Selbstabschaffung – Wenn ein Volk der Demokratie müde wird

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Eine Demokratie kann sich auf ganz demokratische Weise selbst abschaffen: Eine Mehrheit der Wähler stimmt dafür und braucht von da an nicht mehr wählen zu gehen. Die Qual der Wahl hat ein Ende. Von da an bestimmt einer, wo’s langgeht, und die anderen brauchen sich über die Res publica nicht mehr den Kopf zu zerbrechen.

In den meisten Demokratien ist diese Regierungsform ja nicht vom Himmel gefallen: Sie wurde im Laufe von bitteren und blutigen Konflikten unter enormen Opfern erkämpft.

Menschen nahmen Folter und Ermordung in Kauf, weil ihnen ein Leben in Knechtschaft nicht mehr lebenswert erschien. In Europa wie in Brasilien.

Und dann beschließt die Wählerschaft an einem hässlichen Wahltag, dass ihr die Demokratie fad geworden ist, dass ihr die ganze Veranstaltung eh nichts bringe. Dann wird die „Herrschaft des Volkes“ auf der Deponie für gescheiterte politische Ideen entsorgt und alle Kämpfe waren umsonst.

Man fragt sich natürlich, wie blöd muss ein Volk sein, um so etwas zu tun? Ist eine Hälfte der Brasilianer kollektiv geistig abgeschmiert, als sie dem Diktatur-Bewunderer Bolsonaro zu den Hebeln der Macht verholfen hat?

Wohl kaum: Denn wenn in einem Land die Demokratie plötzlich als entbehrlich angesehen wird, dann meist, weil sie den hohen Erwartungen, die sie beim Volk erweckt hat, nicht gerecht werden konnte. Rund 33 Jahre sind seit dem Ende der letzten Militärdiktatur in Brasilien vergangen, doch für viele Brasilianer hat die Ära der Demokratie wenig gebracht. Wucherndes Elend, eine Korruption, die den ganzen gesellschaftlichen Körper durchsetzt und zerfrisst, allgegenwärtige mörderische Gewalt in der ach so lebensfrohen Karneval-Hochburg Rio: Auf all das wussten in den vergangenen Jahrzehnten die demokratischen Regierungen keine überzeugende Antwort.

Und dann kommt der Moment, wo das Volk einem Demagogen nachläuft, weil der einfache Lösungen für komplexe Probleme anbietet. Der Armee-Kapitän i.R. Bolsonaro verspricht, dass „Ordnung und Fortschritt“ (die Devise auf der brasilianischen Nationalflagge) nun endlich Einzug halten werden, sobald man nur das Land so führe wie eine Armee.
Das Problem: Armeen mögen für vieles gut sein, ihre Befehls- und Verwaltungsstrukturen lassen sich nicht einfach zur Regierung einer Zivilgesellschaft transplantieren. Denn deren Probleme sind so komplex, dass die glasklaren und einfachen Befehlsketten der Streitkräfte für ihre Lösung nicht die geeigneten Instrumente parat haben.

Glorreiche Generäle haben im Laufe der Geschichte oft miese Politiker abgegeben. Kommissköpfe sind außerhalb von Schlachtfeld und Kasernenhof meist für wenig Nützliches zu gebrauchen. Doch wenn die Brasilianer dies merken, wird es zu spät sein.

Es ist viel leichter, eine Demokratie kaputtzumachen, als sie bei Bedarf wieder aufzubauen.

Jacques Zeyen
1. November 2018 - 14.35

Die Kinder und Jugendlichen müssen es erst einmal bis zur Schule schaffen.Das wäre schon ein großer Schritt. Schule oder gar Uni sind in diesen Ländern nur für Eliten vorgesehen.Die Masse bleibt draussen und doof. Und wenn dann Lehrer und Professoren auch noch aufpassen müssen was sie sagen ( Evolution ist eine Theorie und kein Fakt steht z.B. in Amerika in Lehrbüchern) weil sie sonst riskieren von der Schule zu fliegen,dann sieht man wo die Karre hinsteuert.

Grober J-P.
1. November 2018 - 1.04

Das Stichwort heißt Bildung. Mal nachschauen was ein Lehrer oder Professor an der Uni in Brasilien oder in den USA verdient. Das allein gibt Anlass zum Grübeln!

