Wohnen in Luxemburg und darüber hinaus — eine echte Krise

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Luxemburgs Wohnungsmarkt ist seit geraumer Zeit dadurch geprägt, dass die Nachfrage deutlich höher ist als das Angebot. Sozialprodukt und Arbeitsmarkt einerseits und Wohnungsmarkt andererseits haben sich extrem auseinander entwickelt. Wer es sich nicht leisten kann, im Großherzogtum zu wohnen, lebt jenseits der Grenze und pendelt von dort  zur Arbeit. 

Von Michael Rafferty

Die Zahl der Grenzgänger hat sich in zwei Jahrzehnten fast verdoppelt und liegt in diesem Jahr erstmals bei ca. 200.000; der Zuwachs der Zahl der Grenzpendler liegt damit deutlich über dem Bevölkerungswachstum. Das Großherzogtum hat in den letzten drei Jahren monatlich ca. 500 Mindestlohnarbeiter zu seiner Arbeitnehmerschaft hinzugewonnen. Auch Mittelschichthaushalte können sich die Lebenshaltungskosten innerhalb des Landes immer weniger leisten. Dies hat mittelfristig Auswirkungen auf alle Sektoren, vom Einzelhandel über die Produktion bis hin zur Logistik und Sozialfürsorge. Dass hier ein ernsthaftes Problem vorliegt, ist mittlerweile breit akzeptiert.

In Luxemburg gibt es jedoch keinen Wohnungsaktivismus im Berliner Stil, Besetzung und Protest ist praktisch unbekannt. Wohnungsgenossenschaften sind kaum verbreitet; Zwangsversteigerungen und Räumungen sind in Luxemburg unbekannt, anders als etwa in Dublin oder London. Die Wut über die kaum erschwinglichen luxemburgischen Wohnungen ist daher in den Bussen von Emile Weber, den Staus an der französischen Grenze und den Zügen der SNCB sicher aufbewahrt. Die Anziehungskraft des luxemburgischen Gehalts – ob für den mehrsprachigen Finanzdienstleistungsmanager oder die Supermarktmitarbeiterin – ist das Ventil, das innovative politische Maßnahmen zur Bereitstellung von erschwinglichem oder sozialem Wohnen bisher noch verhindert hat.

Akzeptanz der neoliberalen Governance-Logik

Was hat die Krise verschärft? Von den Wohnungsmärkten zwischen Osteuropa und Spanien fließen zuverlässig riesige Kapitalerträge an europäische Investmentbanken, u.a. auch in die von Kirchberg aus verwalteten Konten. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Die „Wohnungskrise“ findet nur an anderen Orten statt, und dort ist sie gut fürs Geschäft. Natürlich ist dies nicht immer so gewesen, und die Krise wird nicht durch unrealistische Verbrauchervorlieben seitens der Arbeitnehmer verursacht, sondern durch eine weitgehende Akzeptanz der neoliberalen Governance-Logik der letzten Jahrzehnte. Nach dieser Logik wird das „Zuhause“ als Anlagegut geplant, gebaut und gehandelt, anstatt seine soziale und wirtschaftliche Funktion als Lebensraum für Arbeitnehmer zu erfüllen.

Während im 19. Jahrhundert die Industrielle Revolution Europa und Nordamerika veränderte, wurde die Bereitstellung von Arbeiterwohnungen von den Kapitalisten nach und nach als eine Bedingung für die Rentabilität eines Industrieunternehmens anerkannt. Im 20. Jahrhundert wurde es daher für die Industrie üblich, ihren Arbeitern aktiv Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Es bot Sicherheit für Arbeiter und Chefs gleichermaßen und reduzierte die Wahrscheinlichkeit von Streiks und Arbeiterrevolten. In der Nachkriegszeit verbreiteten sie sich und mutierten zu einem sozialdemokratischen (gleichwohl kapitalistischen) Modell, was anhand von „Arbeiterstädten“ im gesamten Ruhrgebiet und Saarland zu sehen ist. Wohnungsbau und Eigentum wurden von Industrieunternehmen teilweise durch eine subventionierte Hypothekensicherheit für Arbeiter und Chefs erleichtert – zumindest bis zur Schließung der Fabriken, Werke und Minen. Eine Version davon ist im Minett zu sehen, wo zwischenzeitlich 25.000 Arbeiter beschäftigt und dort zusammen mit ihren Familien untergebracht waren.

