Slowakei: Bürgeraktivistin könnte erste Staatspräsidentin werden

Slowakei: Bürgeraktivistin könnte erste Staatspräsidentin werden

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Noch vor wenigen Monaten kannte außerhalb der slowakischen Kleinstadt Pezinok kaum jemand Zuzana Caputova. Inzwischen ist die Bürger- und Umweltaktivistin in der Slowakei in aller Munde.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger

Die Präsidentschaftskandidatin der kleinen liberalen, außerparlamentarischen Partei „Progressive Slowakei“ ist erst vor ein paar Wochen in den Umfragen plötzlich nach oben geschnellt. Zum einen begünstigte sie der bekannte Unternehmer Robert Misterik mit seinem Ausstieg aus dem Rennen um das höchste Amt in der Slowakei, zum andern aber profitierte die wenig bekannte 45-jährige Juristin von der großen Unzufriedenheit ein Jahr nach der noch immer nicht aufgeklärten Ermordung des Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und dessen Verlobter Martina Kusnirova.

Das Paar wurde von vier Auftragsmördern im Februar 2018 kurz vor seiner Hochzeit kaltblütig hingerichtet. Martina Kusnirova musste dafür sterben, dass sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war. Ihr Verlobter Kuciak wiederum hatte zuvor monatelang zu Verbindungen zwischen der Unterwelt und slowakischen Regierungspolitikern recherchiert. Dem Reporter des Internetportals Aktuality.sk wurde sein Wissen zum Verhängnis. Wegen des kaltblütigen Mordes in Kuciaks Landhaus Dutzende von Kilometern entfernt von der Hauptstadt Bratislava musste schließlich der linkspopulistische Regierungschef Robert Fico seinen Hut nehmen sowie dessen mächtiger Innenminister Robert Kalinak. Dies alles hatte jedoch die Straße erzwungen. Wochenlange Demonstrationen in Dutzenden von Kleinstädten im ganzen Land, auch in Pezinok, der Heimatstadt der heutigen Favoritin im slowakischen Präsidentschaftskampf.

Doch der Aufstand der Straße brachte wenig Erfolg. Fico setzte den SMER-Politiker Peter Pellegrini als seinen Stadthalter im Amt des Regierungschefs ein, lenkt das Land aber weiterhin aus dem Hintersitz, so wie es Liviu Dragnea in Rumänien und Jaroslaw Kaczynski in Polen tun.

Hintermänner bleiben im Verborgenen

Die Aufklärungen zum Mordfall Kuciak schleppten sich unter diesem Duo weiter vor sich hin. Zwar wurden vier Auftragsmörder hinter Gitter gebracht, doch die Hintermänner blieben im Verborgenen. In Untersuchungshaft landete schließlich auch der umstrittene Immobilienhai Marian Kocner, gegen dessen seltsame Geschäfte im Umfeld von Fico und anderen SMER-Größen auch der Reporter Kuciak ermittelt hatte. Doch nachweisen ließ sich lange nichts. Am Donnerstag nun aber nahm der Fall Kuciak eine neue Wendung: Kocner wurde offiziell vorgeworfen, die Ermordung Kuciaks in Auftrag gegeben zu haben. Ob diese Spur die richtige ist, muss sich erst zeigen. Ausgewirkt hat sich der Stich ins korrupte SMER-Netzwerk indes auf die Umfragen zu den Präsidentenwahlen. Erstmals scheint es möglich, dass die Bürgeraktivistin Zuzana Caputova bereits in der ersten Runde die absolute Mehrheit erobern könnte.

Ihr stärkster Gegenkandidat ist nämlich ausgerechnet ein von der unbeliebten Regierungspartei SMER unterstützter EU-Technokrat, der bisherige Energiekommissar Maros Sefcovic. Der 52-Jährige ist zwar parteilos, aber dieses Atout bringt ihm nun nichts mehr, denn allen wurde nach der späten Anklage gegen Kocner wieder einmal klar, wie korrupt alles ist, was nach SMER riecht. Gewisse Chancen werden zudem dem russlandfreundlichen Höchstrichter Stefan Harabin zugemutet. In den letzten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Phoenix erhielt er 15 Prozent der Stimmen, Sefcovic hingegen 20 Prozent. Abgeschlagen auf dem vierten Platz landete mit 8 Prozent noch der rechtsextreme Hitler-Bewunderer Marian Kotleba. Jeder zehnte Slowake, der heute Samstag an der Präsidentenwahl teilnehmen will, weiß noch nicht, wem er seine Stimme geben will. Erreicht Zuzana Caputova nicht über 50 Prozent, so kommt es am 30. März zur Stichwahl.

Der Staatspräsident hat in der Slowakei wenig politische Macht. Die Wahlen sind indes der erste Urnengang seit der Ermordung des Investigativ-Journalisten und damit ein wichtiger Stimmungsmesser für die Parlamentswahlen von 2020.