Von Narben übersät: Wie ein 14-Jähriger aus Sanem im Düdelinger Kletterpark abstürzte – und seitdem für eine Entschädigung kämpft

Von Narben übersät: Wie ein 14-Jähriger aus Sanem im Düdelinger Kletterpark abstürzte – und seitdem für eine Entschädigung kämpft

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„Defender bei Sport Lisboa e Benfica“ kann man im Facebook-Profil von Dayron Neves Lima lesen. Doch der Traum vom Fußballprofi ist für den heute 15 Jahre alten Sanemer am 14. August vor einem Jahr jäh geplatzt. Fast hätte der heutige Schüler des Lycée Bel-Val bei seinem Sturz im Düdelinger Kletterpark das Leben verloren. Er überlebte, doch die Wunden, die er bei dem Unfall erlitt, ziehen lebenslängliche Konsequenzen nach sich.

Brüche – teils offene – an beiden Armen, der linken Hand, dem linken Bein, dem linken Fuß. Dazu Verrenkungen, Verstauchungen und weitere, leichtere Verletzungen am ganzen Körper. Das alles stellte man in der Notaufnahme des Kirchberger Krankenhauses statt, in das Dayron Neves Lima nach seinem Sturz aus mehr oder weniger zehn Metern Höhe mit dem Rettungshubschrauber geflogen wurde. Der Sturz ereignete sich am frühen Nachmittag des 14. August 2017 im Düdelinger Kletterpark.

Der Junge genoss die Sommerferien, hatte gerade die Grundschule hinter sich gelassen und freute sich auf das erste Jahr im Lycée Bel-Val. Er besuchte, so wie viele andere Schüler aus der Gemeinde Sanem, die Freizeitnachmittage, die alljährlich durch die Gemeindeverwaltung organisiert werden.

Zusammen mit 18 weiteren Kindern und Jugendlichen stand an jenem schicksalhaften 14. August ein Ausflug in den bekannten Kletterpark in Düdelingen auf dem Programm. Dort war Dayron bis dahin noch nie gewesen, hatte aber bereits Erfahrungen im Kletterpark von Vianden gemacht.

Die 19 Schüler aus der Gemeinde Sanem wurden bei dem Ausflug von drei Erziehern („Educateurs“) und zwei Tutoren („Monitrices“) begleitet. Sie wurden nach ihrer Ankunft in Düdelingen durch das Kletterpark-Personal in zwei Gruppen unterteilt, die eine sollte den „roten“, die andere den „blauen“ Parcours machen. Die Farben stellen verschiedene Schwierigkeitsgrade dar. Auf der offiziellen Webseite des Kletterparks wird folgende Erklärung hierzu geliefert: „Die weiße Strecke ist für Kinder ab 4 Jahren, die grüne Strecke ist für Kinder ab 9 Jahren ausgelegt, die blaue Piste richtet sich an Kinder ab 11 Jahren und die rote Piste ist für Jugendliche ab 16 reserviert.“

Rote Piste eigentlich erst ab 16 zugänglich

Dayron – damals 14 – wurde zusammen mit einigen anderen Kindern und u.a. einem „Educateur diplômé“ der roten Piste zugeteilt. Dies, obwohl diese eigentlich erst für Jugendliche ab 16 zugänglich sein soll. Den verschiedenen von der Polizei nach dem Unfall aufgenommenen Zeugenaussagen der Erzieher und Tutoren zufolge hatte man ihnen auch überhaupt nicht erklärt, was es mit den diversen Farben auf sich hat.

Aus diesen Zeugenaussagen geht ebenfalls hervor, dass diejenigen, die der blauen Piste zugeteilt wurden, andere Klettergurte bekamen als diejenigen der roten. Und sein Gurt, so erklärt Dayron dem Tageblatt gegenüber in einem Gespräch, sei ihm gleich zu Anfang „seltsam“ vorgekommen und er habe das Kletterpark-Personal auch darauf aufmerksam gemacht. „Je leur ai dit que c’est bizarre!“ Dieses habe jedoch nicht darauf reagiert.

So nahm das Schicksal seinen Lauf. Bis zum letzten Hindernis sollte auch alles gut gehen. Doch dann geschah das, was Dayrons Leben für immer ändern sollte. Am letzten Hindernis gab es eine Art Seilbahn. Die Kinder mussten sich hier mit den jeweils zwei Karabinerhaken an dem Seil befestigen, um damit dann im schrägen Winkel zum Boden zu gleiten. Er, so Dayron, habe seine Haken auch ordnungsgemäß befestigt, sei von der Plattform gestiegen, um hinabzugleiten.

