Zeitzeuge des Krieges: Wie Jos Romeo den Angriff der Nazitruppen erlebte

Zeitzeuge des Krieges: Wie Jos Romeo den Angriff der Nazitruppen erlebte

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Fast 80 Jahre ist es her, dass am 10. Mai 1940 Truppen der Deutschen Wehrmacht im Luxemburger „Minett“ einfielen und die Ortschaften entlang der französischen Grenze bombardierten. Auch Differdingen stand während der folgenden Tage unter Beschuss. Jos Romeo erfuhr den Angriff der Nazitruppen am eigenen Leib und erzählte 2006 in einem Gespräch, wie er das Gefecht im Süden des Landes erlebte.

Von Roby Fleischhauer

Als Fünfjähriger kam Jos Romeo nach Differdingen, sein Vater war bereits seit zwei Jahren im Hadir-Hüttenwerk beschäftigt. Die Familie wohnte im „Wangert“, wo es viele andere italienische Familien gab.

Am 10. und 11. Mai 1940 sollte sich der Alltag der Familie schlagartig ändern, als bei einem Angriff die Doppeldecker der Deutschen Wehrmacht über die Stadt flogen. Der Lärm der Kampfflieger lockte Jos und seine Freunde aus dem Haus. Sie trafen sich unterhalb des „Wangert“ in der Nähe des Metzgers Jacques, um das Geschehen zu beobachten. Französische Soldaten ritten auf ihren Pferden durch Differdingen, von Petingen und Bascharage her bewegte sich ebenfalls das hochgerüstete deutsche Heer auf die Minettestadt zu. Jos sah, wie die Franzosen zurückgaloppierten, etliche Pferde kamen ohne Reiter. Kurz darauf begannen die französischen Truppen, vom „Rollesbierg“ herab zu schießen.

Jos erinnert sich: „Wir standen beim Pissoir, als eine Granate auf dem Dach des Metzgers explodierte. Die Splitter flogen nach allen Seiten hin.“ Die Wucht der Explosion schleuderte einen der Freunde des jungen Differdingers gegen eine Mauer. „Seine Augen waren weit aufgerissen, als er langsam die Mauer entlang abrutschte, bis er auf dem Bürgersteig saß. Ich rief noch: ‚Roger, Roger, komm, stéi op!‘, da war er bereits tot“, sagt Jos. Ein Splitter hatte seinem Freund die Hauptschlagader durchtrennt, der Schock des Gesehenen raubte Jos das Bewusstsein.

Als der junge Differdinger wieder zu sich kam, suchte er Schutz im nahe gelegenen Café „Mattioli“. „Dort bemerkte ich erst, dass mein Schuh kaputt war. Ich zog ihn aus. Meine Strümpfe waren voller Blut. Da sah ich, dass ein Splitter in meinem Fuß steckte“, erinnert sich Jos. Auf die Anforderungen seiner Freunde hin suchte Jos Doktor Behm auf. Dieser hatte einen Schwerverletzten im Auto, den er gemeinsam mit Jos ins Niederkorner Krankenhaus transportierte. „Der Arzt verband meinen Fuß im Gang, mehr konnte er nicht tun. Ich hatte furchtbare Schmerzen. Da wurde das Spital plötzlich von einer Granate getroffen und der Operationssaal sackte zusammen“, erzählt Jos.

Zahlreiche Tote

Auf dem Operationstisch lag der zehnjährige Antonio Vettoretti, der bereits in seinem Elternhaus in Metzkimmert schwer verletzt worden war. „Er starb auf dem Operationstisch“, sagt Jos schwermütig. Er selbst versuchte, im Chaos der entstandenen Staubwolke einen Ausgang zu finden. „Beim Aufblitzen der explodierenden Granaten konnte ich mich einigermaßen orientieren. Der Gang war ja fast 100 Meter lang. Der Arzt und der barmherzige Bruder waren bereits fort. Sie hatten mich allein gelassen, obwohl ich kaum gehen konnte“, so Jos.

Seinen Vater fand der junge Differdinger schließlich auf der Straße, wo er auch von der Evakuierung der Stadt erfuhr. „Mit meinem Bruder und meinen Eltern schleppte ich mich bis nach Bascharage. Dort begegneten wir zwei deutschen Soldaten. Einer von ihnen stoppte ein Auto und der Fahrer nahm uns mit nach Luxemburg“, erinnert sich Jos. Ziel der Fahrt war Limpertsberg, wo der verletzte Fuß des Jungen endlich versorgt werden konnte. „Der Splitter war fingerdick. Er war durch das Oberleder eingedrungen und in der Sohle stecken geblieben. Ich habe den Splitter lange Zeit in meiner Geldbörse aufbewahrt, aber irgendwann leider verloren“, erinnert sich der 83-Jährige.

Wie die Romeos mussten im Mai 1940 auch ein Großteil der anderen Differdinger ihre Häuser verlassen, um sich aus dem Kampfgebiet in Sicherheit zu bringen. Ein Teil der Einwohner war ins Ösling evakuiert worden, andere im Treck bis nach Südfrankreich gereist. Der Schaden an den Differdinger Gebäuden war groß. Die Schule in Niederkorn war getroffen worden und gänzlich abgebrannt.

Das Niederkorner Spital hatte auch etliche Granaten abbekommen und war stark beschädigt. Am schlimmsten traf es allerdings die Zivilbevölkerung: Insgesamt ließen zehn Personen ihr Leben, darunter zwei Kinder.