Webers Versprechen für die Europäische Union – und die Realität

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Die umstrittene Gaspipeline Nord Stream stoppen, den Krebs bekämpfen, Plastikmüll eindämmen: Der Spitzenkandidat der Konservativen für die Europawahl hat viel vor. Umsetzen wird er nicht alles können.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Athen

Der Kandidat liebt die große Geste. Ausgerechnet im Zappeion, einem monumentalen, mit riesigen Säulen verzierten Gebäude im Herzen von Athen, hält Manfred Weber seine erste große Kundgebung für die Europawahl ab. 1979 wurde hier der Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet – nun soll an diesem Ort die europäische Demokratie erneuert werden.

Nicht mehr die Bürokraten in Brüssel, sondern die Bürger und ihr neuer Kommissionspräsident sollen die Geschicke der EU bestimmen, verspricht Weber. Wenn er Ende Mai gewählt werden sollte, werde er 1.000 überflüssige EU-Regulierungen abschaffen. Welche das sein sollen, bleibt allerdings offen – wie so vieles an diesem Abend.
Große Wahlversprechen

Überraschend weitreichende Wahlversprechen

Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei überrascht mit weit reichenden Wahlversprechen. Doch bei der Umsetzung bleiben viele Fragezeichen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei will er beenden – dabei kann die EU-Kommission dafür nur eine Empfehlung aussprechen, das letzte Wort haben die Staats- und Regierungschefs.

Die vor allem in Osteuropa und den USA angefeindete deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 will er stoppen. Allerdings ist die Ostseeröhre schon in Bau, die Aufsicht liegt bei den deutschen Behörden. Und selbst Jean-Claude Juncker, der noch amtierende Kommissionspräsident, hat es nicht geschafft, Nord Stream zu verhindern.

Mehr Frontex-Leute schon bis 2022

Wenig realistisch auch Webers Forderung, den europäischen Grenzschutz schneller auszubauen. Bereits 2022 – und nicht, wie gerade beschlossen, erst 2027 – soll die EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf 10.000 Mann aufgestockt werden. Doch wie soll das gehen? Webers Parteifreund, der deutsche Innenminister Horst Seehofer, hält bestenfalls 2025 für machbar. Schneller kann auch Berlin nicht liefern.

Doch Weber ficht das nicht an. Es sei „inakzeptabel“, die EU-Außengrenze erst so spät vor „illegalen Migranten“ abzuriegeln, ruft er den 1.000 geladenen Gästen – vor allem Anhänger der konservativen griechischen Oppositionspartei Nea Dimokratia – zu. Man dürfe es nicht „den Schleppern“ überlassen, zu entscheiden, wer nach Europa komme.

Dafür erntet Weber viel Beifall. Applaus gibt es auch, als er ein europäisches FBI zur Terrorbekämpfung fordert. Oder einen „Masterplan“ gegen Krebs. Oder ein weltweites Verbot von Einweg-Plastik nach EU-Vorbild. All das seien Ideen, die ihm bei seiner „Listening Tour“, also bei Treffen mit Bürgern, gekommen seien, so der EVP-Politiker.

Aus diesen Begegnungen will Weber auch „ein Mandat“ ableiten – seine Wahlversprechen sollen nicht nur ihn, sondern auch die Staats- und Regierungschefs binden. Gleich nach der Europawahl im Mai will er mit den EU-Staats- und Regierungschefs eine Art Regierungsprogramm festzurren, das natürlich auf seinem Wahlprogramm basieren soll. „Strong, smart and kind“ soll die EU werden – also stark, clever und bürgerfreundlich.

EU-Chefs reden mit

Auf keinen Fall dürfe man weitermachen wie bisher – und sich die EU-Politik von „den Bürokraten“ in Brüssel vorschreiben lassen. Erst vor ein paar Tagen, berichtet Weber verärgert, habe er ein Programm der EU-Kommission für die nächsten fünf Jahre erhalten. „Das ist völlig absurd“, empört sich der Kandidat. Jetzt hätten die Wähler das Wort, die Politik müsse dann folgen.

Auch das kommt gut an in Athen. Doch mit der Realität in Brüssel hat es nicht viel zu tun. Sollte Weber im Mai die Wahl gewinnen und danach tatsächlich zum Kommissionschef gewählt werden, so bekäme er es zunächst mit Martin Selmayr zu tun, dem mächtigen Generalsekretär der EU-Kommission. Der deutsche Jurist zieht in der Brüsseler Behörde alle Fäden – Weber kommt nicht an ihm vorbei.

Zudem werden es sich die EU-Chefs nicht nehmen lassen, selbst die Prioritäten für die nächsten Jahre festzulegen. Damit fangen sie sogar schon auf einem Sondergipfel am 9. Mai in Sibiu (Rumänien) an. Und im Herbst entscheiden die EU-Staats- und Regierungschefs dann über das nächste EU-Rahmenbudget für die Jahre 2021 bis 2027. Dabei werden dann die Prioritäten festgeklopft.

Brexit-Aufschub macht Webers Wahl unwahrscheinlicher

Das Hauptproblem für Weber dürfte aber sein, überhaupt gewählt zu werden. Denn mit der Entscheidung, den Brexit auf den Herbst zu vertagen und die Briten zur Teilnahme an der Europawahl zu verpflichten, sind Webers Chancen kleiner geworden. Nach den letzten Umfragen in Großbritannien liegen die Brexiters vorn, auch die Sozialdemokraten rechnen sich gute Chancen aus.

Beides würde Frans Timmermans nutzen – dem Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten. Er ist Webers schärfster Rivale. Und dann ist da noch Emmanuel Macron, der französische Staatschef. Macron hält überhaupt nichts von den Spitzenkandidaten, er will selbst den nächsten EU-Kommissionschef aussuchen. Auf Weber kommt noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu.