswegen ich auf die Idee des „Glitches“ kam, die dann auch zum Plakat führten. Die Abwesenheit von Sponsoren auf dem Plakat ist sowohl ein Statement seitens der Organisatoren der „Quinzaine“ als auch eine ästhetische Aufwertung meiner Arbeit.

Haben Sie die Gelegenheit, sich die Programmierung im Vorfeld anzusehen – und hat das einen Einfluss auf Ihre Arbeit?
Nicht wirklich, weil die Filmauswahl erst viel später erfolgt. Der Künstlerische Leiter weiß jedoch bereits, in welche filmische Richtung er gehen will. Es geht auch nicht darum, einen bestimmten Film hervorzuheben. Ich suche mir natürlich Bilder aus, die ein gewisses erzählerisches Potenzial haben – Bilder, die den Betrachter dazu einladen, sich seinen eigenen Film vorzustellen.

Die meisten Filme sehe ich vor Ort – ich schaue mir hier drei Filme pro Tag an, meistens sind es die Filme der „Quinzaine“, weil man im Gegensatz zu den Wettbewerbsfilmen nicht weiß, ob die später in den Kinos laufen.

Sie erleben Cannes fast ausschließlich aus der Sicht der „Quinzaine“. Welchen Einfluss hat das auf Ihre Wahrnehmung des Festivals?
Erst mal erscheint es mir logisch, dass ich, wenn ich für jemanden arbeite, mich auch für dessen Arbeit interessiere – wie könnte ich das Plakat gestalten, wenn ich nicht wüsste, worum es bei der „Quinzaine“ eigentlich geht? Es handelt sich dabei zudem um eine Art Kino, die mich interessiert. Die Filme sind engagiert, ästhetisch, unkonventionell und intellektuell. Du siehst dort Filme, die du sonst nirgendwo siehst.

Davon abgesehen komme ich natürlich, weil ich ein Teil des Teams bin, viel leichter rein: Ich muss nicht lange Schlange stehen. Mir gefällt auch, dass die „Quinzaine“ viel weniger auf Stars und Hierarchien setzt. Du hast so einen eigenen Draht zu den Menschen: Du begegnest den Künstlerischen Leitern, den Produzenten, den Filmemachern, die dein Feedback auch wirklich interessiert.

Begrüßen Sie es, einen Regisseur, den Sie auf der „Quinzaine entdeckt haben, im offiziellen Wettbewerb wiederzufinden?
Jeder ist glücklich, mit einem Film auf der „Quinzaine“ vertreten zu sein. Aber wenn man an dem offiziellen Wettbewerb teilnehmen kann, ist das eine geniale Gelegenheit. Zudem hat es ganz andere wirtschaftliche Auswirkungen. Es gibt allerdings auch einige Regisseure, die es bevorzugen, ihren Film auf der „Quinzaine“ zu zeigen. Vor ein paar Jahren wollte Thierry Frémeaux Coppolas Film „Tetro“ „hors compétition“ projizieren. Das gefiel Coppola nicht – weswegen er „Tetro“ dann auf der „Quinzaine“ zeigte, wo seine Karriere in Cannes damals auch begann.

Viele der großen Regisseure wie Jim Jarmusch, Werner Herzog oder Spike Lee haben auf der „Quinzaine“ angefangen. Ich habe den allerersten Film von Xavier Dolan dort gesehen. Der Typ war 18 und durchgeknallt, sein Film hatte ein Budget von weniger als 100.000 Euro; er hat alles selbst gemacht.

Gibt es viel Hin und Her, bevor man sich auf das Design einigt?
Die Vorgehensweise des Teams ist oft so, dass nicht ein einzelner entscheidet, sondern viele Meinungen beansprucht werden. Wenn ich meine Ideen per Mail schicke, dann geht es meistens schief – weil dann jeder, inklusive der Kaffeemaschine, befragt wird. Wenn ich aber nach Paris fahre und mein Konzept erkläre, dann verläuft alles besser. Den letzten Monat vor Cannes bin ich in Paris, um vor Ort mit dem Team der „Quinzaine“ arbeiten zu können.

Wie viel Zeit beansprucht Ihre Arbeit für die „Quinzaine“?
Es nimmt etwas mehr als drei Monate im Jahr in Anspruch. Für den Endspurt wird vom Arbeitsaufwand her ein Monat in zehn Tage komprimiert. Da arbeitet dann auch ein ganzes Team von vier bis fünf Leuten am Projekt.

Wie stellt sich das Team zusammen, mit dem Sie arbeiten?
Mein Team ist sehr klein. Ich arbeite mit zwei Leuten zusammen. Für die „Quinzaine“ rekrutiere ich zusätzlich einen Freund aus Paris, mit dem ich schon seit Ewigkeiten zusammenarbeite. Ich habe ein Netzwerk von Grafikern aus Frankreich, Belgien und Luxemburg und stelle je nach der Arbeit, die ansteht, eine Mannschaft, die aus Menschen besteht, denen ich vertraue, zusammen. Wenn der Abgabetermin näher rückt, besteht mein Job hauptsächlich darin, die Koordination zu übernehmen.

Wie viel Platz bleibt da noch für die Kreativität?
Es steht viel administrativer Kram an. Das Management ist deswegen überaus wichtig. Ein unkoordiniertes Team läuft gegen die Wand. Die kreative Arbeit erfolgt eigentlich im Vorfeld, wenn noch mehr Zeit ist. Das übernehme dann auch ich. Das Durchdeklinieren des Konzepts für den Katalog oder andere Veröffentlichungen – das kann eigentlich jeder gute Grafiker.

Ich bin zudem das Bindeglied zwischen dem Bildbearbeiter, der die Fotos optimiert, und dem Künstlerischen Leiter, der die Filme bereits gesehen hat. Das Optimieren der Bilder ist auch eine Herausforderung in meiner Arbeit für Kunstbücher. Ich hasse es, einen Ausstellungskatalog zu kaufen, um dann später festzustellen, dass die abgebildeten Kunstwerke farblich nichts mit den Originalen zu tun haben. Die Technik wird immer besser – aber die Qualität der Kataloge oftmals schlechter, weil kein Budget mehr übrig bleibt.

Wie überlebt man als unabhängiger Grafiker im Kulturmilieu?
Bei Kulturprojekten arbeitet man oftmals mit kleinen Budgets. Die vielen Reisen, die Möglichkeit, auf Prä-Vernissagen Ausstellungen ohne den Menschenandrang zu sehen – das kompensiert dies schon ein bisschen. Auch bei meiner Arbeit für Cannes gibt es kein riesiges Budget. Das sage ich jetzt nicht, um mich zu beschweren.
Der Job verleiht deiner Arbeit eine enorme Sichtbarkeit – so was lehnt man nicht ab. Ich dachte anfangs, wenn ich diesen Job auch nur drei Jahre behalten darf, bin ich der glücklichste Mensch auf Erden. Und jetzt sind’s bereits elf.

Wer entscheidet, ob Sie weiterhin dabei sind?
Oft wechselt der Grafiker mit dem Künstlerischen Leiter. Auf der „Quinzaine“ gab es drei Wechsel, seitdem ich dabei bin, und man hat mich trotzdem jedes Jahr wieder eingestellt – was vielleicht eine Form von Anerkennung meiner Arbeit ist.