„Sympathische kakifarbene Gestalten“: Vor 100 Jahren bejubelte Esch die ersten amerikanischen Soldaten

„Sympathische kakifarbene Gestalten“: Vor 100 Jahren bejubelte Esch die ersten amerikanischen Soldaten

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Es ist heute auf den Tag genau 100 Jahre her, dass die ersten amerikanischen Soldaten in Luxemburg einmarschierten. Am 20. November 1918 überschritten die ersten von ihnen die französisch-luxemburgische Grenze zwischen Audun-le-Tiche und Esch.

Noch am Vortag hatte man in der zweitgrößten Stadt des Landes sehnsüchtig auf die Soldaten der „Entente“ sprich der alliierten Befreiertruppen, zu denen eben auch die US-Soldaten zählten, gewartet, wie aus dem folgenden Bericht des Escher Tageblatt vom 20. November 1918 hervorgeht.

Das Foto zeigt das Escher Stadtzentrum am 20. November 1918: Die „symphatischen kakifarbenen Gestalten“, sprich die amerikanischen Soldaten, marschieren unter den freudig-neugierigen Augen von Groß und Klein durch die Alzettestraße zum Stadthausplatz, wo ihnen ein offizieller Empfang bereitet wird.

Unter dem Titel „Esch. Kriegsbilder“ konnte man lesen: „Man sieht nur mehr vereinzelte deutsche Soldaten in den Straßen, welche die Fühlung mit ihrer Kompagnie verloren haben oder vor dem Krieg hier anfällig und beurlaubt worden waren. Die deutsche Feldbäckerei in Foetz hat gestern einen überstürzten Rückzug angetreten. Die gebackenen Brote und das noch vorrätige Mehl wurden dem hiesigen Lebensmittelamte zugewiesen. Ganze Autos wurden im Laufe des gestrigen Nachmittags in der Alzettestraße ausgeladen.

Russische Gefangene in der Brillschule

Die Gemeindeverwaltung verteilt das Brot an die 200 im Brill untergebrachten russischen Kriegsgefangenen. Gestern sind hier einige aus deutscher Gefangenschaft entflohene englische Kriegsgefangene angekommen.

Die Häuser und öffentlichen Gebäude sind festlich beflaggt. Außer der luxemburgischen sieht man die französische, belgische und amerikanische Flagge flattern. Die Ententetruppen werden mit Ungeduld erwartet.“

Die Ungeduld sollte schon am Tag danach ein Ende finden. Früher als erwartet – die Gemeindeführung steckte noch in den Vorbereitungen, um den Amerikanern einen gebührenden Empfang zu bieten – rückten die ersten Amerikaner aus Audun-le-Tiche her kommend in Esch ein.

Auf dem Escher Stadthausplatz versammelten sich die amerikanischen Soldaten heute vor genau 100 Jahren erstmals auf luxemburgischem Boden

Am 21. November titelte das Escher Tageblatt: „Die Amerikaner in Esch“. Der Bericht liefert ein lebendiges Stimmungsbild von jenem verheißungsvollen Tag: „Das Programm der Feier des Empfanges unserer Befreier war bis in alle Details würdig ausgedacht: in weiser Vorsicht rollte eine Delegation nach Longwy, um Tag und Stunde genau zu erfahren: Hr. Hammerel besprach mit dem Hrn. Bürgermeister die sinnige Dekoration des Stadthauses nach innen und außen, als plötzlich die Amerikaner freundlichst lächelnd von Deutsch-Oth her hier eintrafen. Aber der Empfang, so schön gedacht! Mit verbindlichster Höflichkeit stellten die Herren Offiziere sich bei der Stadtverwaltung vor, um die Frage der Einquartierung zu besprechen. Das Lager wurde im Schulgebäude Brill aufgeschlagen.

Während eine Kolonne sich hier festlegte, um die durchreisenden Truppen zu verpflegen, reisten die andern Truppen weiter über Luxemburg der deutschen Grenze zu. Man kann sich leicht denken, daß die Begeisterung der Bevölkerung für die Entente-Truppen überquoll. Überall wurden den sympathischen kakifarbenen Gestalten Hände entgegen gestreckt und freundlichst zugenickt.

Junge Mitarbeiterinnen eines Escher Ladens schwingen die Fahnen zur Begrüßung der Amerikaner

Die Ausrüstung der Wagen und der Mannschaften war tip-top, besonders im Vergleich zu den noch vor einigen Tagen abziehenden Deutschen, deren Kleider, Schuhwerk und Pferdematerial einen Eindruck des Verfalles machten. Als Zugtiere hatte man durchweg den schweren Typus des Maultiers, das bedeutend resistenter ist als das Pferd. Die zahlreichen Motorzweiräder mit Anhängewagen werden wohl den Neid unserer Sportsmen erregt haben. Und wie schlug das Herz unserer Automobilisten beim Anblick der vielen neuen Gummireifen auf allen Wagen! In den beflaggten Straßen herrschte schon Feiertagsstimmung als ein Extrablatt des „Escher Tageblatt“ den offiziellen Empfang für halb 5 Uhr anmeldete. Alle Gesellschaften hatten bald am Stadthausplatz Aufstellung genommen.

