Wählermobil statt Häuserwahlkampf

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Weshalb es keine gute Idee ist, wie ein Staubsaugerverkäufer an jeder Tür zu klingeln, verrät Carole Thoma (26). Die Sprecherin von „déi Lénk“ schließt gerade ihr Studium ab und schwankt zwischen Stress und Wahlkampflangweile.

Es wäre in Luxemburg fast undenkbar. Stellen Sie sich vor, jede Partei stünde irgendwann im Wahlkampf vor Ihrer Tür. Wie die Zeugen Jehovas, dafür mit halbwegs irdischen Ideen. „Häuserwahlkampf? Das muss man können.“ Carole Thoma findet die Idee spannend und doch absurd. „Den ganzen Tag gut gelaunt an Türen klingeln gehen, ist ja fast schon wie Staubsauger zu verkaufen.“ Wer die Gunst der Menschen gewinnen wolle, müsse mit Fingerspitzengefühl vorgehen. „Wo liegt die Grenze zwischen auf die Menschen zugehen und ‚hinnen op d’Schlappe goen‘?“ Die meisten Luxemburger könnten vielleicht noch mit einem Politiker pro Tag leben. Was, wenn es aber gleich drei oder noch mehr wären? Thoma lacht. „Es ist schwer, die goldene Mitte zu finden. Man braucht ein Gleichgewicht. Deswegen sind die sozialen Medien so gut.“

Die Leute könnten alles selbst durchlesen und aus Eigeninitiative handeln. „Aber auch hier darf man die Menschen nicht zu viel nerven. Das ist kontraproduktiv. Es gibt ohnehin Politikverdrossenheit. Die wird durch solche Facebook-Aktionen nicht kleiner.“ Dass der Gemeindewahlkampf in Luxemburg alles andere als spektakulär verläuft, hängt auch mit den Themen zusammen. „Es war viel Arbeit. Aber ich habe den Wahlkampf weitgehend langweilig gefunden.“

Starke Emotionen beim Referendum

Beim Referendum seien die Emotionen hingegen extrem stark gewesen. „Wir wurden damals sogar angeschrien: ‚Uaaaah, déi Lénk, dreckeg Kommunisten!‘ Dieser Wahlkampf war eher so: ‚Jo, boff. Dee musse mer alt och maachen.'“

Dennoch ist der Wahlkampf für die linke Partei kein Business as usual. Denn auch Thoma opfert wie viele andere Politiker einen Großteil ihres Privatlebens dafür. „Bei mir ist es ein wenig extrem, weil ich gerade meine Diplomarbeit schreibe. Ich habe nur drei Monate Bearbeitungszeit dafür. Der Wahlkampf liegt mittendrin.“ Sie schmunzelt, wirkt aber leicht gequält. „Eigentlich sollte ich mich voll auf meine Abschlussarbeit konzentrieren. Ich arbeite aber normale Bürostunden, jeden Tag ruft ein Journalist mich an.“ Dass dies Klagen auf hohem Niveau sei, streitet Thoma nicht ab. „Ich beschwere mich nicht. Wenn man aber gleichzeitig seine Diplomarbeit schreiben will …“ Sie holt tief Luft und seufzt kurz. Dann schmunzelt sie wieder. Hinzu kämen Versammlungen am Abend. All dies erhöhe den Druck. „Mein Privatleben liegt momentan ein wenig flach.“

Gefahr Berufspolitiker

Dennoch könnte Thoma davon profitieren, dass sie seit drei Jahren Sprecherin von „déi Lénk“ ist. Es gibt ihr eine andere Visibilität. Zudem hat sie bereits 2011 kandidiert und ein anständiges Resultat eingefahren. Dass die junge Politikerin ihr Leben vorerst nur bis zum 30. November planen kann, verrät viel über die nötige Flexibilität eines jungen Wahlkämpfers. Bis dahin muss sie spätestens ihre Diplomarbeit abgeben. Sollte sie bei den Wahlen ein wenig Glück haben und die Jobsuche erfolgreich sein, ist Zeitmanagement gefragt. „Falls ich gewählt werde, wird das spannend, wenn ich auch noch anfangen soll, nebenbei zu arbeiten.“ Insofern wirkt es konsequent, dass auch „déi Lénk“ gegen Doppelmandate ist. Man könne zwar noch Abgeordneter und Gemeinderatsmitglied sein.

Aber das war es dann auch schon. Thoma glaubt, dass diese Kombination funktionieren kann. „Im Schöffenrat ist dies bis auf kleine Ausnahmen nicht mehr möglich.“ Thoma nimmt ihre Gemeinde als Beispiel. „Unser Bürgermeister in Düdelingen hat eine 40-Stunden-Woche. Wenn er nächstes Jahr auch noch bei den Nationalwahlen dabei ist, kommen noch 20 Stunden Chamber dazu. Ich kann mir nicht vorstellen, wie so etwas machbar ist.“

Linken-Abgeordnete haben „größere Arbeitsbelastung“

Thoma präzisiert zudem, dass die Abgeordneten von „déi Lénk“ eine etwas größere Arbeitsbelastung in der Chamber hätten, da sie nur zu zweit seien. „Das sind für die beiden mehr als 20 Stunden pro Woche. Bei dieser Herangehensweise kommt etwas zu kurz.“ Allerdings seien die Zustände bei den anderen Parteien, was Doppelmandate angehe, nicht mehr vertretbar. „Meistens leidet die Arbeit in der Chamber darunter, weil sie eine größere Mannschaft haben. Wenn man sich die ‚députés-maires‘ anschaut, stelle ich fest, dass die meisten, nicht in der Chamber reden.“ Thoma geht noch weiter. „Ich glaube, dass Lokal- und Nationalpolitik zwei verschiedene Sachen sind. Lokalpolitik ist viel näher an den Menschen, weil man noch stärker den Kontakt zu den Bürgern hat. Die Chamber ist ein wenig abstrakter.“

Deswegen habe sich „déi Lénk“ für ein Rotationssystem in der Chamber entschieden. Es erlaube den Abgeordneten, auch ins normale Berufsleben zurückzukehren. „So verliert man nicht den Kontakt zu den Menschen. Die Gefahr ist real, wenn man zu lange in der Chamber sitzt.“ Sie glaubt zudem, dass man nicht unbedingt Mitglied des Gemeinderats gewesen sein muss, um in die Chamber einzuziehen.

