Verprügelt, erniedrigt, missbraucht: Eine Frau auf der Flucht erzählt

Verprügelt, erniedrigt, missbraucht: Eine Frau auf der Flucht erzählt

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Zahra* (24) ist mit ihrem Mann aus Syrien in den Libanon geflohen: Seine körperliche, sexuelle, psychische und wirtschaftliche Gewalt sind für sie schlimmer als der Krieg.

Von Tageblatt-Chefredakteur Dhiraj Sabharwal, Libanon

* Der Name wurde von der Redaktion geändert.

Es sind nur wenige Kilometer bis zur syrischen Grenze: Die Bekaa-Ebene im Libanon ist für viele Flüchtlinge ihre neue Heimat. Zumindest vorläufig. Die Menschen verharren im unmittelbaren Grenzgebiet in UN-Flüchtlingscamps – doch Zahra gehört nicht zu ihnen. Während die meisten dort in Notunterkünften auf das Ende des Kriegs warten, lebt die junge Syrerin im Caritas-Frauenhaus in Beyfoun.

Mit ihr ins Gespräch zu kommen, erweist sich als schwierig. Die Mitarbeiter des Frauenhauses schützen ihre Bewohnerinnen. Man vermeidet den direkten Kontakt mit der Presse. Ihre Angst vor Sensationstouristen ist nachvollziehbar. Für wen man denn eigentlich arbeite, ob man den geopolitischen Kontext verstehe und bereits mit Menschen, die einen solchen Leidensweg hinter sich hätten, gesprochen habe.

Schüchtern, aber nicht eingeschüchtert

Nach 15 Minuten kommt Zahra samt Dolmetscherin in ein kleines Büro. Plastikstühle werden hingestellt. Sie trägt ein dezentes Kopftuch, lächelt, schaut zu Boden und blickt zunächst nur zu ihrer Begleiterin. Zahra wirkt schüchtern, aber nicht eingeschüchtert. Ein verkorkster Gruß auf Arabisch mit luxemburgischem Akzent bricht das Eis. Sie muss lachen und dreht sich zur Dolmetscherin. „Zahra sagt, Sie sollen Ihre Fragen stellen. Sie wird antworten.“

Es soll aber kein stumpfes Frage-Antwort-Spiel werden. Sie kann, wenn sie will, einfach ihre Geschichte erzählen. Die beiden Frauen unterhalten sich kurz. „In Ordnung.“ Zahra wird fast eine Stunde lang von ihrem täglichen Horror erzählen. Ruhig und unglaublich gefasst.

Wie alles anfing

„Ich heiße Zahra, bin 24 Jahre alt und stamme aus Syrien. Ich habe eine Tochter. Sie ist sechs. Ich habe vor sieben Jahren einen Mann geheiratet, den ich nicht liebte.“ Ihre Eltern zwingen sie zur Heirat. Sie streitet mit ihnen. Es hilft nichts. Im Gegenteil. Zahra wird sogar misshandelt. „Meine Mutter hat meinen Vater geheiratet, als sie zwölf war. Sie wurde schwanger. Ich sehe meinem Vater sehr ähnlich. Sie hat ihre Wut deswegen oft an mir ausgelassen.“

Zahra bleibt zunächst vom Krieg in Syrien verschont. „In meinem Wohnviertel gab es am Anfang keine Schlachten. Ich habe mein Zuhause nur wegen der schlimmen Stimmung bei meinen Eltern verlassen.“ Sie lebt damals in Homs, in der Nähe von Damaskus, und heiratet im nördlicher gelegenen Hama ihren Ehemann. Sie kennt ihn nicht. „Als ich ihn traf, war mir klar: Das wird nicht funktionieren. Ich war schockiert. Er war sehr gewalttätig.“

Zahra erzählt, wie sie sich eine gewöhnliche, liebevolle Hochzeit vorgestellt hat. Ihre Eheschließung ist das genaue Gegenteil, ein einziger Albtraum: „Es gab kein weißes Kleid bei uns. Meine Hochzeit hat mich traurig gemacht. Es war, als ob ich gar nicht verheiratet wäre.“

Die emotionalen Wunden sind tief. Zahras Augen glänzen leicht beim Erzählen. Sie ist jedoch weit davon entfernt, zu weinen. „Er fing an, mich zu verprügeln. Dann wurde ich schwanger. Danach wurde er noch strenger mit mir. Er wollte nicht, dass ich das Haus verlasse. Ich durfte mit niemandem mehr reden.“ Er verändert sich noch stärker, sie passt sich seinem unmenschlichen Lebensstil an. Niemand will ihm einen Job geben. „Dadurch wurde er noch aggressiver. Noch während meiner Schwangerschaft entschloss ich mich, zu meinen Eltern zurückzukehren.“

