Wo das Herz der Kurve in Luxemburg schlägt

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Am Donnerstag tritt mit dem F91 Düdelingen zum ersten Mal ein Luxemburger Verein in der Europa League an. Während die Spitzenmannschaften AC Mailand, Olympiakos Piräus und Betis Sevilla auf dem Rasen punkten wollen, werden ihre Fans und vor allem die Ultras das Josy-Barthel-Stadion in einen Hexenkessel verwandeln. Wir haben uns mit dem Historiker und Fanexperten Dr. Sébastien Louis über die verschiedenen Fanszenen unterhalten.

Ultras sorgen weltweit für farbenfrohe und lautstarke Kurven in den Stadien. Solange der Ball rollt, schwingen sie ihre Fahnen und peitschen ihr Team bedingungslos nach vorne. Die Anfänge der Ultra-Bewegung reichen bis in die 1960er-Jahre zurück. „Hippies konnten sich im konservativen Italien nie durchsetzen. Deshalb hat die Jugend andere Freiräume gesucht, um sich zu entfalten. Diese Räume fanden sie in den Stadien. 1968 tauchten beim AC Mailand und Sampdoria Genua die ersten Gruppierungen auf. Sie nannten sich Commando-Ultras. So kam die Bewegung zu ihrem Namen“, erklärt Dr. Louis dem Tageblatt.

„In Deutschland wird die Ultra-Bewegung als Jugendbewegung wahrgenommen. In Italien ist das anders. Die Ultras des AC Mailand feiern dieses Jahr ihren 50. Geburtstag. Heute treten sie unter dem Namen Curva Sud auf. Einer der Leader der Curva Sud ist ein fast 70-jähriger Mann mit kurzen grauen Haaren, den sie ‚Il Barone‘ nennen“, so der Historiker. Doch nicht nur die Ultras des AC Mailand werden den Weg nach Luxemburg auf sich nehmen. In Belgien existiert ein Ableger der Curva Sud, die sich auch mit Tickets eingedeckt hat. Immer wieder ist in Stadien zu hören, dass Fußball nichts mit Politik zu tun habe. Beides müsse streng voneinander getrennt werden. Dem widerspricht der Historiker jedoch vehement.

Am Anfang waren die Ultras nicht an politischen Themen interessiert. Sie wollten sich ausleben. Man kann sagen, die Ultras haben Einflüsse von der Extrem-Linken übernommen. Sie machen sich für gerechte Ticketpreise stark, unterstützen sozial Schwache. Auf der anderen Seite vertreten sie die Werte der Extrem-Rechten. Heutzutage sind Ultras ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es gibt faschistische, linke und politisch uninteressierte Ultra-Gruppierungen.

Keine Gewalt

„Die Ultras von Olympiakos Piräus nennen sich ‚Gate 7‘. Sie sind offen rechts. Allerdings werden sie keine politischen Symbole im Stadion zeigen. Sie werden auf die szenetypischen Codes zurückgreifen. Die Ultras von Roter Stern Belgrad, Spartak Moskau und Gate 7 haben zusammen die ‚Orthodox Brothers‘ gegründet. Sie teilen die gleiche Gesinnung und unterstützen sich gegenseitig. Auch bei internationalen Spielen“, erklärt der Historiker. Der Name Gate 7 erinnert an eine Tragödie des griechischen Fußballclubs. Am 8. Februar 1981 wurden beim Derby gegen AEK Athen 21 Personen zu Tode getrampelt, weil die Stadiontore sich nicht öffnen ließen und es zu einer Massenpanik gekommen war. Das jüngste Todesopfer war damals 14 Jahre und das älteste 40 Jahre alt.

Neben dem Namen der Ultra-Gruppierung erinnern heute noch 21 schwarze Sitze im Block, die eine Sieben bilden, an diese Tragödie. Gate 7 zählt mit rund 15.000 Mitgliedern zu den legendärsten Ultra-Fan-Gruppierungen Europas. „Zum Auswärtsspiel nach Luxemburg werden vermutlich rund 200 Ultras anreisen. „Die griechischen Fans gelten als sehr reisefreudig. Wegen der Krise können sich viele Fans die teuren Auswärtsfahrten nicht mehr leisten. Olympiakos hat jedoch Tausende Fans rund um den Erdball und es werden viele Fans aus Belgien und Deutschland nach Luxemburg kommen. Man muss mit bis zu 3.000 Schlachtenbummlern rechnen“, schätzt Dr. Louis.

Die Ultras von Betis Sevilla heißen Gol Sur. Sie wurden erst Ende der 80er-Jahre gegründet. Politisch sind sie genau wie Gate 7 eher rechts anzusiedeln. „Betis wird meiner Einschätzung nach nicht von vielen Fans begleitet. In Spanien reisen die Fans ihren Clubs nicht hinterher“, sagt Louis. Im Gegensatz zu Hooligans, denen es nur um Ausübung von Gewalt geht, steht für die Ultras die Unterstützung des Teams an erster Stelle. „Ich rechne nicht mit Gewaltausbrüchen rund um die drei Spiele im ‚Josy Barthel‘, da Düdelingen keine Ultras hat, die sich mit den europäischen Ultras messen wollen. Ob die Stimmung vor dem Spiel kippt und in Gewalt umschlägt, hängt viel von den Polizeibeamten vor Ort und dem Sicherheitspersonal im Stadion ab. Die Frage, die sich stellt, ist, wie die Polizei beim Einsatz von Pyrotechnik reagiert und ob die Ultras ihre Zaunfahnen und Flaggen mit ins Stadion nehmen können“, so Dr. Louis.

Vor allem die Zaunfahne ist den Ultras heilig. Sollte sie abhanden kommen, dann muss sich die Gruppierung auflösen. So will es das ungeschriebene Ultra-Gesetz.

Zur Person

Von 1994 bis 2006 gehörte Sébastien Louis (Foto: Tania Feller) dem Marseiller „Commando Ultra“ als aktives Mitglied an. In dieser Zeit begleitete er seinen Club quer durch ganz Frankreich und sogar zu internationalen Spielen. Vergangenes Jahr hat der Historiker ein Buch mit dem Titel „Ultras, les autres protagonistes du football“ verfasst. Das Werk beschreibt in sieben Kapiteln die Entstehungsgeschichte der Ultras bis zum heutigen globalen Phänomen, ohne dabei jemanden zu verurteilen, sondern dank Auswertung historischer Dokumente.