Türkisches Spitzelsystem mit App: Denunzierte Auslandstürken landen bei Heimatbesuch oft im Kerker

Türkisches Spitzelsystem mit App: Denunzierte Auslandstürken landen bei Heimatbesuch oft im Kerker

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Mehrere Auslandstürken werden derzeit in ihrem Herkunftsland festgehalten. Während des Heimaturlaubs wurden sie Opfer eines perfiden Spitzelsystems, das die türkische Regierung digital-global aufgezogen hat.

„Gelungene App. Ich melde hier Terroristen, so können sie nicht in mein Land einreisen, um dort den Terrorismus zu unterstützen“ — Postings wie dieses von Kerim Y. finden sich im Google Play Store an der Stelle, wo das türkische Innenministerium ihre App „EGM“ zum Gratis-Download anbietet. Auch Alican K. aus Karlsruhe findet die App „einfach genial“. Er hat, wie er unter seinem Klarnamen schreibt, „direkt 2 Bio deutsche gemeldet, die dieses Jahr auch noch in der Türkei Urlaub machen wollen. Des weiteren 2 ekelhafte armenisch yezidische Terroristen.“ Nicht alle finden diese Handy-App gut: „Gestapo App à la Türkisch“, postet Resul A.

Effektiv ist das digitalisierte Meldewesen der Emniyet Genel Müdürlügü (EGM, zu Deutsch: Generaldirektion Sicherheit) in Ankara allemal. Offiziell ist es ein Service des Ministeriums, das zum Beispiel Verkehrsinformationen bietet. Aber eben auch die Möglichkeit, tatsächliche oder vermeintliche Verbrecher zu melden. Davon wird offenbar reichlich Gebrauch gemacht. Auch und vor allem in der türkischen Diaspora.

Die App ist eine Ursache für die Riesenprobleme, die Auslandstürken immer öfter bei Reisen in die frühere Heimat bekommen: Sie landen im Gefängnis. Im günstigeren Fall werden sie an der Grenze abgewiesen oder nur ein paar Stunden festgehalten.
Vorige Woche wurden zwei Austro-Türken in Antep beziehungsweise in Istanbul wegen Terrorverdachts festgenommen. Beide haben die österreichische Staatsbürgerschaft. Sie wurden vorübergehend in Haft genommen und dürfen das Land bis zur Einleitung des Verfahrens gegen sie nicht verlassen.

Ein falsches Wort …

„Mittlerweile kommen nahezu täglich neue Fälle herein“, sagt Berivan Aslan. Die kurdischstämmige Tirolerin setzt sich seit drei Jahren für Opfer des türkischen Willkürregimes ein. Vorigen Donnerstag etwa haben Angehörige eines Wieners die frühere Grünen-Nationalratsabgeordnete angerufen. Der Mann war bei der Einreise in Edirne mit seinem „Verbrechen“ konfrontiert worden: Im Jahr 2008 (!) hatte er sich auf Facebook kritisch über den damaligen türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan geäußert. Immerhin: Nach elf Stunden in Polizeigewahrsam war der Mann wieder frei.
Nicht so glimpflich kam ein österreichischer Kurde davon. Er wurde vor einigen Tagen in Kayseri festgenommen, verbrachte eine Nacht in Haft und darf seitdem die Türkei nicht verlassen.

Treffen kann es jeden. Ein 75-jähriges türkischstämmiges Pensionisten-Paar aus Österreich saß ebenso wie ein 14-Jähriger drei Tage in U-Haft. Die Vorwürfe reichen von „Beleidigung des Präsidenten“ über „Beleidigung des Türkentums“ bis hin zu Terrorverdacht, wofür es freilich genügt, in Österreich einen kurdischen Verein besucht zu haben.

Alle Festnahmen, Inhaftierungen oder Einreiseverweigerungen haben eine Ursache: „Es sind immer Informationen, die aus Österreich geschickt wurden“, so Aslan gegenüber dem Tageblatt. Mit der EGM-App wurde das Denunziantentum digitalisiert und für jeden am Handy verfügbar gemacht. Ein falsches Wort und die türkische Polizei ist informiert.
Die österreichischen Behörden sehen keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. So geriet der seit Jahren in der Alpenrepublik aktive Erdogan-Fanatiker Irfan Ü. zwar einmal ins Visier der Justiz, nachdem er sich auf Facebook öffentlich damit gebrüstet hatte, angebliche Erdogan-Gegner in Ankara gemeldet zu haben. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der nachrichtendienstlichen Tätigkeit zum Nachteil Österreichs wurden aber eingestellt. Auf die Frage, ob er weiter einschlägig aktiv sei, beteuert Irfan Ü. nun, dass er niemanden denunziere.

Mundtot gemacht

An Denunzianten herrscht dennoch kein Mangel. Eine besondere Rolle spielen dabei, so Aslan, türkische Vereine mit Nähe sowohl zur Regierung in Ankara als auch zu österreichischen Politikern. Konkret nennt sie den in Deutschland wie Österreich aktiven AKP-Ableger „Union Europäischer Demokratischer Türken“ (UETD).

Natürlich weist die Organisation jeglichen Spitzelverdacht von sich. Mitverantwortlich für die Situation macht Aslan auch den „Kuschelkurs“ der früheren Außenministerin Karin Kneissl gegenüber der Türkei. Aslan: „Ich habe das Gefühl, manche unsere Politiker unterschätzen die Gefahr dieser Entwicklung.“ Erdogan versuche, mithilfe der Denunzianten „Menschen mundtot zu machen — und das funktioniert auch“. Niemand traue sich mehr, etwas gegen ihn zu sagen.

Die Angst geht so weit, dass in der Türkei festgehaltene Denunziationsopfer die österreichische Botschaft gar nicht einschalten wollen, weil sie fürchten, dann noch größere Probleme zu bekommen.

Im nun interimistisch von Alexander Schallenberg geführten Außenministerium ist man sich des Problems durchaus bewusst: „In den letzten Monaten kam es bei Ein- und Ausreisen vermehrt zu teils mehrwöchiger Inhaftierung österreichischer Staatsbürger aufgrund des Vorwurfs regierungskritischer Äußerungen vor allem in sozialen Medien“, heißt es in einem Warnhinweis auf der Homepage des Ministeriums, der zugleich die Ohnmacht offenbart: Für Österreicher, die auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, könne „konsularischer Schutz nicht garantiert werden“. Und selbst bei ausschließlich österreichischen Staatsbürgern wurde, so das Ministerium, „den österreichischen Vertretungsbehörden Zugang zu Inhaftierten erst mit teilweise mehrmonatiger Verzögerung gewährt“.

Die Opfer des türkischen Spitzelterrors waren allerdings vorgewarnt: Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hatte schon Anfang März in türkischen Medien verkündet, dass man sich schon auf die Erdogan-kritischen Urlauber freue …

Jacques Zeyen
16. Juli 2019 - 23.25

Irgendwann wird dieser Schurke abtreten und dann findet die Türkei vielleicht den Weg in die Demokratie.