Die italienischen Gesellschaften Garibaldi und Verdi spielten (…) die so lang vermißte Melodie der Marseillaise. Nun bewegte sich ein endloser Zug zum Hotel Krancher, wo der Brigade-General mit seinem Stab der Armee Parker Quartier genommen hatte.
Divisionsgeneral Parker, der in Deutsch-Oth wohnt, war eigens zur Entgegennahme der Begrüßungsadresse der Escher Bevölkerung nach hier gekommen. Der Stadtrat und die Spitzen der Vereine nahmen auf der Veranda des Hotels Ausstellung. Herr Bürgermeister Biwer und Schöffe Pierrard gaben in beredten Worten den Gefühlen der Bevölkerung Ausdruck. Ein amerikanischer Offizier dankte in herzlichster Weise und versicherte die Escher aller Sympathien seitens der Entente.

„Morgenröte eines neuen Zeitalters“

Vor dem Hotel hatte sich eine ungeheure Menschenmenge angesammelt, wie die Escher sie seit vier Jahren – es war einmal – nicht mehr gesehen hatte.

Aus einem US-Magazin: Ein Beitrag über die Ehrung von 35 Offizieren und Soldaten der 5. Division durch General Hanson E. Ely: „Luxembourg was entered by American troops soon after the armistice was signed. It was then hold by the French for a time, but was taken over again by part of the American Army of Occupation on Feb. 18.“

Jubelnd und hochrufend schlossen sich die Volksmassen den Vereinen an. Vereinzelt zogen nach der Feier Teile der Musikgesellschaften musizierend durch Esch und allerorts herrschte die fidelste Stimmung. Wahrlich, der 20. November 1918 wird in den Annalen der Stadt Esch mit goldenen Lettern eingraviert bleiben: es war das Fest der Verbrüderung der Befreier mit den Befreiten. Und wir sind überzeugt, daß dieser herrliche Tag die Morgenröte eines neuen Zeitalters bedeutet, in das wir voll Hoffen und voll Sehnen eintreten.“ Soweit der bildhafte, zeitgenössische Bericht über den Empfang, den die Escher ihren Befreiern bereiteten.


„Dat sinn dach anerer wie d’Preisen“
Am Tag danach: Die US-Soldaten verteilten Zigarren und Süßigkeiten

Als die ersten Amerikaner am 20. November 1918 in Esch ankamen, war die Freude groß. Doch damals gingen, wie aus dem nachstehenden Zeitungsbeitrag vom 22. November 1918 hervorgeht, die wenigsten davon aus, dass die Amerikaner auch einige Monate lang als Besetzungsmacht im Großherzogtum bleiben würden.

In diesem von General Pershing unterzeichneten Telegramm vom 21. November 1918 geht es u.a. um den Einmarsch der US-Soldaten über Esch nach Luxemburg. Außerdem erfährt man u.a., dass es im Großherzogtum eine „größere Konfusion“ gab in Sachen „Rückzug des Feindes“.

„Nach dem Einzug der amerikanischen Truppen in unsere Stadt hatten wir die Ehre, den französischen Kapitän Maréchaux im Hotel Moyse-Bloch, welcher zum Generalstab Parker der ersten amerikanischen Armee gehört, zu intervenieren. Kapitän Maréchaux war sehr zufrieden mit dem offiziellen Empfang, welcher den amerikanischen Truppen zu Teil wurde.“ So beginnt der Beitrag „Esch. Kriegsbilder.“ im Tageblatt vom 22. November 1918. „Er lobte die Tapferkeit der luxemburgischen Soldaten, welche in den Entente-Heeren kämpfen und für die Befreiung der heimatlichen Scholle mitgewirkt haben.“

Kapitän Maréchaux erklärte im Gespräch mit der Zeitung auch, dass die durchziehenden Truppen der ersten amerikanischen Armee angehörten, die seit 17 Monaten ununterbrochen an der französischen Front gekämpft hatte. In dem Beitrag geht es auch um die Frage, wer für Luxemburg als Besatzungsmacht infrage kommt. So heißt es: „Über die definitive Besetzung Luxemburgs soll noch kein endgültiger Beschluß gefaßt sein. Nach der persönlichen Meinung des Kapitäns Maréchaux werden wir wahrscheinlich eine französisch-belgische Besatzung erhalten. Elsaß-Lothringen eine ausschließlich französische.“

„Großer Betrieb in den Straßen von Esch“

In den folgenden Wochen sollte es jedoch anders kommen: Nach einer kurzen Zeit unter französischer kam es schließlich zu einer amerikanischen Besatzung, die sich bis in den Sommer 1919 erstreckte. 40.000 Soldaten aus den USA weilten zu jener Zeit im Land, 23.000 waren in Diekirch, weitere 17.000 in Esch stationiert.

Doch zurück zum Zeitungsbericht vom 22. November 1918: „Gestern Morgen sind die Truppen weiter nach Luxemburg gefahren. In langgezogenen Kolonnen kamen den ganzen Tag über weitere amerikanische Truppen hier durch. Im Laufe des Nachmittags passierten hauptsächlich schwere amerikanische Artillerie, jeder Wagen von 6 Mauleseln gezogen, große Automobillastwagen mit Munition und Proviant begleiteten den Zug. Die Truppen zogen nach Luxemburg weiter. Die Schul- und Tanzsäle sind mit Mannschaften überfüllt, großer Betrieb herrscht in den Straßen von Esch. Die fröhlichen Soldaten durchstreifen singend die Stadt und teilen Zigarren, Geld und Süßigkeiten unter die Kinder aus. Man hört unsere Jugend sagen: ‚Dat sinn dach anerer wie d’Preisen.‘ (…)