Zehn magere Jahre – So sieht die Wirtschaft in der kommenden Dekade aus

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Die Investmentgesellschaft Schroders, die 439 Milliarden Pfund Sterling an Anlagegeldern verwaltet, hat Journalisten zu einem Seminar nach London eingeladen. Was die Medienleute zu hören bekamen, war nichts Gutes. 

„Was beschäftigt Schroders?“ Eine Frage, auf die Charles Prideaux keine guten Antworten hatte. „Es ist einfach, zehn Jahre zurückzuschauen und Entwicklungen zu zeigen, die sich seit der Finanzkrise ergeben haben“, sagt er. „Aber wohin gehen wir in den kommenden zehn Jahren?“

Sicherheiten bei der Antwort gebe es nicht, sagt der Fachmann. Aber aus der Glaskugel muss man auch nicht lesen, um in etwa abzuschätzen, was auf die Länder und die Menschen in den Bereichen Konjunktur, Arbeit und Finanzwelt zukommt.

Mit einem nachlassenden Wirtschaftswachstum geht Schroders davon aus, dass es, neben den Schwellenländern, nur noch in den USA mit einem Plus von 0,2 Prozent einen positiven Arbeitsmarkt geben wird. In Japan wird es ein Minus von 0,7 Prozent, in den drei europäischen Staaten Frankreich, Deutschland und Italien erwartet der Experte ein Minus von 0,5 Prozent. Da Italien und Frankreich schon jetzt mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, bedeutet der negative Ausblick, dass in Deutschland der Arbeitsmarkt in den kommenden zehn Jahren einbrechen wird.

Bedrohte Arbeitsplätze

Auf dem Arbeitsmarkt insgesamt müsse man mit Brüchen rechnen, die sich heute schon andeuteten. Bei den Eisenbahnen würde überall bereits mit Zügen ohne Lokomotivführer experimentiert. In den USA gebe es 3 Millionen Langstrecken-Lastwagenfahrer. Die Tests mit führerlosen Wagen hätten hier katastrophale Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Weltweit werden China und die Schwellenländer alle anderen konkurrierenden Länder bei der Produktivität abhängen, meint man bei Schroders. In China wird sie um 5,4 Prozent zunehmen, in Brasilien um 4,2 Prozent. In den USA wird sie auf 0,7 Prozent absinken, in den drei genannten europäischen Ländern gerade noch einen Zuwachs von 1,8 Prozent erreichen. Dabei werden die öffentlichen Haushalte zusätzlich durch die immer älter werdende Bevölkerung unter Druck gesetzt. Schroder sieht hier eine Gefahr für die Staaten, die hoch verschuldet seien und nicht über genügend hohe Rückstellungen verfügten.

Insgesamt, so Schroders, wird es in den kommenden zehn Jahren ein geringeres Wirtschaftswachstum geben. Mit Druck auf den Arbeitsmarkt ist zu rechnen. Die realen Zinsen werden durch die Politik der Notenbanken niedrig bleiben. Die Inflationsrate könnte steigen und der Dollar teurer werden. Auf dem Markt für Finanzanlagen wird es einen erheblichen Druck geben.

Geringeres Wirtschaftswachstum

Die Einschätzungen des britischen Vermögensverwalters finden derzeit an den Börsen bereits Bestätigung. Es gibt einen nachhaltigen Abwärtstrend an den europäischen Aktienmärkten. Anlage-Experten schichten derzeit bereits auf sogenannte „defensive“ Werte, also Aktien von Unternehmen, die auch in Rezessionszeiten Grundbedürfnisse befriedigen, um.