Wohnraum ist ein lukratives Gut

Denn der Wohnungsbau hat sich von einer alltäglichen industriellen Notwendigkeit des städtischen Lebens zu einem der problematischsten – und gleichzeitig finanziell lukrativsten – Güter der Welt entwickelt. Das britische Immobilienberatungsunternehmen Savills hat kürzlich berechnet, dass ein globaler Immobilienmarkt, wenn vollständig kommerzialisiert, einen Wert von 217 Billionen US-Dollar haben würde, wovon drei Viertel den Wohnungsbau repräsentieren. Zum Vergleich: Das globale BIP beträgt aktuell ca. 80 Billionen US-Dollar. „Immobilien sind die wichtigste Anlageklasse, die am stärksten von globalen monetären Bedingungen und Investitionstätigkeiten beeinflusst werden wird, die aber wiederum die Macht haben, die nationalen und internationalen Volkswirtschaften am stärksten zu beeinflussen“, so das Unternehmen.

Von einem Schreibtisch in der neu eröffneten Universitätsbibliothek in Belval, die in der ehemaligen Möllerei des 1997 geschlossenen Stahlwerks aufwendig eingerichtet wurde, wird der strukturelle wirtschaftliche Wandel Luxemburgs vom industriellen Kraftwerk zur finanzierten Dienstleistungswirtschaft deutlich spürbar. Die Mainstream-Politikvorgaben, um eine echte „Wohnungskrise“ zu verhindern, bestehen wohl eher darin, weiter private Wohnanlagen mit immer zweifelhafter werdenden Definitionen von „bezahlbar“ zu bauen. Die postindustrielle wirtschaftliche Verwandlung Luxemburgs seit den 1970er Jahren wird oft als relativer Erfolg gelobt, teilweise auch deshalb, weil sich die Folgen der „schöpferischen Zerstörung“ durch die Deindustrialisierung weniger schädlich entfalteten als in den nördlichen Städten Englands, in Lorraine oder im Ruhrgebiet. Auch wenn dies zum Teil zutrifft, ist es trotzdem schwer, die Narben in den Gemeinden des Minett zu ignorieren.

Arbeitgeber investierten früher in Wohnungen für ihre Arbeiter

Doch unter den Narben gibt es aufschlussreiche Spuren und Hinweise darauf, wie man in früheren Phasen des strukturellen industriellen Wandels mit grundlegenden Anforderungen wie dem Wohnen umgegangen ist. Wohngebiete mit Namen von Magnaten der Stahlindustrie wie Mayrisch in Düdelingen und anderen im Minett zeigen, dass lokale Arbeitgeber in Häuser für Arbeiter investiert haben. Viele dieser Adressen mögen inzwischen ihren Weg in die Bilanzen der globalen Finanzgläubiger gefunden haben und als liquide Mittel auf dem Immobilienmarkt getauscht worden sein. Der Punkt aber ist, dass luxemburgische Industrielle in Abwesenheit von öffentlichem Wohnungsbau direkt in den Wohnungsmarkt eingegriffen haben.

Die Verwandlung seit den 1970er Jahren hat das Arbeitsprofil des Landes und damit auch sein Wohnungssystem völlig neu geordnet, von dem ein großer Teil inzwischen effektiv nach Frankreich, Deutschland und Belgien ausgelagert wird. Gleichzeitig wurde das weltweite Kapital mobiler, da die Attraktivität dieser Konzernzentralen für die neue Nische Luxemburgs in der neoliberalen Wirtschaftsordnung von zentraler Bedeutung wurde.

Wohnraum schaffen aus Selbsterhaltungstrieb

In der Vergangenheit haben sich arbeitsintensive Industrien direkt an der Behausung ihrer Arbeiter beteiligt – nicht aus Altruismus, sondern aus schierer Einsicht in die Notwendigkeit der Selbsterhaltung. Die Finanzialisierung Luxemburgs spiegelt heute eine komplexere, verflochtene und dienstleistungsorientierte Wirtschaft wider – aber sie ist deshalb nicht weniger arbeitsintensiv als zuvor. Auch wenn der Grenzgänger, der als Angestellter bei einer Gebäudemanagementfirma den Empfang einer Investmentbank in Cloche d’Or betreut, vielleicht kein direkter Mitarbeiter ist, so muss er trotzdem in der Lage sein, in der Nähe seiner Arbeit zu wohnen. Selbst ein unternehmerischer Staat könnte Unternehmen dazu veranlassen, Wohnraum für ihre Mitarbeiter zu schaffen – da er ein Interesse daran haben muss, das System weiter funktionsfähig zu halten.

