„Smartwielen“: Wie ein Programm für jeden Bürger den perfekten Politiker findet

„Smartwielen“: Wie ein Programm für jeden Bürger den perfekten Politiker findet

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Spieglein, Spieglein an der Wand, wen soll ich wählen in diesem Land? Was nach Fiktion klingt, ist längst Realität. Das Programm „Smartwielen“ errechnet die passende Partei und Kandidaten für jeden Wähler. Eine Wahlhilfe, die nicht völlig unumstritten ist.

Sven Majerus ist Erstwähler. Wen der Schüler aus dem ECG am 14. Oktober bei den Nationalwahlen wählen will, weiß er noch nicht so genau. Aber die Tendenz geht zu den Christsozialen. Warum? Weil er das politische Personal für geeignet hält – und weil seine Eltern auch CSV wählen.

Doch eine Tendenz macht noch kein Kreuz. Denn Sven Majerus will sich noch näher informieren. Über sein Smartphone und das Fernsehen: RTL, die App von Eldoradio und Luxemburger Wort. Und über Facebook. Wahlveranstaltungen wird er keine besuchen. Wahlprogramme sicher nicht lesen.

Wenn es nach dem Zentrum für politische Bildung (ZpB) und der Universität Luxemburg geht, wird der Schüler auf eine weitere Wahlhilfe zurückgreifen können: „Smartwielen“. Bereits 2013 konnten Bürger aus Luxemburg auf dieses Onlinetool zurückgreifen. Sie mussten Fragen zur politischen Aktualität beantworten, und das Programm berechnete die geeignete Partei und Kandidaten. In diesem Jahr soll „Smartwielen“ noch präziser sein und die Kandidaten sämtlicher Parteien der Wahlen im Oktober erfassen. Und letztlich eine Antwort auf die Frage geben: Wen soll ich eigentlich wählen?

Und wer hat’s erfunden?

Die Idee von Smartvote stammt aus der Schweiz. Fünf junge Politik- und Geschichtsstudenten haben sie Anfang des 21. Jahrhunderts in Bern entwickelt. „Beim Feierabendbier in der Kneipe“, so Jan Fivaz, einer der Mitbegründer. Die Studenten waren damals unzufrieden mit der Parteienlandschaft: „Keine Partei passte so recht zu uns“, sagt Fivaz. „Wir fanden den einen Kandidaten von den Linken gut, den anderen von den Liberalen und noch einen anderen von den Konservativen.“ Deshalb kam die Idee: Warum nicht eine Software, die die geeigneten Kandidaten quer durch die Parteien herausfiltert. Eine persönliche Bestenliste – eine individualisierte Partei. Zwei Jahre später wurde aus der Idee Realität: 2003 ging Smartvote online.

Seither genießt das System in der Schweiz große Beliebtheit. Bei nahezu sämtlichen Wahlen kommt Smartvote zum Einsatz – und in der direktdemokratischen Schweiz sind oft Wahlen. Rund 15 bis 20 Prozent der Wähler nutzen die Onlinewahlhilfe, so Fivaz. Vor allem junge Wähler oder Wechselwähler greifen darauf zurück. „Wir haben den Zeitgeist getroffen“, so der Politologe. „Es ist ein individualisierter Service passend zu unserer digitalen Gesellschaft.“

Das System ist dabei denkbar simpel: Fivaz und seine Mitstreiter erstellen einen Fragenkatalog von 35 bis 70 Fragen, den sie dann an die Parteien schicken. Fragen wie: Befürworten Sie eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen und Männer? Oder: Soll das Stimmrecht für Ausländer, die seit mindestens zehn Jahren im Land leben, eingeführt werden? Oder gar: Soll der Konsum von Cannabis sowie dessen Besitz für den Eigengebrauch legalisiert werden?

Die Politiker beantworten die Fragen mit „Ja“, „Eher ja“, „Eher nein“, „Nein“ oder „Keine Antwort“. Die Bürger erhalten später die gleichen Fragen mit den gleichen Antwortoptionen: Der Algorithmus errechnet ein passendes Profil.

Der Weg nach Luxemburg

Verantwortlich für Smartvote bzw. „Smartwielen“ in Luxemburg ist Raphaël Kies. Der Politologe der Universität Luxemburg hat das System 2013 nach Luxemburg importiert. „Es war ein großer Erfolg“, so Kies. Rund 35.000 Nutzer haben auf das Instrument zurückgegriffen. Etwa zehn Prozent des gesamten Elektorats. Die Lizenz für die Software kostet für 2018 rund 20.000 Euro.

Und bereits jetzt laufen die Arbeiten im Hintergrund: „Wir haben uns mit Journalisten, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften zusammengesetzt, um die Fragen zu ermitteln“, so Kies. Noch steht der Fragenkatalog nicht, aber in wenigen Wochen erhalten die Parteien Post mit rund 40 Fragen. Erst Anfang September wird die Wahlhilfe online gehen.