In den kommenden zehn Jahren könnte auch das Geld knapper werden. Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, die Politik des leichten Geldes zunächst abzuschwächen und dann einzustellen. „Von 2008 bis 2018 hat die Europäische Zentralbank 15,7 Billionen Euro in die Wirtschaft der Eurozone gepumpt. In den USA hat die Rücknahme der Unterstützungsgelder bereits begonnen.“

Die Regulierung der Finanzmärkte würde, so Schroders, in den kommenden zehn Jahren eher zu- als abnehmen. Dies sei eine Folge der staatlichen Interventionen während der Finanzkrise. Die Rettung der Banken damals war in Wirklichkeit eine Übertragung der privaten Schulden auf die europäischen Staatshaushalte. Die daraus gestiegene Verschuldung der Staaten macht sich bis heute bemerkbar. Als Folge sei die Regulierung der Banken immer stärker geworden und sei noch nicht beendet. Europa verhält sich hier anders als die USA, wo Präsident Trump den Banken wieder größere Freiheiten geben will. Im Finanzbereich würden sich die Banken in den kommenden zehn Jahren in rasantem Tempo der Konkurrenz der Nicht-Banken ausgesetzt sehen, die in großem Maße Geld einsammeln würden.

Die Zukunft wird anders aussehen

„Wir erleben seit 1850 derzeit den wohl längsten positiven Zyklus an den Finanzmärkten“, sagt Keith Wade, Schroders’ Chefökonom. „Wir meinen aber, dass dieser Zyklus nun seinen Zenit überschritten hat und man die Zukunft anders betrachten muss.“

Seine größte Sorge für die Zukunft sei das wirtschaftliche Wachstum, sagt Peter Harrison, Schroders’ Vorstandsvorsitzender. Die Veränderungen, die in seinem Unternehmen prognostiziert würden, beträfen den gesamten Konzern in seiner Arbeit.

„Wir arbeiten für unsere Kunden und mit unseren Kunden. Wir müssen nun dafür sorgen, dass der Besitzer der Finanzanlagen hört, was sich auf den Märkten abspielt.“ „Insgesamt“, so Harrison, „wird Schroders eine Politik der Produktinnovation führen. Wir werden uns um die Vermögensverwaltung und den Sparer kümmern und ihm sagen, dass Sparen auch in schwierigen Zeiten sinnvoll ist.“

Italien und Brexit

Neben dem Brexit ist Italien auf europäischer Ebene in aller Munde. Allerdings soll man, so Azad Zangana, Senior Analyst und Europa-Experte im Londoner Investmenthaus Schroders, die italienische Situation etwas unaufgeregter betrachten.

„Italien ist mit seinen Finanzen bisher ganz vernünftig umgegangen“, sagt er. „Sie waren ziemlich verantwortungsvoll.“ Für die derzeitige Aufregung gebe es wenig Gründe. „Auch die EU-Kommission reagiert zu harsch.“

Das eigentliche Problem Italiens sei die Schuldendynamik, der sich das Land ausgesetzt habe und die ein Zinsrisiko beinhalte. Negativ müsse man auch beurteilen, dass Italien an einem Mangel an Wettbewerbsfähigkeit leide und die Arbeitslosigkeit hoch sei.

Auf einen Zeitraum von zehn Jahren gesehen, könne sich die Situation durchaus verschlimmern. Betrachte man aber den europäischen Kontinent, dann müsse man sagen, dass es in Spanien schlimmer aussehe und dass auch Deutschland seine Schwächen habe.
In Großbritannien, wo nach der Vorlage eines Einigungsvorschlages innerhalb von zwei Stunden die halbe Regierung zurücktrat – darunter der Chefunterhändler –, sei man nun am Anfang des Austrittsbeginns aus der EU angelangt, sagt Zangana. „Wir haben möglicherweise einen harten Brexit vermieden“, meint er. „Großbritannien habe die Vertragsverhandlungen gut beendet. Nun hängt alles von dem Sondergipfel der Regierungschefs ab.“

Angesichts des Aufruhrs nach Bekanntwerden des Vertragsinhaltes zeigt sich Zangana ironisch. „Wir bringen das wohl auch noch fertig, diesen Vertrag zu kippen. Dann ist wieder alles möglich: Sowohl ein harter wie auch ein weicher Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Jedenfalls haben wir es in den vergangenen zwei Jahren fertiggebracht, von einem der stärksten Länder der Europäischen Union zu einem der schwächsten abzusteigen. Man schaue sich unsere Währung an: Vor den Verhandlungen lag das Pfund Sterling bei 1,30 Dollar. Jetzt liegt es bei 1,12 Dollar.“