Doch die Lösung für die drohende Immobilienkrise in Luxemburg kann nicht einfach durch Lohnerhöhungen finanziert werden, noch wird sie durch den Bau von weiteren Geldanlagen gelöst. Womöglich ist nur der Staat in der Lage, das Gleichgewicht zwischen den Ansprüchen der Arbeitnehmer und der neuen „Barone“ und den gelebten Realitäten der Marktwirtschaft über die Grenzen hinaus herzustellen. Dies könnte mit der Gründung einer nationalen Wohnungsbaugesellschaft beginnen, die durch Steuerbeiträge der Arbeitgeber finanziert wird. Sie könnte einen Maßnahmenkatalog entwerfen, mit dem die Probleme sukzessive lösbar gemacht werden. Nach Ansicht des Autors sollte dies mehrstufig erfolgen, d.h. mit einer Mischung aus neuem Sozialwohnungsbau, Enteignung leerstehender Häuser bzw. Wohnungen und Transfers an angrenzende Kommunen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Michael J. Rafferty hat Humangeografie an der Queen’s University Belfast, Nordirland, studiert und ist Doktorand am Institut für Geografie und Raumplanung der Universität Luxemburg.

Info: Die Forschertagung

Vom 4. bis 9. August findet an der Uni Luxemburg das Jahrestreffen der IGU Urban Geography Commission statt. Es ist zum ersten Mal, dass diese Forschertagung in Luxemburg organisiert wird. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir in den nächsten Tagen mehrere Beiträge von Forschern des Instituts für Geografie und Raumplanung der Uni Luxemburg.

de Prolet
8. August 2019 - 14.55

Das wird auch eintreten, so sicher wie Amen im Gebet. Und dann wird es noch zu dümmeren Kommentaren kommen.

Don Promillo
8. August 2019 - 13.36

Das wird aber hoffentlich irgendwann kommen.

Müller jang
7. August 2019 - 23.36

Nix Namensvetter, sinn trotz dem ü e Lëtzebuerger, deem seng Elteren a Grousselteren am Krich Patriote waren. Sinn och a Wierklechkeet nët drun interesséiert an irgendengem familiäre Verhältnes mat Iech ze stoen!

ibcl
7. August 2019 - 23.30

So dumme Kommentare hab ich schon lange nicht mehr gelesen. Ich möchte gerne mal hören wie alle diese „Immobilienmiillionäre „schreien werden , wenn ihr Vermögen um die Hälfte sinkt weil das Angebot die Nachfrage übersteigt und die Banken zusätzliche Sicherheiten einfordern werden (siehe US 2009)

Muller Guy
7. August 2019 - 17.05

@mÜller jang; Nix Namensvetter! An den 40. Johren hun meng Grouss- an Elteren Muller och emmer mussen mat Teppelen schreiwen. Dourno hun sie et awer nees richteg geschriwen.

Müller jang
7. August 2019 - 12.47

Riicht sech u mäi Namensvetter Muller guy!

Müller jang
7. August 2019 - 12.45

Jo, d' Wouerecht schingt wéi ze doen, dat beweist Är Réaktioun!

titi
7. August 2019 - 9.31

Géint Dommheet a Frechheet ass kee Kraut gewuess , well déi schingen bei deene Betraffenenen nët wéi ze doen! Soss kéim Dir aus dem Jätzen nët eraus.

Muller Guy
6. August 2019 - 22.39

@titi; Wourecht deet wéi. Immobilienhaien sin gewinnt nie ze verléieren. titi, wat fir een Numm. Bei Frolic oder Chappie kann ech mir wéinigstens eppes virstellen. Schreiwt eeren Numm w.e.g.

titi
6. August 2019 - 19.14

@ Schmatt. Richteg Äntwert! Dir hutt den Nol op de Kapp getraff. " La bêtise et l'insolence font la paire "!

de Schmatt
6. August 2019 - 19.11

Dir hutt mech absolut nët getrëppelt. Mir geet ët duer wann ech Är Kommentaren 1 mol liesen, ech si nët schwéier vu Begrëff. Lektiounen a Saachen Ironie an Humor brauch Dir mir och nët ze ginn. Een deen déi aner d'Leit als Dëlpessen a Blanien qualifizéiert a soss keng Argumenter huet, soll mat senge Rotschléi méi zeréckhalend sinn. Näischt fir ongutt.

Muller Guy
6. August 2019 - 16.37

@de Schmatt, Ech wollt iech mat mengen 2. Kommentar net treppelen. An Zukunft Kommentaren 2 jo 3 mol liesen wann een en déi 1. Kéier net versteht. Ech hun nemmen, an dat mat Recht, déi gourmandsech an meeschtens och nach onkualifizéiert Immobilienhaien op d'Schepp geholl. Mein Kommentar war net géint d'Baueren gericht, mais au contraire. Ironie!! Wat as dat??

