Serbiens gallische Dörfer: Oppositionsgeführte Kommunen begehren auf

Serbiens gallische Dörfer: Oppositionsgeführte Kommunen begehren auf

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Nur noch eine Handvoll von Kommunen wird beim EU-Anwärter Serbien von Oppositionsparteien geführt. Leicht haben es „Serbiens gallische Dörfer“ im faktischen Einparteienstaat nicht. Über den Druck sowie Abwerbungs- und Einschüchterungsversuche der regierenden SNS haben sich drei Kommunen beim Europarat beschwert.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser

Ein Gebinde verwitterter Plastikblumen liegt vor dem verwaisten Partisanendenkmal von Paracin. Als einsamer Kämpfer gegen eine erdrückende Übermacht fühlt sich im Rathaus der serbischen Provinzstadt Bürgermeister Sasa Paunovic. In Serbien werde Demokratie nur noch „simuliert“, klagt der stellvertretende Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei (DS). Als „Autokratie, in der Andersdenkende als Verräter gelten und gegen die der ganze Staatsapparat in Bewegung gesetzt wird“, umschreibt er sein von der nationalpopulistischen SNS geführtes Heimatland: „Es stört sie, dass es überhaupt noch Kommunen gibt, in denen nicht die Regierungspartei das Sagen hat.“

Mit dem gallischen Asterix-Dorf, das von Römern umringt sei, verglich Nebojsa Zelenovic, der Bürgermeister von Sabac, bei einer Anhörung vor dem Europarat kürzlich die Lage der wenigen noch von der Opposition geführten Kommunen: „Und alle fragen sich, was der Zaubertrank ist und wie es möglich ist, dass wir trotz allen Drucks standhalten.“

Tatsächlich wird nur noch eine Handvoll der 170 Kommunen beim EU-Anwärter von Oppositionsparteien geführt. Im faktischen Einparteienstaat unter dem allgewaltigen SNS- und Staatschef Aleksandar Vucic haben „Serbiens gallische Dörfer“ keinen leichten Stand. Außer finanziellen Benachteiligungen machen ihren Stadträten und Bürgermeistern der Druck und Abwerbungsversuche der SNS zu schaffen.

Mit Paracin, Sabac und Cajetin begehren drei widerspenstige Provinzstädte gegen den ihrer Meinung nach „kriminellen“ Missbrauch staatlicher Institutionen zur Einschüchterung oppositioneller Kommunalpolitiker auf: Gemeinsam haben die drei Städte beim Europarat eine Beschwerde über die Störfeuer der Regierungspartei und die Einschränkung der lokalen Selbstverwaltung eingelegt.

Mehr Zuwendungen für SNS-Kommunen

Dass SNS-geführte Kommunen einer ähnlichen Größe aus Belgrad bis zu 30 Mal höhere Zuwendungen als das rund 25.000 Einwohner zählende Paracin erhalten, bezeichnet Paunovic als „Teil der Folklore des in Serbien üblichen Politspiels“. Mehr zu schaffen macht ihm die Belgrader Blockade bei der Neubesetzung freiwerdender Stellen: „Sie machen es uns unmöglich, die benötigten Leute zu engagieren – und schaffen alle Bedingungen, dass die Bürger unzufrieden mit ihrer Kommune werden.“

Da seit 2012 in Serbien ein gesetzlicher Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst besteht, benötigen die Kommunen für jede Anstellung die Genehmigung der Regierung in Belgrad. Obwohl die Zahl der kommunalen Beschäftigten in Paracin ein Drittel unter der gesetzlich festgelegten Maximalzahl liege, seien von Belgrad in sechs Jahren nur die Neubesetzung von sieben Stellen abgesegnet worden. Die Personallücken könnten mit Zeitarbeitskräften und Freiwilligen kaum mehr gestopft werden: „Allein in den Kindergärten fehlen 60 Erzieher.“

Einen „klaren Gesetzbruch“ macht der 48-Jährige jedoch vor allem bei den Versuchen der SNS aus, die Änderung des Wählerwillens in den von der Opposition geführten Kommunen zu erzwingen. Paunovic spricht von einer „Maschinerie“, die von einem Zentralstab in der SNS orchestriert werde. „Synchronisierte Medienattacken“ gegen Amtsträger würden dabei von der Bedrohung und Erpressung einzelner Stadträte flankiert, um diese zu einem Parteiwechsel zu bewegen: „Stadträte sind keine Berufspolitiker. Und wenn man ihnen mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, kompromittierenden Artikeln, dem Verschwinden in einem Gepäckräum oder anderen Mafia-Abrechnungen droht, haben sie Angst um ihre Familien – und ihr Leben.“

