UEL-Präsident Michel Wurth: „Wirtschaft hat nichts mit Moral zu tun“

UEL-Präsident Michel Wurth: „Wirtschaft  hat  nichts mit Moral zu tun“

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Er wartet bereits: Michel Wurth, Erbe des Stahlbarons Paul Wurth, ehemaliger Manager von ArcelorMittal sowie Mitglied in etlichen Verwaltungsräten der Wirtschafts- und Finanzwelt. „Ich habe gerade das Wahlprogramm der CSV studiert“, so Wurth, der aktuell Präsident des Unternehmerverbands UEL ist. Ein Gespräch über Krisen, Moral sowie Wurths politische Ambitionen.

Tageblatt: Herr Wurth, in diesen Tagen erinnert sich die Welt an den Beginn der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, als vor zehn Jahren die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Konkurs anmeldete. Wo haben Sie die Nachricht damals erfahren?

Michel Wurth: Ich war in Luxemburg und gerade aus dem Urlaub zurück.

Konnten Sie sich das Ausmaß der Krise sofort vor Augen führen?

Nein. Ich dachte ebenso wie viele Kollegen, dass es sich um ein temporäres Problem handelt und sich die Krise auf den amerikanischen Markt begrenzen würde. Ich konnte mir das Ausmaß zu Beginn nicht annähernd vor Augen führen und hätte nicht gedacht, welcher Schneeballeffekt sich entwickeln würde.

Sie sollten schnell eines Besseren belehrt werden …

Ja, bereits 14 Tage später hatte sich die Krise global ausgeweitet. Auch die Luxemburger Banken waren über ihre Mutterhäuser betroffen. Als damaliges Mitglied des Verwaltungsrates der BGL habe ich die Krise aus nächster Nähe miterlebt. Wir haben schnell reagiert und beschlossen, den Luxemburger Staat an der Bank zu beteiligen sowie mit der BNP zu fusionieren.

Rückblickend eine richtige Entscheidung?

Ich glaube schon. Ebenso wie die Entscheidung der Politik, antizyklisch vorzugehen – also staatliche Gelder zur Unterstützung der Wirtschaft freizusetzen. Dadurch mussten die Unternehmen nicht massenweise Arbeitnehmer entlassen. Die Akteure der Tripartite haben damals alle an einem Strang gezogen, sodass verhindert werden konnte, dass aus der Wirtschafts- eine Sozialkrise entstand.

Bei den Parlamentswahlen vor fünf Jahren steckte Luxemburg noch mitten in der Wirtschaftskrise. Damals warnten liberale Initiativen wie „5 vir 12“ oder auch die Initiative 2030, die Sie mit der UEL initiiert hatten, dass es so nicht weitergehen könne. Denn mit dem Wegfall des Bankgeheimnisses sowie dem drohenden Ende der E-Commerce-Steuer galt der Finanzplatz als angezählt.

Eigentlich war nahezu allen Akteuren mit einer gewissen Weitsicht bereits vorher lange klar, dass das Bankgeheimnis nicht haltbar war. Wenn also der Finanzplatz weiter bestehen sollte, dann musste er verändert werden. Und das geschah auch, sollte jedoch einiges kosten: Wir haben heute weniger Banken, die weniger Steuern zahlen. Allerdings sind Fondsgeschäfte und Holdingstrukturen massiv ausgeweitet worden. Deshalb kann man heute auch nicht mehr von einem Bankenplatz, sondern muss von einem Servicestandort Luxemburg sprechen.

Sie haben in Ihrer Karriere einige Krisen in Luxemburg miterlebt. Als Sie bei der Arbed angefangen haben, war Luxemburg mitten in der Stahlkrise, es gab die Dotcom-Blase, die Fusion von Arcelor und Mittal sowie auch die Wirtschafts- und Finanzkrise. Luxemburg konnte sich jedoch stets erholen. Liegt darin nicht ein trügerisches Moment – der Glaube, dass es schon immer irgendwie gut gehen wird?

Ja. Das birgt Gefahren und es gilt, stets wachsam zu sein. Ein Schlüssel dafür, dass Luxemburg seinen Wohlstand trotz Krisen mehren konnte, liegt in der Offenheit gegenüber neuen Ideen und Technologien. Alle Krisen sind gemeistert worden, weil wir neue Wege einschlugen. Kein „thinking as usual“. Und auch in der vergangenen Legislaturperiode sind wichtige Weichen durch mutige Entscheidungen im Bereich der Digitalisierung gestellt worden. Aber es gibt weitere schwere Herausforderungen wie das Rentensystem oder auch der Fachkräftemangel.

Andere sagen, die größte Herausforderung sei das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich. Als Arbeitsminister Nicolas Schmit eine Mindestlohn-Erhöhung in Erwägung zog, haben Sie der Idee jedoch in einem Beitrag im „Luxemburger Wort“ sofort eine Abfuhr erteilt. Was stört Sie daran?

