Unterwegs in der ärmsten Gegend des Perus

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Würde die Region Huanuco als Land betrachtet, käme sie im UN-Entwicklungs-Index auf den drittletzten Platz. So zumindest steht es in der Dokumentation der belgo-luxemburgischen Nichtregierungsorganisation „Iles de Paix“, die seit 2008 vor Ort Entwicklungshilfe leistet. Eine Reportage.

„Früher habe ich Schafe gezüchtet und viel höher in den Bergen gewohnt“, erzählt Apolonia Villareal, „dort war es so kalt, dass die Windeln meiner Zwillinge nie trocken wurden.“ Die Alltagsprobleme in der Region, in der die Berge bis über 6.500 m ragen, sind vielschichtig. Die 52-jährige Apolonia erzählt ihre Geschichte mit einem Lächeln im Gesicht.

Ihr Leben hat sich dank der Hilfsorganisation verbessert. „Iles de Paix“ hat ihr geholfen, eine Meerschweinchenzucht aufzubauen. Nun ist sie finanziell unabhängig, auch von ihrem Mann. Der hatte Apolonia und die vier Kinder regelmäßig für einige Monate verlassen, um auf den Kakao-Plantagen zu arbeiten. „Außer einer vollen Plastiktüte Koka-Blätter hat er aber nie etwas mit nach Hause gebracht“, erzählt Apolonia. Nun sei er eifersüchtig auf ihren Erfolg und verlange Geld von ihr. Sie lacht: „Natürlich gebe ich ihm nichts, denn er gibt das Geld sofort aus. Aber ich brauche es für die Kinder, die sollen studieren und es einmal besser haben als wir.“

Probleme

Das kurze Gespräch mit Apolonia Villareal macht die Probleme der Region deutlich: Das Klima ist rau und die Trockenzeit lang (April bis Oktober). Die Berglandschaft ist atemberaubend, aber genauso unwirtlich und schwer zu beackern. Die Menschen sind zwar stolz, aber es fehlt ihnen nach jahrhundertelanger Unterjochung (erst Kolonialmacht, dann die Großgrundbesitzer) an Selbstvertrauen und Autonomie. Die Entwicklungshelfer sind somit gleichzeitig Psychologen. Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe.

Das Problem ist, dass sich die Menschen mit Veränderungen schwertun, vor allem die Männer. Die Bauern sind es gewohnt, Kartoffeln an den Berghängen zu pflanzen. Die sind vergleichsweise pflegeleicht, zumal die Chemie „hilft“. Bayer und Co. verkaufen hier Pestizide und Düngemittel in rauen Mengen. Das Resultat für die Böden und die Wasserversorgung sind verheerend. „Die Krebsrate in der Gegend ist besorgniserregend“, sagt zum Beispiel Jorge Nilson Venancio, Bürgermeister des 15.000-Einwohner-Städtchens Molino, 2.500 Meter über dem Meeresspiegel gelegen.
Und der Kartoffelanbau reicht nicht, um über die Runden zu kommen, denn geerntet wird in der Regel nur einmal im Jahr. Das Geld ist schnell aufgebraucht. Deshalb werden die meisten Bauern zu Saisonarbeitern, verbringen die Trockenzeit auf den Kakao- und Koka-Plantagen. Und lassen ihre Frauen und Kinder monatelang im Stich, verschwinden mitunter auf Nimmerwiedersehen.

Meerschweinchen

So richtet sich die Hilfe auch immer an die Frauen. „Agriculture familiale“ ist das Stichwort, die kleinen Bauernhöfe sollen in Familienbetriebe umgewandelt werden, was bei den Hausherren nicht immer gut ankommt. Den Stellenwert der Frauen in der Gesellschaft verdeutlichen am besten die Küchen in den Bauernhäusern. Regelrechte schwarze Löcher sind sie zumeist, ohne Abzug und ohne Fenster. Wobei noch immer mit Holz gekocht wird. Kein Mann verirrt sich je in der Küche, in der auch meist einige Meerschweinchen bis zur Schlachtung hausen.
„Ich weiß, bei euch sind unsere Cuyas (Meerschweinchen) Mascotas (Haustiere)“, sagt Maria Pilko fast schon entschuldigend. Ihr Hilfsprogramm zur Meerschweinchenzucht endete vor zwei Jahren und gilt gemeinhin als Modell für den Erfolg der Projekte. „Wir schlachten zwei pro Woche für den Eigenbedarf“, berichtet sie, der Rest werde verkauft. „Wir sind auf dieses Geld angewiesen, denn mein Mann ist Maurer und bringt nur einmal im Monat Geld nach Hause.“ Das reichte für die Familie nicht zum Leben, so dass der Sohn die Sekundarschule verlassen musste, um zu arbeiten. „Unsere Tochter soll es besser haben. Wir wollen ein Motorrad kaufen, damit sie später zur Universität fahren kann.“

Die Schule als Tor zu einer besseren Welt. Und die bessere Welt heißt für die Bauern in der Region zumeist Stadt. Huanuco vielleicht, aber am besten Lima. Die Hauptstadt boomt und profitiert vom in erster Linie auf den Bergbau zurückzuführenden Wirtschaftswachstum Perus. 4,3 Prozent sind für 2017 prognostiziert, was aus Peru die Nummer eins in Lateinamerika macht. Kein Wunder, dass ein Drittel der peruanischen Gesamtbevölkerung inzwischen in Lima wohnt.

Vom neuen Reichtum des Landes bekommt man in der Bergregion von Huanuco so gut wie gar nichts ab. In Lima interessiert sich niemand für die Region, die allgegenwärtige Korruption tut ein Übriges. Mit umgerechnet rund 1.000 Euro müssen die Bauern auskommen … pro Jahr. Jedenfalls ist das der Durchschnittsverdienst in der Landwirtschaft rund um Huanuco. Kein Wunder, dass hier jedes dritte Kind Anzeichen von Unterernährung hat. Auch aus diesem Grund ist das Meerschweinchenzucht-Programm wichtig. Es hilft, die Familie und vor allem die Kinder zu ernähren und für ein regelmäßiges Einkommen zu sorgen.

Regelmäßigen Geldfluss soll auch die Diversifizierung der Landwirtschaft den Bauern einbringen. Grenadillas, eine Art Passionsfrucht, Avocados und andere Früchte wachsen gut an den Berghängen. Neben der materiellen Hilfe braucht es aber auch Zeit und Geduld. „Die Nachbarn haben sich über mich lustig gemacht“, blickt Bauer Nilo Retis auf die Anfangszeit seiner „Umschulung“ zurück, „jetzt lachen sie nicht mehr.“