Serbiens hirnlose Hirnsuche – Rätselraten um Milosevic-Überreste

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Die Kunde, dass Ex-Autokrat Slobodan Milosevic ohne das ihm bei der Autopsie entnommene Gehirn bestattet worden sei, lässt Serbiens Blätterwald kräftig rauschen. Spötter halten die mediale Hirnsuche indes für hirnlos: Slobas Geist lebe in Serbien ohnehin fort.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad

Der Geist des längst verstorbenen Autokraten lässt Serbien noch immer nicht ruhen. Ende November schreckte der serbische Dienst der BBC den gebeutelten Balkanstaat mit der Kunde auf, dass das Hirn des 2006 im Gefängnis des UN-Kriegsverbrecher-Tribunals in Den Haag verstorbenen und im Garten seines Hauses in Pozarevac bestatteten Ex-Autokraten Slobodan Milosevic vermutlich noch immer in den Niederlanden weile. Die Leiche von Milosevic sei nach der Autopsie damals „ohne Gehirn“ nach Serbien überführt worden, erklärte der frühere Tribunalssprecher Christian Chartier gegenüber BBC: Er wisse allerdings nicht, ob das zur Untersuchung der Todesursache entnommene Hirn später „ganz oder in Teilen“ der Familie zugestellt, im Niederländischen Forensischen Insitut (NFI) verblieben oder „vernichtet“ worden sei.

Auch wegen der strikten niederländischen Datenschutzgesetze wollte derweil das NFI der BBC keine Angaben zu dem Verbleib des Diktatorenhirns machen: Generell habe das Institut das Recht, „gewisse Proben“ sezierter Leichen für toxologische Untersuchungen einzubehalten.

Hirnlos in heimischer Scholle

Die Kunde, dass der an einem Herzschlag verstorbene Ex-Landesfürst möglicherweise hirnlos in heimischer Scholle bestattet wurde, sorgt in Serbiens Blätterwald für kräftiges Rauschen. Vor allem die nationalistisch angehauchten Boulevardmedien zeigen sich posthum empört.

Die „Monster aus Den Haag“ hätten Milosevic nach dem Tod sein Hirn entnommen, titelte aufgebracht das Webportal des regierungsnahen Privatsenders Pink. „Sie haben Sloba in Den Haag das Hirn geklaut!“, entrüstete sich die Klatschpostille Alo!.

Dass damals der verschweißte Zinksarg von Milosevic in Serbien nicht mehr geöffnet wurde, gibt den Spekulationen über den Verbleib seines Hirns und den Verschwörungstheorien, dass der Kriegsfürst in seiner Zelle vergiftet worden sei, neue Nahrung. Für hirn- und sinnlos hält hingegen Veselin Simonovic, der Kolumnist der Zeitung Blic, die mediale Hirnsuche. Slobas Hirn habe „Serbien nie verlassen“, so seine Überzeugung.

Lebt die Milosevic-Ära wieder auf?

In der verstärkten Regierungskontrolle der Medien und der Justiz sieht Simonovic genauso ein Beleg für der Wiederaufleben der bleiernen Milosevic-Ära wie in der Verherrlichung von Kriegsverbrechern: Es scheine, als ob das verschwundene Hirn von Milosevic „in den Köpfen seiner besten Schüler verteilt“ worden sei.

Als heutigem Staatschef falle dem einstigen Informationsminister Aleksandar Vucic mit dem Frontallappen das Kontrollzentrum des Hirns zu, so Simonovic. Das Kleinhirn zur Befehlsausführung sei bei Regierungschefin Ana Brnabic gelandet, der für die Zunge zuständige Temporallappen bei dem früheren Milosevic-Sprecher und jetzigen Außenminister Ivica Dacic: Es sei allerdings zu hoffen, dass der Teil des Hirns, der die Kriege mit den Nachbarn „und der ganzen Welt“ angezettelt habe, im Schädel von Milosevic verblieben sei.