Das Problem in Luxemburg heißt Produktivität. Und die stagniert seit 20 Jahren.

Allerdings gilt Luxemburg auch seit Jahren als Produktivitätsweltmeister.

Ja, das stimmt. Dennoch stagniert dieser Wert seit Jahren bei relativ hohen Löhnen. Wenn ich also gegen eine Anhebung des Mindestlohns argumentiere, dann liegt das schlichtweg daran, dass die Unternehmen in Luxemburg das nicht verkraften.

Kritiker halten dagegen, dass das Einkommen der Mindestlohnbezieher aktuell unter der relativen Armutsschwelle liegt. Ist Ihnen das egal?

Ich würde den Begriff der relativen Armut infrage stellen. Der Mindestlohn in Luxemburg liegt aktuell bei 2.050 Euro. In Frankreich, Deutschland und Belgien beträgt er 1.500 Euro. Zudem sind die Sozialleistungen in Luxemburg wesentlich höher als in den Nachbarländern. Relative Armut in Luxemburg ist also relativer Reichtum in Arlon oder Perl.

Die Lebenskosten in Luxemburg sind allerdings auch deutlich höher.

Ja, aber die meisten Mindestlohnbezieher geben ihr Geld ja auch nicht in Luxemburg aus, sondern in Audun-le-Tiche oder in Bastogne.

Das heißt also im Klartext, dass der Mindestlohn nicht reicht, um in Luxemburg zu leben?

Das ist richtig. Aber so funktioniert halt die Wirtschaft. Ein Betrieb kann nur so viel Lohn auszahlen, wie ein Arbeitnehmer an Gewinn generiert.

Ist es denn nicht moralisch fragwürdig, dass Luxemburger Unternehmen erfolgreich sind auf Kosten von Menschen, bei denen es finanziell nicht reicht?

Wirtschaft hat nichts mit Moral zu tun. Das sind Fragen des Staates. Deshalb fordern wir auch mehr Transferleistung oder das Bereitstellen von erschwinglichem Wohnungsbau, um das Problem der Armut zu bekämpfen. Hier hat die Politik in den vergangenen Jahren versagt. Zudem könnten Mindestlohnbezieher auch vollkommen von der Steuer befreit werden. Damit Sie mich also nicht falsch verstehen: Die soziale Kohäsion ist auch im Interesse der Unternehmen.

Was fordern Sie als Präsident des Unternehmerverbands UEL sonst noch von der nächsten Regierung?

Ein großes Anliegen ist die administrative Vereinfachung. Das klingt unspektakulär, tatsächlich schwebt mir jedoch ein radikales Umdenken vor. Wenn Sie heute als Betrieb oder Privatperson eine staatliche Genehmigung benötigen, ist das oft mühsam und kompliziert. Es kostet Zeit und damit Geld. Wenn Sie hingegen beim Händler ein Auto oder ein Kleidungsstück kaufen, nimmt das oftmals nicht mehr als einen Mausklick in Anspruch. Deshalb die Idee: Betriebe und Bürger sollten vom Staat wie Kunden betrachtet werden. Das würde Stress vermeiden und alles vereinfachen.

Der Staat als Serviceleister?

Ja, genau.

Müsste der Staat dadurch nicht deutlich mehr Personal einstellen?

Nein, keinesfalls. Es geht lediglich um Organisation. Ein Umdenken in der Hierarchie. Es wäre ein Meilenstein, der sehr viele unproduktive Prozesse abschaffen würde.

Sollte der Staat nicht im Dienst der Gesellschaft sein und nicht nur im Dienst der Unternehmen?

Die Vorteile dieses Umdenkens beziehen sich ja auf die gesamte Gesellschaft. Ich sehe enorme Produktivitätsgewinne, die allen zugutekommen. Aber das ist natürlich sehr schwer umzusetzen und erfordert großen politischen Willen.

Haben Sie denn eigentlich nie daran gedacht, in die Politik zu gehen, um solche Ideen umzusetzen?

Meine persönliche Überzeugung ist, dass meine Rolle als Präsident der UEL und der Handelskammer nicht vereinbar mit einem politischen Amt ist. Ich war deshalb auch nie Mitglied in einer Partei.

Haben Sie deshalb auch 2013 abgelehnt, als die DP Sie gefragt hat, Finanzminister zu werden?

Sollte ich jemals gefragt worden sein, hätte ich aus Überzeugung abgelehnt.

Ihr Sohn Nicolas wird am 14. Oktober bei den Nationalwahlen für die DP antreten. Könnten Sie sich vorstellen, dass er einmal Finanzminister wird?