Wurzel der Brutalität

Von einem Leben in Frieden kann Zahra aber nur träumen. Ihre Eltern setzen sie unter Druck. „Sie haben mir ständig gesagt, dass sie es waren, die mir geholfen haben. Alles drehte sich nur um sie. Sie warfen mir vor, dass sie wegen mir Kredite aufgenommen hätten. Ich hielt es nicht mehr aus.“ Zahra ist damals 18. Sie läuft aus Verzweiflung von zu Hause fort und muss in die Arme ihres tyrannischen Ehemanns zurückkehren. „Er wurde wieder gewalttätig. Als er wusste, dass ich eine kleine Tochter geboren habe, ging es nur noch bergab. Er schlug mich, zerschmetterte ständig Dinge in der Wohnung.“

Ihr Ehemann lebt seine kranken Fantasien an ihr aus. „Er liebte es, mich blutüberströmt zu sehen. Das war seine Vorstellung einer idealen Ehefrau.“ Kein Tag vergeht ohne Gewalt. „Er schlug jeden Tag auf mich ein. Jeden Tag fand er eine andere Ursache.“

Zahra zweifelt an der mentalen Gesundheit ihres Ehemanns. Sie beginnt, nach einem medizinischen Attest zu suchen, und wird beim Zimmerputzen fündig: „In dem Dokument stand, dass er ‚wild‘ geworden sei. Selbst in seinen sexuellen Beziehungen. Sein Charakter habe sich verändert. Ich habe den Namen seiner Krankheit gelesen.“

Die Dolmetscherin hat Schwierigkeiten, das richtige Wort zu finden. Es handele sich um eine psychische Krankheit, die arge Stimmungsschwankungen auslöst. Zahra spricht ihn nie darauf an. Aus Angst. „Selbst die Mutter meines Ehemanns war sehr streng. Sie hat ihn gegen mich aufgehetzt: ‚Sei streng und brutal. Du musst das so und so tun.‘ Ich lebte wie eine Dienerin.“

Der ganze Körper blau

Es ist mittlerweile 2014: Aus einem Bürgerkrieg ist ein internationaler Stellvertreterkrieg in Syrien geworden. Die Gewalt tobt jetzt in den größten syrischen Städten wie Hama und Homs. „Das war mitten im Krieg. Wir wollten nicht bleiben. Es war zu gefährlich. Wir entschieden uns, in den Libanon zu seiner Schwester zu fliehen.“ Sie geben falsche Angaben an, um am Grenzübergang festgenommen zu werden. Auf diese Weise glauben sie, schneller zum UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gebracht zu werden.

Es folgt der typische administrative Aufwand. Die beiden haben Glück. Sie erhalten die Dokumente und können legal bei der Schwester einziehen. Es ändert nichts an der kaputten Ehe. „Mein Mann zwang mich, überall um Geld zu betteln. Er brauchte es. Niemand half mir. Nicht mal meine Eltern.“ Das fremde Zuhause bremst seine Gewalteskapaden nicht. „Einmal wurde er so nervös, dass er meine Nase brach. Ich fiel zu Boden, das Blut strömte überall hin.“

Zahra lebt acht Monate in Isolation. Sie verlässt das Haus nicht mehr. „Mein Gesicht, meine Nase, mein Körper: alles war blau.“ Selbst der Gang zum Bäcker wird zur Qual für sie. Als sie sich aus dem Haus traut, sehen die Nachbarn, wie schlimm ihr Mann sie misshandelt hat. „Ich habe mich so geschämt.“

Die Nachbarn nehmen es aber nicht einfach hin. Sie raten Zahra, sich erneut beim UN-Flüchtlingshilfswerk zu melden. Sie reist nach Akkar im Nordlibanon, wo die UNHCR vertreten ist. „Ich habe ein separates Büro gefunden. Es war ausschließlich der Gewalt gegen Frauen und ihrem Schutz gewidmet. Die Frau bot mir ihre Hilfe an.“ Sie bleibt monatelang mit der UNHCR in Kontakt.

„Er wollte mich foltern“

Hintergrund der Reise

Dieser Bericht ist im Rahmen einer humanitären Reise von Großherzogin Maria Teresa in den Libanon entstanden. Sie traf vergangene Woche unter anderem die Präsidentin von Caritas Luxemburg, Marie-Josée Jacobs, in der Bekaa-Ebene. Dort besichtigten beide das Frauenheim von Caritas in Beyfoun.