Plakate und Nervosität

Dass „déi Lénk“ nicht nur in der Chamber auf konventionelle Methoden verzichtet, zeigt sich im kommunalen Wahlkampf. „Bei uns hat der Wahlkampf früh angefangen, weil wir das Wahlkampfabkommen nicht unterzeichnet haben. Da hatten wir uns einen größeren Aufschrei erwartet.“ Er ließ jedoch nicht lange auf sich warten. „Der Aufschrei kam erst, als wir unsere Wahlplakate einen Tag früher aufgebaut haben.“ Thoma kritisiert, dass dies ein Beweis dafür sei, wie der Gemeindewahlkampf ablaufe. „Als ob die Plakate, die herumstehen, alles wären.“

Wenn dem jedoch so ist, wieso kann man sich nicht wie alle anderen einen Tag gedulden? „Man muss zwar Visibilität haben. Ich glaube aber nicht, dass die Wahlplakate so einen großen Einfluss haben.“ Die anderen Parteien überzeugt das Argument nicht wirklich. Viele seien deswegen not amused gewesen. „Sie meckerten: ‚Kann ja nicht sein, dass die einen Tag vorher ihre Plakate aufstellen.‘ Andere Parteien haben sich sogar ‚de Wecker gesat‘.“ Kurz nach Mitternacht habe man sich auf den Weg gemacht, um die Plakate aufzustellen.

Im Vergleich zu Schwergewichten wie der LSAP und der CSV haben Luxemburgs Linke nicht die gleichen finanziellen Mittel. Im Zeitalter der sozialen Medien könne jedoch viel kompensiert werden, da der Kostenaufwand weniger intensiv, dafür aber mehr Kreativität gefragt sei. „Wir hatten einen Kommunikationsexperten, der für uns gearbeitet hat. Er studiert noch und hat sehr viel auf Facebook probiert, um das Beste herauszuholen.“ Die Taktik habe sich zunehmend als erfolgreich herausgestellt. „Wir sind eine der Parteien mit den meisten Likes und wo am meisten diskutiert wird. Ich glaube, dass das eine Säule ist, an der wir weiterarbeiten müssen.“

In Luxemburg funktioniert der Wahlkampf auch analog

Dennoch sei Luxemburg kein Land, das im Wahlkampf rein digital funktioniere. „Hier wird noch auf die ‚Toutes-boîtes-Flyer‘-Taktik gesetzt. Ich habe auch nicht viele Wahlprogramme gesehen. Es gibt Sektionen, die keine Wahlprogramme machen.“ Allerdings sei Luxemburg nicht weniger anfällig für Entwicklungen, wie man sie aus dem Ausland kenne. „Man kann bei den Plakaten auch nur über Gesichter werben. Das ist eine andere Mission von Politik, wie wir sie uns vorstellen. Wir glauben, dass es eher um Inhalte geht. Aber das nimmt immer stärker ab, es geht immer mehr um Köpfe.“
Und so muss auch die Linke mit Köpfen und Gesichtern werben – ob sie es will oder nicht.

Es müssten auch nicht immer nur der Kugelschreiber und die Luftballons sein. Für Thoma bringt es nichts mehr, sich mit den anderen Parteien auf der Braderie in die Reihe zu stellen. Mittlerweile setzt „déi Lénk“ auf eine Art Wahlmobil mit austauschbarem Dekor. „Auf der letzten Braderie hatten wir einen mobilen Stand mit einem kleinen Wagen. Wir haben ein Haus gebastelt, das wir auf den Wagen gestellt haben. Damit sind wir ganz einfach durch die Menschenmengen gezogen. Das Resultat war erfrischend: Wir haben über die Altersgrenzen hinweg neue Menschen kennengelernt.“

Dickie Hoppenstedt
5. Oktober 2017 - 17.47

" Es saugt und bläst der Heinzelmann,wo Mutti sonst nur blasen kann." Das war Loriots Slogan beim Staubsaugerverkauf. Kann man jetzt nicht so direkt bei Wahlkampagnen einsetzen,oder? Und wenn man seine Plakate einen Tag vor den anderen aufhängt läuft man auch nicht Gefahr, dass "falsch informierte "Arbeiter die Plakate anderer Parteien überkleben. Laut Umfrage des TB wissen 60% der Wähler schon vor der Plakatkleberei wen sie wählen,also... Hat Sie der Slogan " De séchere Wee" etwa beeinflusst CSV zu wählen? Kaum.

Jérôme
5. Oktober 2017 - 15.46

Bei mir kann jeder an der Tür klingeln so lange er will. Er muss nur sehr viel Geduld mitbringen, denn meine Klingel ist immer ausgeschaltet. Niemand ist nämlich verpflichtet überhaupt eine Klingel zu haben.