In 35 der 170 serbischen Kommunen sind Oppositionsmehrheiten in den letzten Jahren jenseits regulärer Wahlen zugunsten der SNS gekippt. Und ähnlich wie zuvor in anderen Städten ging der SNS-Feldzug zur Übernahme des Rathauses von Paracin von einem kaum wahrgenommenen „Anti-Korruption“-Webportal aus, hinter dem laut Paunovic die SNS steht: Seit 2017 habe die Site „embargo.rs“ vermehrt „frei erfundene“ FakeNews-Texte über angeblich korrupte Machenschaften der Rathausherren lanciert.

In einem zweiten Schritt pflegten SNS-nahe Massenmedien wie das Boulevardblatt Informer oder der TV-Sender Pink den vermeintlichen Skandal mit Verweis auf das Web „aufzugreifen“ und mit eingeholten Stellungnahmen bekannterer SNS-Politiker anzureichern, so der Bürgermeister: „Man muss politische Gegner in Serbien nicht mehr ermorden lassen. Man kann sie auch mithilfe der Medien aus dem politischen Leben eliminieren.“

Rathausstürmung verhindert

Zum medialen Kesseltreiben gegen die Opposition werden notfalls auch juristische Hilfstruppen aktiviert. Nach der Machtergreifung der SNS seien zwischen 2012 und 2016 34 frühere Bürgermeister der Opposition wegen des Vorwurfs korrupter Machenschaften zeitweise verhaftet worden, berichtete kürzlich Sabac-Bürgermeister Zelenovic. Doch bisher sei es in keinem einzigen Fall zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen: „Sie wurden kriminalisiert, um ihnen die Teilnahme am politischen Leben unmöglich zu machen.“

In Paracin mündete die Eskalation der „Skandalisierungsspirale“ vor Jahresfrist in einem vereitelten Sturm auf den Stadtrat. Von ihm bekannten SNS-Mitgliedern sei ihm damals am Vorabend einer Stadtratssitzung gesteckt worden, dass lokale SNS-Aktivisten diese zu sprengen beabsichtigten, so Paunovic: „Die Vertreibung der Stadträte aus dem Saal sollte als Aktion erboster Bürger dargestellt werden – und als Vorwand für einen außerordentlichen Parlamentsbeschluss zur Auflösung des Stadtrats und Ausschreibung von Neuwahlen dienen.“

Paunovic alarmierte die Aktivisten seiner Partei. Mit deren Hilfe wurde ein Rathaussturm trotz Gerangels verhindert – und ging die Ratssitzung letztendlich ungestört über die Bühne. Als der Bürgervater hernach im letzten Sommer mit der Unterstützung seiner Kollegen in Cajatin und in Sabac beim Europarat eine offizielle Beschwerde über die Einschränkung der lokalen Selbstverwaltung in Serbien einreichte, brach über ihm eine Welle wüster Verunglimpfungen der Regierungsmedien als „Verräter“ ein – und erreichten ihn dunkle Drohungen, dass „SNS-Aktivisten“ aus Nordkosovo unterwegs seien, um ihn „gewaltsam“ zu entfernen.

Nach der Einladung zur Anhörung beim Europarat sah sich sein Kollege Zelenovic im vergangenen November wiederum vermehrten Hausdurchsuchungen der Polizei ausgesetzt: Insgesamt vier Monate habe die Polizei im Rathaus von Sabac nach Beweisen für den Vorwurf finanzieller Unregelmäßigkeiten gesucht – ohne fündig zu werden.

Im Rathaus von Paracin prangt noch immer ein vergilbtes Porträt des 2003 ermordeten Reformpremiers und DS-Gründers Zoran Djindjic. Wenn er heute die Seiten wechseln und in die SNS eintreten würde, hätte er „morgen keinerlei Probleme mehr“, sagt der gelernte Elektro-Ingenieur Paunovic. Doch wegen des Ideals des „Kampfs für die Freiheit“ sei er 1992 als Student der DS beigetreten: „Und ich halte es noch heute für wichtig, für die Freiheit zu kämpfen. Denn das Ersticken von Freiheit erschwert jeden Fortschritt.“