Wer entscheidet am Ende?

Der Erfolg von Smartvote gibt dem Onlinetool recht. Dabei trifft das Instrument auch auf Kritik. Manche hinterfragen Methodik, Algorithmus und Fragenkatalog. Andere sehen gar die persönliche Entscheidungsgewalt der Wähler gefährdet. Ist es am Ende möglicherweise der Algorithmus, der die Entscheidung für die Wähler trifft. Wird aus Wahlempfehlung Wahlentscheidung?

Jan Fivaz kennt die Kritik an Smartvote. Und er nimmt sie durchaus ernst, versucht sie jedoch mit Argumenten und empirischen Studien zu entkräften. Als Matching-Algorithmus zwischen den Profilen der Wähler und der Kandidaten dient die sogenannte euklidische Distanz. „Mithilfe des Satzes von Pythagoras lassen sich die Ergebnisse ganz einfach in Excel nachrechen“, so Fivaz. „Unser System ist absolut transparent.“

Zudem haben Untersuchungen von 2015 mit 11.000 Teilnehmern gezeigt, dass die Wähler trotz Smartvote weiterhin mündig bleiben und nicht zu „willenlosen Marionetten“ werden. Nur 14 Prozent haben angegeben, die erhaltene Wahlempfehlung 1:1 auf ihren Wahlzettel zu übertragen. Die überwiegende Mehrheit von 61 Prozent hingegen hat aufgrund der Wahlempfehlung lediglich gezielte Anpassungen vorgenommen. Und dennoch: Könnte das Tool nicht in naher Zukunft an die Wahl gekoppelt werden? Ähnlich einer Dating App wird der Wähler am Ende gefragt, ob er das Ergebnis übernehmen will.

Kein Datenkraken

Fivaz schaudert es vor dieser Vorstellung: „Die Überlegungen, dass die Gesellschaft sich durch Digitalisierung dahingehend entwickelt, beruhen auf einem negativen Menschenbild.“ Die Menschen seien keine Automaten. Smartvote sei auch nicht als „Datenkraken“ konzipiert, um Informationen über die Nutzer zu sammeln. „Es ist komplett anonymisiert, wir speichern nicht einmal die IP-Adressen.“ Raphaël Kies sieht das ähnlich: „Smartwielen ist ein Informationsinstrument. Nicht mehr. Nicht weniger.“

Und so greift die Kritik wohl zu kurz. Denn das Instrument ist hilfreicher als lachende Gesichter auf Wahlprospekten und bietet die Chance, sich Zeit zu lassen für inhaltliche Überlegungen jenseits persönlicher Sympathie. Erstwähler Sven Majerus ist jedenfalls gewillt, „Smartwielen“ vor den Wahlen zu nutzen – und seine Entscheidung gegebenenfalls anzupassen. Die CSV kann sich seiner Stimmen noch nicht sicher sein.

* In einer ersten Version des Artikels stand, dass sich die Universität Luxemburg neben Presse und Zivilgesellschaft auch mit den Parteien zusammengesetzt habe, um die Fragen zu ermitteln. Richtig ist, dass sie mit Presse und Zivilgesellschaft zusammengearbeitet und von den Parteien lediglich die Programme konsultiert hat.

Anmerkung: Dieser Artikel wurde zum ersten Mal am 7. Juli 2018 veröffentlicht. Weil die Seite „smartwielen.lu“ seit Montag online ist, haben wir beschlossen, ihn aus Aktualitätsgründen noch einmal hervorzuheben. 

Patrick W.
19. September 2018 - 10.30

Fannen d' Froen gutt, wëll een sech mat dëser Methode selwer mol muss kloer ginn; wéi eng Meenung hunn ech iwerhaapt dozou ?! Et si Froen dobei dei een kënnt an Froen un dei een nie geduecht hätt ! D' Resultat ass eng aner Geschicht. Et wielt een sëcherlech net 1:1 wat de Programm ugëtt ( wat oder ween, een wielen könnt ). Jiddereen wärt do schonns seng eegen Viertellung hunn, op Zieler an Erfahrungen gekukkt.

CESHA
19. September 2018 - 8.59

Ich habe das Programm ausprobiert und mir wurde eine Partei angezeigt, die zu fast 80% meinen eigenen Wertvorstellungen entsprechen sollte. Vorsichtshalber habe ich mir aber dann doch noch das Programm dieser Partei genauer angeschaut und musste dabei feststellen, dass diese Partei in einer mir persönlich sehr wichtigen Frage (die im Fragebogen nicht erfasst worden war) einen ganz anderen Standpunkt als ich vertritt, also für mich doch wohl nicht wählbar ist.

Jérôme Lëscht 0
19. September 2018 - 7.48

Ich weiß noch nicht wen ich wählen soll, dafür weiß ich aber schon ganz genau, wen ich nicht wähle !