„Wie Pferderennen mit Eseln“ – Über Klischees und Vernachlässigung im Luxemburger Frauenfußball

„Wie Pferderennen mit Eseln“ – Über Klischees und Vernachlässigung im Luxemburger Frauenfußball

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Hope Solo, Marta, eventuell Birgit Prinz … und dann? Während die Poster der männlichen Kollegen Kinderzimmer zieren, spielt der internationale Damenfußball weltweit eine untergeordnete Rolle. Das ist in Luxemburg nicht anders. Das Tageblatt hat sich mit Verantwortlichen, Trainern und Spielerinnen aus FLF-Kreisen unterhalten und nach Ursachen geforscht, warum man nie über eine Zweiklassengesellschaft herausgekommen ist.

Lesen Sie zum Thema auch unseren Kommentar „Stein im Schuh“.

„Das Hauptproblem liegt wohl in der Anerkennung“ – und zwar nicht nur in puncto externes Erscheinungsbild, sondern auch innerhalb des Verbandes. Nicolas Schockmel ist vor wenigen Wochen für vier Jahre in den „Conseil d’administration“ der FLF wiedergewählt worden und bleibt auch bis 2022 für die Entwicklung des Damenfußballs in Luxemburg zuständig. Eigentlich hatte man Carine Nardecchia auf diesem Posten erwartet, doch der Vorstand zog eine Übergangsperiode vor. Die Luna-Präsidentin ist die erste Frau, die in der 99. Generalversammlung in das zuvor exklusiv von Männern besetzte Gremium gewählt worden ist.

Dass man interne Fehler gemacht hat und die Frauen über Jahre vernachlässigte, gab Schockmel ohne Umschweife zu. „Wir waren einfach zu lange daran gewöhnt, ohne Damenfußball zu leben. Es war über viele Jahrzehnte eine Männersportart. Obwohl die Mädchen ebenso jonglieren können oder eine Spielübersicht haben, werden sie noch zum Teil dafür belächelt.“

„Just-for-Fun-Einstellung“ in den unteren Divisionen

Daran tragen sie laut Schockmel eine Teilschuld. Die „Just-for-fun-Einstellung“ in den unteren Divisionen stehe größeren Zielen im Weg, so seine Analyse. „Die Mädchen müssten mehr Eigeninitiative aufbringen und sich mehr involvieren“, forderte er. Er sprach auch über die Gründe dieser Zweiklassengesellschaft, argumentierte u.a. mit den unterschiedlichen athletischen Voraussetzungen: „Beim Fußball geht es härter zu, als man denkt. Kräftemäßig und bei der Schnelligkeit gibt es große Differenzen.“

Die Einführung des „Festival des fées“ (die Mädchen-Ausgabe der „Journée du football“ in Ettelbrück) für ganz junge Sportlerinnen sowie die Auszeichnung der Spielerin des Jahres (28 Jahre nach der ersten Preisverleihung an die Männer) sollen als Image-Aufwertung durch den Verband gewertet werden.

Entgegen der medialen Präsenz wuchs die Zahl der lizenzierten Mädchen in den vergangenen Jahren rasch. Derzeit zählt der Verband von den rund 40.000 Lizenzen 7,5 Prozent (3.000) im Mädchen- und Damenbereich. Während bei den Jugendlichen die Zahl der Mannschaften in die Höhe schnellte, gingen im Seniorenbereich viele Teams durch die neue Aufteilung verloren. Aktuell sind nur noch 28 Damenmannschaften gemeldet. Den Rekord stellte die FLF 2012/13 mit 45 Teams auf. Bei den Cadettes streiten seit dieser Saison fünf Mannschaften um den Titel, bei den „Jeunes filles“ sind mittlerweile 18 gemeldet. Der Wille, sich schon in frühen Jahren für eine Fußballmannschaft zu entscheiden, steigt. Der wichtige Faktor: Die Eltern scheinen mitzuziehen und scheuen nicht mehr davor zurück, ihre Töchter in Fußballvereinen anzumelden.

Niveausteigerung

Die erste Damenmeisterschaft wurde bereits in der Saison 1972/73 ausgetragen. Der FC Atert Bissen setzte sich gegen sechs Konkurrenten durch und verteidigte den Titel auch im Folgejahr. Progrès Niederkorn wurde in den späten Siebzigern zum absoluten Überflieger der Liga und nahm infolgedessen an ausländischen Meisterschaften teil. Erst seit 1998/99 und dem ersten Titel des F91 Düdelingen fand der Meisterschaftsbetrieb ohne Unterbrechung statt.