Jacques Zeyen
31. Oktober 2018 - 14.53

Die Demokratie verteufeln weil es Länder gibt die es nicht schaffen sie richtig anzuwenden? Schon die alten Philosophen beharrten darauf,dass Regierungen nur von Philosophen und nicht von Gemeinen aus dem Volke gestellt werden sollten. Wenn die Geschichte uns etwas gelehrt hat,dann doch sicher,dass ein Volk das sich eine Diktatur zulegt zu blöd ist sich sebst zu regieren. Auch Churchill sagte,dass Demokratie eine lausige Sache ist,aber die beste bis eine noch bessere erfunden würde. Würde ein einziger Ostdeutscher wieder unter das DDR-Regime wollen,oder Russen unter Stalin usw. Nein. Demokratie funktioniert -viele Länder wenden sie erfolgreich an.Schweiz,Europa usw. Wenn Italien nur einige Monate im Jahr überhaupt eine Regierung hat,dann sollte man der Demokratie nicht die Schuld geben. Wollen die Italiener einen Mussolini zurück? Vielleicht-einen halben haben sie ja bereits. Man sollte eben nicht mit dem Bauch wählen und wenn ungebildete oder desillusionierte Wähler das tun,dann kommen solche Resultate an den Tag. Wenn die ersten Bürger einfach verschwinden,weil sie anderer Meinung waren,dann wird das Geschrei groß sein. Soldaten sind Befehlsempfänger die so abgestumpft sind,dass sie auf Befehl die eigenen Eltern erschiessen würden. Die Brasilianer haben sich das Messer an die Gurgel gesetzt.

roger wohlfart
31. Oktober 2018 - 13.54

P.S.Man könnte auch sagen, die Demokratie schaufelt sich ihr eigenes Grab.

roger wohlfart
31. Oktober 2018 - 12.41

Ein Phänomen, das weltweit zu beobachten ist, besonders in Ländern der Dritten Welt. Die Demokratie hat ihre Chance dort verspielt. In ihrer Verzweiflung suchen die Menschen nach anderen Lösungen und gehen Demagogen und Volksaufwieglern auf den Leim. Diesen ist aber nicht am Wohle ihres Volkes gelegen, sondern an pesönlicher Bereicherung und an Macht. Am allerwenigsten wird in Bildung investiert weil Analphabeten leichter zu manipulieren sind als informierte Menschen. So lange die demokratisch gewählten Regierungen sich nicht für die Grundrechte ihrer Bürger einsetzen und mit aller Konsequenz die Armut bekämpfen, so lange gedeiht die Saat der Extremisten und Fundamentalisten.

Jeck Hyde
31. Oktober 2018 - 10.29

Absolut. 100% einverstanden.

Grober J-P.
31. Oktober 2018 - 9.47

Wie sagt meine brasilianische Familie: Demokratie ist sehr schwierig, wir sind zu faul dazu. Demokratie hat uns desillusioniert, unsere Hoffnungsträger waren auch nur Menschen, sie haben sich vom Kapital korrumpieren lassen genauso wie damals die alten Militärs. Wir kriegen jetzt wenigstens wieder einen der für uns entscheidet, besser wird es uns dadurch nicht gehen aber wir dürfen vielleicht sogar Waffen tragen um uns gegen unseren kriminellen Nachbarn zu schützen. Sogar die Schwulen werden mit Gottes Hilfe wieder geheilt werden. Großgrundbesitzer werden wieder Gewinne einfahren, wenn der Wald mal gerodet ist. In zwanzig Jahren wird die nächste Generation auf den Geschmack kommen Demokratie wagen zu wollen, dann wird es wieder von vorne beginnen, so ist halt der Weltenlauf. Ihr drüben in Europa macht es ja nicht viel anders, ihr lauft ja auch den angeblichen „starken Händen“ nach. Der Mensch ist ein unbelehrbares Wesen.

Tom
31. Oktober 2018 - 9.13

Ein interessanter Artikel Herr Wagner und dies mag durchaus der Wahrheit entsprechen, allerdings wird die Infragestellung der Umsetzung der wahren Demokratie bei uns in Europa von dem Leitmedien nicht ernsthaft gestellt weder kritisiert noch überhaupt genügend zur Sprache gebracht. Vor allem aber der mögliche totalitäre Charakter verschiedener Institutionen, ob nun demokratisch gewählt oder nicht und ihrer Handlungen gegenüber Kritikern dieser. Die Meinungsäußerungsfreiheit scheint bedauerlicherweise sehr daran zu leiden. was sich seit einigen Jahren fast in einer neuen Form von Zensur entwickelt, weshalb es durchaus sinnvoller Wäre diese immer wieder anzuprangern und schlussendlich unsere Form von Demokratie nochmals zu durchleuchten, bevor wir anderen Staaten einen eventuellen Demokratiedefizit vorhalten können.