Es war seine persönliche Entscheidung, und ich begrüße sie. Ich bin generell der Überzeugung, dass mehr junge Menschen in die Politik gehen sollten. Davon würden wir alle profitieren. Wohin sein Weg führt, weiß ich natürlich nicht, aber ich wünsche ihm nur das Beste.

roger wohlfart
20. September 2018 - 21.41

Den Här Würth ass en Zyniker, sooss géif hien näischt e sou soen! Mat Moral am allgemengen schingt deen Här jiddefalls nët vill um Hutt ze hunn.

Clemi
20. September 2018 - 19.48

Ich denke eher, dass ALLES mit Moral zu tun hat. So definiert von einem Artbeitgeber, könnte man den Wurth'schen Grundsatz daher auch mit "Skrupellose Ausbeutung" übersetzen. Kostenoptimierung, Geld scheffeln, Kapitalismus at its best... für Moral sind ausschliesslich andere zuständig, laut Herrn Wurth der Staat. Jejeje...

Grober J-P.
20. September 2018 - 19.11

Ech mengen do huet een Iech falsch informéiert. Ech mengen den H. Würth wollt nach ëmmer den Index oofschaafen. Wéi soot hien virun Jore schon, den Index ass d'Gëft fir ons Entreprisen. Et wär flott den Index oofzeschaafen, dann hätten eis Gewerkschaften e bësselchen Aarbecht.

J.C. KEMP
20. September 2018 - 19.11

Diese Aussage grenzt an Zynismus, evtl ist die Grenze schon überschritten. Wenn man diesen Leuten zuhört, müssten die Arbeiter froh sein, dass sie überhaupt für diese Wohltäter der Menschheit arbeiten dürfen. Eigentlich müssten sie noch für diese Wohltat Würth & Co. bezahlen.

Knaddernéckel
20. September 2018 - 11.50

D'Wirtschaftsbonzen huëlen et mat der Moral nët sou genau !!! Et as jo allkéiers e Weltënnergang wann se hiren ausgebeuteten Salariën, déi hir Drecksarbecht machen, sollen eng Indextranche gin. Mee ofschafen wëllen si den Index awer nët, well 2,5% vun 30'000 € as dach méi lukrativ wéi 2,5% vun 2000 € gediert !!!!!! Ech kann deenen hiert Gesabbels nët méi héieren !!! Déi aaarm Entreprisen..........

DanV
20. September 2018 - 11.16

"Das Problem in Luxemburg heißt Produktivität. Und die stagniert seit 20 Jahren." Herr Würth, da wäre doch eine nähere Definition der Luxemburger Stagnation nötig. Was müsste sich denn ändern, damit die Produktivität nicht mehr auf der Stelle tritt?

Frank Bertemes
20. September 2018 - 10.53

Gut, dass es dennoch die Wirtschaftsethik gibt. Ein Begriff, den gewisse Leute selbstredend und wissentlich ignorieren, nicht wahr? Diese wissenschaftliche Richtung legt nämlich die Rahmenordnung als den Ort fest, an dem Moral Beachtung finden kann. Denn ähnlich wie beim Sport sind es auch im Bereich der Wirtschaft die Regeln, die über die Rahmenordnung festgelegt werden, die dafür sorgen müssen, dass das Eigeninteresse nicht zu Lasten Dritter verfolgt wird. Nur dass die Wirtschaftsbosse neoliberaler Prägung im deregulierten "Freien Markt" , dem Tummelplatz des kapitalisistischen Dschungels, nichts davon hören wollen.... Man beachte allerdings, dass die Verantwortung, ebendiese Rahmenordnung festzulegen, wie immer, bei den politisch Verantwortlichen liegt, die sich heuer leider immer noch als Lakaien der Konzerne erweisen... Traurig, aber wahr!

Patrick W.
20. September 2018 - 10.36

Dei meeccht Affekoten an CEO'en denken esou. Wann se herno pensionéiert sinn, wëssen se ganz genau: "Wat hu mir do Sachen gemach... dei kann een haut net méi bréngen".

Grober J-P.
20. September 2018 - 10.32

Habe schon etliche Wirtschaftsbosse kennengelernt, es war bisher noch nie ein Philosoph darunter, und mit Kant hatten die nix am Hut.

Grober J-P.
20. September 2018 - 10.10

Moral ist eine Tugend. Moral wird von den Menschen nicht überall gleichermaßen wahrgenommen. Moral ist das Verhalten meinen Mitmenschen gegenüber. Moral ist die Lehre welche man aus einer Geschichte zieht. Wenn man ein Schaf ist sollte man nie einem Wolf trauen. So ist es mit diesem Herrn vielleicht auch. Wirtschaftsbosse, habe ich gelernt, sind selten moralisch.

roger wohlfart
20. September 2018 - 9.02

Nein, Herr Würth, da irren Sie. Alles, aber wirklich alles was man tut oder unternimmt, hat etwas mit Moral zu tun ! ( siehe Kant ).