Das spielerische Niveau stieg allmählich – zumindest laut den Aussagen der aktiven Spielerinnen aus der ersten Liga. Das beweist auch die Tatsache, dass sich der Konkurrenzkampf zuspitzte. Den letzten Titel sicherte sich Junglinster mit zwei Punkten Vorsprung auf die Bettemburgerinnen. Auch für ausländische Spielerinnen wurde die Luxemburger Meisterschaft attraktiv. Im Kader von Progrès-Trainer Steve Senisi stehen derzeit acht Nicht-Luxemburgerinnen. „Drei Trainingseinheiten pro Woche sind die Regel“, erklärte die 30-jährige Rekordnationalspielerin Jessica Birkel (40 Einsätze), die im Sommer ihren internationalen Rücktritt bekannt gab. Sie schoss 2006 das allererste internationale FLF-Tor beim 4:2-Sieg (EM-Vorqualifikation) gegen Malta.

Die Mittelfeldspielerin aus Junglinster bestätigte, dass aufgrund der vielen Nachwuchsspielerinnen, die in den letzten Jahren aus den Kategorien der „Jeunes filles“ dazugestoßen sind, auch die Qualität im Oberhaus zugenommen habe. „Sie werden früh in das Vereinsleben eingebunden. Während es vor 15 Jahren noch die Ausnahme war, ist es mittlerweile zur Normalität geworden, dass bei den Bambinis Mädchen mitspielen.“ Sie selbst war bis zu ihrem elften Lebensjahr in einem Tischtennisverein aktiv, bevor sie in Hosingen ihre erste Fußballlizenz beantragte. „Seit ich fünf oder sechs war, habe ich draußen mit den Jungs auf der Straße gekickt. Ab zwölf spielte ich dann offiziell in einer Mannschaft.“

Niveausteigerung reicht nicht aus

Beim Blick auf die internationalen Resultate wird allerdings deutlich, dass die Niveausteigerung durch die Nachkömmlinge nicht ausreicht, um bei Champions-League-Qualifikationen konkurrenzfähig zu sein: Bettemburg (2017), Junglinster (2015) und Niederkorn (2001, 2011) traten die Heimreise von ihren Mini-Turnieren jedes Mal als Gruppenletzter mit einem katastrophalen Torverhältnis und ohne einen einzigen Punkt an. Hayette Ghodbane (Junglinster) ging in die nationale Geschichte ein: Sie schoss das erste (und bislang einzige) Europapokaltor einer Luxemburger Damenmannschaft.

Daniel Nunes, der die Bettemburgerinnen im vergangenen Sommer als Trainer nach Sarajevo begleitet hatte, versuchte, zu erklären: „Die Gegnerinnen trainieren unter professionellen Bedingungen, oder zumindest halb-professionell. Es ist mehr Geld im Spiel …“ Dann fügte er die gleiche Schlussfolgerung hinzu, die auch Schockmel bereits angesprochen hatte: „Solange sich die Mentalität nicht ändert, wird sich das nicht verbessern. D.h., die Mädchen müssten sich komplett in ihren Sport investieren und nicht jede kleinste Entschuldigung ausnutzen, um nicht zu trainieren. Wenn wir Glück haben, sind einige zweimal die Woche beim Training … Fußball ist bei vielen keine Priorität, sondern ein Hobby.“ Die Spitzenteams haben sich jedenfalls einsetzen müssen: Junglinster hatte für den ersten Königsklassen-Auftritt große Spendenaufrufe gestartet, Bettemburg organisierte ein Turnier, buhlte um Sponsoren und verdiente sich Geld auf Braderien. Für den Aufenthalt in Bosnien-Herzegowina wurden damals 40.000 Euro benötigt.

Förderung

An den vorhandenen Ungerechtigkeiten und (leider noch immer vorherrschenden) Klischees änderte das zunehmende Interesse der jungen Mädchen an der von Männern dominierten Domäne nichts. „Frauenfußball ist wie Pferderennen mit Eseln“ ist nur einer der Kommentare, die die ehemalige Spielerin des FC Mamer, Magali Walch, im Laufe ihrer Karriere zu hören bekam. Auch das bestehende Bild von „Mannsweibern“ oder „Lesben“ in dieser Sportart sei noch immer tief verankert.

Langsamer – als bei der charmanten Rennbahn-Aussage angedeutet – geht es im Vergleich zur Herrenelite jedenfalls auch beim Thema Förderung zu. Fakt ist, dass trotz einer Verdreifachung der Lizenzierten in weniger als zehn Jahren noch immer keine nationale Fußballschule für talentierte Mädchen angeboten wird. Derzeit ist Charlotte Schmit (U13) die Einzige, die in Monnerich mit gleichaltrigen Jungs trainiert. Sie gewann 2017 bereits den „Concours du jeune footballeur“. Schockmel gab fehlende Einrichtungen als Grund an. Bei den 150 Jungs sei es nicht so einfach, eine Lösung für die Mädchen zu finden. Sein letztes Ziel in der abschließenden Amtszeit sei daher, ein Ausbildungszentrum auf die Beine zu stellen, in der Ausbildungen für Spielerinnen ab zwölf Jahren angeboten werden (wie es bereits seit 2000/2001 für die FLF-Nachwuchskicker besteht). Dieses nationale Zentrum sollte bestmöglich neben regionalen Einrichtungen funktionieren.