Irgendwann entscheidet sich ihr Mann, nach Syrien zurückzukehren. „Er schickte mich überall hin, um Geld zu besorgen. Er wusste, dass niemand ihm helfen würde.“ Das Muster aus Gewalt und Demütigung wiederholt sich: Er verprügelt Zahra. „Er schlug mir auf die Brust, auf mein Herz. Er warf Dinge zu Boden. Brechen und schlagen: Nur noch das zählte für ihn.“

Zahra erzählt seit mehr als 45 Minuten. „Eines Tages goss er Wasser auf den Boden.“ Die Dolmetscherin stottert zum ersten Mal kurz. Es folgt ein langes französisches „euhhhhhh“ … Sie seufzt, atmet tief aus. Zahras Geschichte, die sie bereits kennt, scheint sie immer noch zu bewegen. Sie beginnt, erneut zu übersetzen: „Er goss Wasser auf den Boden. Dann machte er sich auf die Suche nach einem Stromkabel. Er wollte mich foltern. Ich nahm meine Tasche, mein Kind und rannte aus dem Haus.“ Zahra will zur Nachbarin. Ihr Mann verfolgt sie. „Er schrie mir nach: ‚Wo willst du hin? Niemand wird sich um dich kümmern. Du wirst zu mir zurückkehren.‘“

Die Nachbarn nehmen sie bei sich auf. Sie wendet sich erneut an das UNHCR-Büro. „Ich habe der Frau alles erzählt. Ich musste weinen. Ich wollte nicht mehr zu ihm zurückkehren. Ich war am Ende.“ Die UNHCR-Mitarbeiterin sagt, sie soll bei ihr bleiben. Eine Nichtregierungsorganisation (NGO) wird eingeschaltet, ein Jurist zur Seite gestellt. Das
Problem: „Mein Mann kannte ihn.“ Der Jurist entscheidet sich gegen sie und für ihren Mann. Er will den Fall nicht übernehmen. Sie lebt elf Monate bei der NGO. Ihre Gesundheit wird überprüft. „Die Ärzte waren schockiert. Danach kümmerte sich eine Psychologin um mich und meine Tochter. Sie war komplett traumatisiert.“

Religiöse Gerichte

Die NGO schickt Zahra und ihre Tochter schließlich zu Caritas. „Ich lebe hier seit einem Jahr und drei Monaten.“ Ein Jurist kümmert sich um ihr Dossier. „Ich versuche, tapfer zu sein. Mittlerweile ist mein Fall abgeschlossen.“ Zahra hat sich inzwischen scheiden lassen. Es gab drei Sitzungen. „Meine Tochter kann zum Glück bei mir bleiben. Mein Ex-Mann ist zu keiner Sitzung gekommen. Ich glaube, dass er Angst hat.“ Im Libanon urteilen keine säkularen, sondern religiös-konfessionelle Gerichte über Scheidungsbestrebungen eines Ehepaars. „Im Libanon darf ich mich auch mit meiner syrischen Ehe scheiden lassen. Es gibt mehrere Regeln, die man zwar einhalten muss, aber es hat jetzt
dennoch geklappt.“ Sie lächelt stolz. Am Ende hat sie den Kampf gegen ihren Mann gewonnen.

„Ich will meine Tochter nicht so behandeln, wie meine Mutter mich behandelt hat. Ich gehe jeden Tag zur Psychologin. Ich will mich wie eine normale, gute Mutter um mein Kind kümmern. Ich will ein neues Leben führen, wenn ich nicht mehr hier bin. Sie soll zur Schule gehen.“ Sie will nicht, dass ihre Tochter unter ähnlichen Umständen heiraten muss wie einst sie. „Sie soll frei entscheiden.“ Zahra hat auch einen Traum, den sie sich selbst erfüllen will: „Ich will Krankenschwester werden.“

Gesicht der Gewalt

Sie hört zum ersten Mal nach knapp 60 Minuten auf, zu erzählen. Die Dolmetscherin blickt hinüber. Ob es noch Fragen gibt. Da wäre noch eine … Zahra weint. Tränen rinnen über ihre blassen Wangen. Schmerz, Freude und Erleichterung stehen ihr ins Gesicht geschrieben. Sie beginnt, erneut zu reden. Die Dolmetscherin drückt sie fest. „Sie sagt Danke für alles. Sie ist einfach nur dankbar, ein neues Leben zu haben.“

Was ihr denn momentan in ihrem neuen Leben besonders Freude schenke. „Wenn ich allein bin, male ich Porträts von Menschen, die mir wichtig sind.“ Das Gesicht der hemmungslosen Gewalt will sie nicht verewigen: „Ich zeichne nur Menschen, die etwas Positives in meinem Herzen hinterlassen haben.“