Dann stürzte er in die Tiefe. Durch das dumpfe Geräusch des auf den Waldboden knallenden Körpers und Dayrons Schreie wurden sowohl das Kletterpark-Personal als auch die die Gruppe begleitenden Betreuer auf das schreckliche Geschehen aufmerksam.

Sofort wurde der Notdienst alarmiert und die Sanemer Erzieher und Tutoren versuchten Dayron bei Bewusstsein zu erhalten, indem sie mit ihm redeten. Nach Eintreffen der Rettungskräfte wurde gleich der Hubschrauber angefordert, der den Jungen zum Kirchberger Spital flog. Noch am selben Tag wurde er notoperiert, viele weitere OPs sollten folgen.

Die (unbeantwortete) Frage nach der Schuld

Auch heute noch ist der Leidensweg nicht vorbei, im Dezember steht wieder ein chirurgischer Eingriff an beiden Handgelenken an. Der Vorfall, der Dayron auch das Leben hätte kosten können, hat weitreichende Konsequenzen: Der Jugendliche, der zurzeit die 8e des Lycée Bel-Val besucht, wird sein Leben lang daran zu leiden haben und niemals schwere körperliche Arbeit ausüben können.

Rund anderthalb Monate verbrachte Dayron im Krankenhaus, etwa genauso lange dauerte der Aufenthalt im „Rehazenter“. Sein Vater blieb – auf eigene Kosten, rund 3.000 Euro – die ganze Zeit über bei ihm.

Was die Frage der Schuld an dem Unfall angeht, so sind heute, mehr als ein Jahr nach dem Geschehen, noch viele Fragen offen. Während Dayron betont, dass die Karabinerhaken, mit denen er sich am Seil befestigt hatte, kaputtgegangen seien, und es so zu dem Sturz kam, gehen die Verantwortlichen des Kletterparks von Selbstverschuldung durch das Unfallopfer aus. Das Bezirksgericht Luxemburg hat die Angelegenheit am 6. März 2018 klassiert: „L’analyse de l’enquête menée ne permet pas de conclure à une quelconque faute ou négligence en relation causale avec les blessures subies. Au vu des éléments du dossier, aucun autre devoir ne s’impose.“ So die Begründung der Entscheidung des Gerichtes. Letzteres beruft sich auf das Protokoll der Polizei Düdelingen.

Die Familie kämpft auf zivilrechtlichem Plan

Damit wollen sich Dayron und seine Eltern aber nicht zufrieden geben. Der Vater betont, dass sie niemals die betreffenden Karabinerhaken zu Gesicht bekommen hätten. Er bedauert ebenfalls, dass sich niemand, weder vonseiten der Sanemer Gemeindeverwaltung noch vonseiten des Kletterparks, in den Wochen und Monaten nach dem Unfall für das Schicksal seines Jungen und der Familie interessiert habe. Dayron selbst – der ja bereits im Viandener Kletterpark Erfahrungen gesammelt hatte – bleibt bei seiner Aussage, die Haken seien defekt gewesen und er habe das ja bereits vor Antreten des Kurses angedeutet gehabt.

Liest man die verschiedenen Zeugenaussagen der die Kinder begleitenden Erzieher und Tutoren durch, so bekommt man das Gefühl, dass am 14. August 2017 eventuell nicht die höchstmögliche Sorgfalt ans Werk gelegt wurde.

So heißt es in der Zeugenaussage einer Erzieherin u.a. (frei aus dem Luxemburgischen übersetzt): „Ich möchte präzisieren, dass, als wir unterwegs waren, zu keinem Zeitpunkt das Seil am Klettergurt kontrolliert wurde.“

Auch wenn es strafrechtlich zu keinem Prozess wegen des tragischen Unfalls kommen wird, möchte die Familie dennoch um ihr Recht und um eine angemessene Entschädigung für Dayron kämpfen.

Deswegen hat sie mit Maître Arsène Kronshagen einen erfahrenen Anwalt herangezogen, der derzeit dabei ist, ein Dossier zusammenzustellen, um zivilrechtlich vorgehen zu können. Das Tageblatt wird in dieser traurigen Affäre am Ball bleiben und seine Leser bei einer neuen Entwicklung informieren.