„Bescheiden bleiben“: Roberto Traversini, grüner „Député-maire“ von Differdingen, im Gespräch

„Bescheiden bleiben“: Roberto Traversini, grüner „Député-maire“ von Differdingen, im Gespräch
Foto: Isabella Finzi

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Der 55-Jährige hat bei der Wahl persönlich zwar ein beachtliches Resultat erzielt – will aber trotzdem nicht in die Regierung.

1994 nahm Roberto Traversini zum ersten Mal an den Nationalwahlen teil. Erst 19 Jahre später rückte er für Felix Braz in die Chamber nach, als dieser Minister wurde. Fast zeitgleich übernahm Traversini als Erster Schöffe das Amt des Bürgermeisters der Gemeinde Differdingen von Claude Meisch (DP), der ebenfalls Minister wurde. 2017 wurde Roberto Traversini mit einem beachtlichen Resultat im Bürgermeisteramt bestätigt. Bei den Nationalwahlen am 14. Oktober wurde der 55-Jährige im Südbezirk hinter Felix Braz zum ersten Mal direkt ins Parlament gewählt.

Tageblatt: Bei den Nationalwahlen haben „déi gréng“ endlich ihren lang ersehnten dritten Sitz im Süden und zusätzlich noch zwei Sitze im Zentrum hinzugewonnen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Roberto Traversini: Das liegt einerseits daran, dass unsere Vertreter in der Regierung extrem gut gearbeitet haben und wir stets die Dinge getan haben, die wir für richtig hielten. Andererseits spielt auch das gestiegene Bewusstsein in der Bevölkerung für nachhaltige Themen eine bedeutende Rolle. Vielen Menschen ist klargeworden, wie wichtig saubere Luft, sauberes Trinkwasser und eine hohe Lebensqualität sind. Natürlich reagieren Gesellschaften, denen es gut geht, empfindlicher auf solche Themen. Dessen bin ich mir bewusst.

Welchen Einfluss hatte der heiße und trockene Sommer auf das Wahlresultat?
Es kann sein, dass das mitgespielt hat, aber ich glaube nicht, dass es der einzige Grund für unseren Erfolg war. Ereignisse wie die Katastrophe von Fukushima 2011 rütteln einen wach, doch danach geraten sie wieder in Vergessenheit. Beim Klima merkt aber mittlerweile die ganze Welt außer Donald Trump, dass sich etwas ändern muss.

Ihre Partei kann seit einigen Jahren auf eine starke zivilgesellschaftliche Unterstützung zählen. Neben dem „Mouvement écologique“ stechen vor allem die zahlreichen Initiativen aus der Transition-Bewegung und der Kreislaufwirtschaft hervor. Wie hoch schätzen Sie den Einfluss dieser Zivilgesellschaft ein?
Die Kreislaufwirtschaft ist insbesondere bei jungen Leuten ein großes Thema. Viele von ihnen können sich sehr gut mit dem Secondhand-Gedanken anfreunden. Man sieht es auch im 1535°C und in unserem neuen Fahrradladen, den die Stadt Differdingen zusammen mit dem CIGL eröffnet hat. Die Wiederverwertung gebrauchter Ressourcen spielt auch in der Landwirtschaft und im Bauwesen eine immer wichtigere Rolle.

Am 14. Oktober haben Sie mehr als doppelt so viele Stimmen wie noch bei den Wahlen 2013 eingefahren. Nach den Gemeindewahlen 2017 ist das ein weiterer persönlicher Erfolg für Sie. Wie fühlt sich das an?
Ich habe 124 Prozent mehr Stimmen als 2013 bekommen. Das ist natürlich einmalig. Vor mir liegen nur Felix Braz und François Bausch. Und ich war weder Spitzenkandidat, noch war ich auf einer „table ronde“ oder habe mich mit meinen Ämtern nach vorne gerückt. Auch im Hinblick auf meine Lebensgeschichte ist das großartig. Ich wurde nicht in Luxemburg geboren, meine Eltern wurden mit der Polizei über die Grenze gesetzt. Das Ergebnis von 2017 und die Bestätigung in diesem Jahr verleihen mir ein enorm gutes Gefühl.

Verglichen mit den Kollegen aus Ihrer Fraktion waren Sie in der vergangenen Legislatur nicht unbedingt der aktivste Abgeordnete, zumindest nicht was die Anzahl der parlamentarischen Anfragen betrifft. Woran liegt das?
Wenn ich eine Frage habe, greife ich zum Telefon und stelle sie. Persönlich halte ich nicht so viel davon, ständig parlamentarische Anfragen zu verfassen oder mich in den mündlichen Fragestunden hervorzutun. Das passt nicht zu mir. Ich suche eher den direkten Kontakt zu den Ministern und Abgeordneten. Deshalb werde ich auch in den kommenden fünf Jahren kaum parlamentarische Anfragen stellen, es sei denn, ich würde auf eine wichtige Frage keine zufriedenstellende Antwort bekommen. Ich lese auch als Bürgermeister keine E-Mails, die länger als drei Sätze sind. Wer ein wichtiges Anliegen hat, soll mich anrufen oder im Büro vorbeikommen. Ich bin jeden Tag ab 5 Uhr morgens hier.