Zukunftsorientierte Nationalmannschaft

Vor rund einem Monat hat man als Fußballverband in diesem Sinne einen Riesenrückstand wettgemacht und die erste U14-Auswahl in einem Testspiel in Lothringen antreten lassen. „Wir wollen eine zukunftsorientierte Nationalmannschaft aufbauen, mit Spielerinnen, die aus den jüngsten Kategorien stammen“, fuhr Schockmel fort.

Doch auch bei der Rekrutierung für die A-Elf von Nationaltrainer Sami Smaïli hapert es: Da die Damen nicht gleich die Qualifikationsrunde für die Europameisterschaft bestreiten, sondern sich die dortige Teilnahme erst über eine Vorrunde sichern müssen, gewährt das Ministerium ihnen auch keinen „Congé sportif“ – so will es das Gesetz. Ein Riesennachteil für den Nationaltrainer, da nicht alle berufstätigen Frauen bereit sind, die Hälfte ihres Urlaubs für die Nationalmannschaft zu opfern. Im Sportlycée ist das Kontingent der Fußballer ausgeschöpft: Für Mädchen blieb bisher kein Platz.

Keine Legionäre in der Nationalauswahl

Im 18-köpfigen Kader, den Smaïli letzte Woche bekanntgab, ist nur Jessica Berscheid bei einem ausländischen Verein im Einsatz, die 21-jährige Abwehrspezialistin ist allerdings keine Stammkraft. Bis auf Amy Thompson, die bei den Stony Brook Seawolves an der gleichnamigen amerikanischen Universität zur Spielerin der Saison 2016 gewählt worden ist, gelang noch keiner Luxemburgerin der große Durchbruch. Die ehemalige Studentin ist nach einem Jahr als Co-Trainerin wieder fester Bestandteil des Progrès-Kaders.

Mit Gabriela Crespo und Sadine Correia sind derzeit zwei Nationalspielerinnen in der Elitesektion der Armee vertreten. Während die Racing-Akteurin Crespo wegen einer schweren Knieverletzung ausfällt (die sie sich im Oktober bei der 0:4-Niederlage gegen Estland zugezogen hatte), reiste die Bettemburgerin Correia vergangene Woche mit den Nationalmannschaftskolleginnen nach Singapur, wo man ein Freundschaftsturnier gegen Indonesien, Singapur und die Malediven gewann. Als Weltranglisten-109. von 147 FIFA-Mannschaften liegen aus europäischer Sicht nur vier Zwerge hinter Luxemburg: Zypern (110.), Mazedonien (115.), Kosovo (118.) und Andorra (144.).

Finanzielle Aspekte

„Der Präsident (Paul Philipp) sorgt seit Jahren dafür, dass das Budget der Damen ausreicht“, war eine der Kernaussagen von Nicolas Schockmel, der hinzufügte, dass rund 250.000 Euro jährlich für die Spiele, Reisen, Material oder die Trainer der Nationalmannschaft im Budget einkalkuliert werden. Er betonte, dass in den letzten fünf Jahren große Schritte gemacht wurden. Zum Vergleich: Für den Kader von Luc Holtz und die U21 wurden 2016/17 allein 114.083 Euro als Trainingskosten verbucht. Wie ehemalige Nationalspielerinnen berichteten, wird ihnen die Ausstattung nur während der Trainingslager zur Verfügung gestellt. Dies ist bei der Herrenauswahl anders.

Auch die finanziellen Entschädigungen in der Ligue 1 sind ein Tabuthema, obwohl laut den Recherchen von Walch im Rahmen ihres „Travail de candidature“ als Sportlehrerin mit dem Titel „Die Entwicklung des Frauenfußballs in Luxemburg“ im vergangenen Jahr bereits bei 67% dieser Vereine kleine Geldbeträge flossen.

„Als Vereinspräsident hat man nicht unbedingt Interesse daran, allen Spielerinnen Entschädigungen zukommen zu lassen. Mit den wenigen, die etwas bekommen, wird dann Stillschweigen vereinbart“, analysierte Walch im Tageblatt-Interview. „Viele Spielerinnen wissen nicht einmal, dass ihre Kollegin etwas bekommt.“ Das geht von Kilometergeld über Einsatzprämien, „wodurch versucht wird, Leistungsträgerinnen in der Mannschaft zu behalten oder neue zu rekrutieren“, schrieb sie dazu in ihrer fast 200-seitigen Arbeit. Die internen „Gehälter“-Unterschiede, fehlende Motivation bei Spielerinnen und Verantwortlichen oder altbackene Einstellungen gegenüber Frauenfußball: Die Entwicklung des Luxemburger Damenfußballs ist noch lange nicht abgeschlossen. Zumindest scheint es in puncto Akzeptanz und Jugendarbeit in die richtige Richtung zu gehen. Auf internationaler Ebene wird es wohl aber aufgrund der verpassten Gelegenheiten in der Vergangenheit noch Jahre dauern, um gegen die Spitzenmannschaften aus der aktuellen Rolle des Punktelieferanten herauszuschlüpfen.

Ein Stein im Schuh – Damenfußball in Luxemburg