Muller Guy
6. August 2019 - 14.14

@de Schmatt, Ah jo!! ech hat den Schmatt nach vergiess.

de Schmatt
5. August 2019 - 19.33

100% Zustimmung. So kann und darf es einfach nicht weitergehn !

Hans Peter
5. August 2019 - 16.16

Im Speckgürtel Luxemburgs hat mittlerweile ein Bevölkerungsaustausch stattgefunden. Jede freie Lücke wird durch zugezogene gefüllt. Die Gemeinden dort sind am Limit, da die Zugezogenen zwar die Infrastruktur in Anspruch nehmen, aber die Steuern an Luxemburg zahlen. Luxemburgs Wirtschaft generiert jedes Jahr 5000 neue Arbeitsplätze, kümmert sich aber nicht darum, wie und wo die Menschen leben sollen. Es braucht also einen regionalen Masterplan für Siedlungen, Schulen, Kindergärten, Nahverkehr und dahin gehören auch die von den Grenzgängern erwirtschafteten Überschüsse.

de Schmatt
5. August 2019 - 16.03

Also fir Iech si Coiffeuren Dëlpesse, Plätterchersléier a Schräiner ( Doudeluedefabrikanten ) Blanien. Déi verfluchte Baueren si schold un deenen héiche Präisser. Also méi arrogant a simplistesch geet ët jo nët!

Grober J-P.
5. August 2019 - 14.42

Ist schon heftig, meine "Alten" hatten 1958 Bauland gekauft, 310 € / Ar. Der Bauer der das Grundstück verkauft hat wollte damals einen Bonus geben, wenn wir das doppelte gekauft hätten. Was kostet Bauland heute?

Grober J-P.
5. August 2019 - 10.57

Wenn man die Leute gewähren lässt, schöpfen sie aus dem Vollen. Sobald das Baumaterial die Grenze passiert verdoppelt sich der Preis automatisch, versteh das nicht richtig. Werden neuerdings wieder Einfuhrzölle erhoben? Habe grad den Fall gehabt, eine neue Glaswand für eine Dusche kostet in Saarbrücken beim Fachhändler fast die Hälfte weiniger als hier. Ähnlich bei Baumaterialien, wie sagte uns ein hiesiger Bauunternehmer, wir kaufen im Lande unsere Betonblöcke, Qualität lässt sich halt bezahlen.

Jang
5. August 2019 - 8.35

Ein andauerndes Thema seit Jahren,aber kein Politiker hat den Mut sich darum zu kümmern, keiner will der Baumafia weh tun,alle sind darin involviert. So können die Baubonzen munter weiter den Wohnungsmarkt beherrschen.Armselig dieses korrupte Gesellschaft.

Muller Guy
5. August 2019 - 3.53

All Delpes dien fréier Coiffeur war, all Blany den fréier Plätterchen oder Doudenlueden verkaft huet kann haut Immobilienhändler spillen. Dann gesin se dass hieren Konkurrent een geleasten Porsche fiert an well sie voller Minderwertegskeets Komplexer sin muss dann eng Jaguar ugeschaft gin plus eng Maserati vir d'Madame. Dozou nach een Apartement an engem Plattenbau Silo zu La Panne. Alles dat kascht an douvir mussen déi geploten Immobilienhären hier Clienten iwert Ouer haen vir iwerhapt mol iwert d'Ronnen ze kommen. An well d'Immibilienbranche déif an der Kries stecht machen se och nach keen Boni. Déi verfluchten Baueren sin schold un denen verrecktenen Preisser. Sie froen einfach ze vill fir hier Kéiwisen. Eis Regierung muss onbedengt Subsiden ausbezuelen un déi arem Immobilienhaien fir se vir un enger faillite ze retten.

Jemp
4. August 2019 - 16.06

Das war schliesslich 10 Jahre Chef-JUNCKER-Sache!!! Oder hat der seine Hausaufgabeb nicht gemacht??? Fragen Sie mal den CSV-Wohnungsbauexperten LIES. Der stottert Ihnen eine Antwort.

Laird Glenmore
4. August 2019 - 10.49

Es ist traurig das die eigenen Landsleute ins benachbarte Ausland ziehen müssen weil die Mieten und Kaufpreise hier in Luxemburg ins unermessliche steigen, was ist nur aus den Menschen geworden, werden sie nur noch nach der GIER nach noch mehr Geld getrieben. Und wenn man sieht in welchem Zustand manche Objekte sind, da sollten sich einige Besitzer aber schämen das so anzubieten.