Wie erklären Sie sich, dass Sie trotzdem so populär bei den Wählern sind?
Meine Beliebtheit rührt vor allem daher, dass ich mich für die Sache einsetze und nach den Regeln lebe, die ich predige. Zudem bin ich ganz nah an den Bürgern und fast immer für jeden erreichbar. Ich habe durch mein soziales Engagement zur Politik gefunden. Dieses Engagement führe ich nach wie vor weiter.

Sie haben am Samstag dem Luxemburger Wort gesagt, dass Sie nicht Minister werden wollen. Hätte Ihre Partei Sie denn überhaupt rangelassen? Wir nehmen mal an, dass weder Felix Braz oder François Bausch noch Carole Dieschbourg oder Claude Turmes auf ihr Amt verzichten wollen und Ihre Partei ja auch noch die eine oder andere Frau braucht, wenn sie ihren Ansprüchen im Bereich der Geschlechtergleichstellung gerecht werden will?
Mit meinem guten persönlichen Resultat hätte ich Ansprüche stellen können. Schlussendlich ist es aber die Partei, die entscheidet. Ich möchte klarstellen, dass ich bei den Wahlen angetreten bin, damit „déi gréng“ in die Regierung kommen und nicht damit ich in die Regierung komme. Letztes Jahr bin ich in die Wahlen gegangen, um Bürgermeister zu werden, und das will ich auch bis 2023 bleiben. Deshalb ist mir die Entscheidung ziemlich leicht gefallen.

Ich wollte das klarstellen, damit die Angestellten der Gemeinde wissen, dass sie weiter auf mich zählen können und auch damit meine Partei weiß, wo ich mich selbst sehe. Dadurch können potenzielle Konfliktsituationen entschärft werden. Ich unterstütze natürlich die Politik der Gleichstellung, doch wer sagt denn, dass wir nur ein zusätzliches Ministeramt erhalten? Es können vielleicht auch mehr werden.

In der CSV und LSAP wird zurzeit viel über Erneuerung gesprochen. Bei den Grünen stellt sich diese Frage zurzeit noch nicht. Sind die Stühle bei Ihnen weniger klebrig?
Wir haben die paritätische Geschlechterquote in unseren Statuten und nehmen auch Einwanderer mit auf die Listen. Es reicht nicht, über Veränderungen zu reden, man muss sie auch umsetzen. Junge Politiker muss man aufbauen und ihnen die Verantwortung überlassen, wenn sie dazu bereit sind. Einer unserer Minister ist mittlerweile Anfang 60. Wir müssen jetzt eine Diskussion beginnen, wie wir eine Erneuerung hinbekommen. Mit Sam Tanson und François Benoy haben wir gute Leute, die Verantwortung übernehmen können. Und es kann sein, dass dann ganz junge Politiker für sie nachrücken. Aber das ist kein Zufall, sondern auf eine kontinuierliche Arbeit zurückzuführen. Die Sache ist wichtiger als die Posten.

Zurzeit deutet vieles auf eine Weiterführung der Dreierkoalition hin. Sind Sie zufrieden mit dieser Konstellation?
Für uns Grünen kam rein rechnerisch keine andere Alternative infrage. Ich hoffe, dass das jetzt was wird, denn nach diesem guten Resultat wäre es ein Fehler, in die Opposition zu gehen.

Spätestens nach diesen Wahlen haben sich „déi gréng“ als „Volkspartei“ etabliert. Welche Konsequenzen hat das für ihre zukünftige Ausrichtung?
Unser Wahlprogramm hat über 100 Seiten und wir haben alle Themenbereiche behandelt. Der Begriff „Volkspartei“ macht mir keine Angst, weil er impliziert, dass wir nahe am Bürger sind und auf alle Fragen gute Antworten haben. Wir sollten aber weiterhin bescheiden bleiben.

Vor allem bei sozialen Themen wie Index, Mindestlohn oder Renten geben sich „déi gréng“ eher zurückhaltend oder machen keine klaren Aussagen. Wird Ihre Partei dadurch für mehr Menschen wählbar?
Die Armut bekommen wir nicht mit dem Index oder einer Erhöhung des Mindestlohns von 100 Euro unter Kontrolle. Das geht nur, wenn wir den Menschen bezahlbare Wohnungen bieten können. Wenn wir das in den Griff bekommen, brauchen wir auch nicht die Arbeitgeber mit einer Erhöhung des Mindestlohns zu belasten, denn sie sollen ja konkurrenzfähig bleiben. Mit zusätzlichen 100 Euro kann man jedenfalls nicht die Armut in Luxemburg bekämpfen.