Raus aus der Hölle: Ana Pinto fordert konsequentes Handeln gegen häusliche Gewalt

Raus aus der Hölle: Ana Pinto fordert konsequentes Handeln gegen häusliche Gewalt

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Häusliche Gewalt ist ein komplexes Thema. Die Aufarbeitung und Wahrheitsfindung ist nicht einfach, wie aktuell ein Fall vor dem Berufungsgericht in Luxemburg zeigt. Häusliche Gewalt aber darf kein Tabuthema sein. Auch deshalb hat Ana Pinto eine Petition eingebracht. Sie fordert ein konsequenteres Vorgehen, wenn den Opfern geholfen werden soll.

Die „Cité judiciaire“ in Luxemburg-Stadt, vergangene Woche: Vor dem Berufungsgericht geht es um einen Fall, der sechs Jahre zurückliegt, damals aber „sans suite“ zu den Akten gelegt wird. Es geht um einen Mann, der seine Frau schwer misshandelt haben soll. Der Anwalt der Frau sorgt dafür, dass der Fall 2018 frisch aufgerollt wird. Anfang 2019 wird der beschuldigte Mann in erster Instanz verurteilt. Er legt Berufung ein.

Der Angeklagte streitet die Vorwürfe weiterhin ab. Wie auch schon in der Vergangenheit behauptet er, dass er nicht der Verursacher jener Verletzungen sei, die auf Fotos zu sehen sind, die dem Gericht vorliegen. Seine Frau sei gestürzt oder ausgerutscht und habe sich möglicherweise verletzt, als er sie auffangen und ihren Sturz bremsen wollte.

Aussage gegen Aussage

Sich in diesem Fall einen Durchblick zu verschaffen, dürfte keine einfache Aufgabe für die Berufungsrichter sein. Denn was kann eigentlich heute, viele Jahre später, noch genau zurückverfolgt und untersucht werden? Die Anwälte der beiden Parteien scheinen das zu wissen. Der Anwalt des Beschuldigten plädiert auf Freispruch. Der Anwalt der Frau bedauert, dass seine Mandantin lange Zeit nicht ernst genommen wurde und dass alles nur schleppend vorankam.

„Entweder wir glauben der Frau oder wir glauben ihr nicht“, sagt die Vertreterin der Staatsanwaltschaft. Es hört sich so an, als ob sie ihr glauben würde. Man wird sehen. Das Urteil soll am 5. November gesprochen werden.

Fälle wie diesen, gibt es immer wieder. Er zeigt, wie schwierig es sein kann, häusliche Gewalt in ihrer Komplexität zu verstehen, wenn zum Beispiel Aussage gegen Aussage steht, es an eindeutigen Beweisen fehlt und Zweifel aufkommen darüber, wie man urteilen soll und muss. Solche Situationen habe auch sie erlebt, sagt Ana Pinto.

Ein Albtraum

Was damals mit einer Märchenhochzeit beginnen soll, sei zu einem Albtraum geworden. Ana erzählt, wie sie oft vergeblich versucht, Hilfe zu finden, wie ihr nicht wirklich geglaubt wird. Sie erzählt auch, wieso es in solch komplexen Situationen zu Abhängigkeiten kommen kann, die einen schnellen Ausweg aus der Gewaltbeziehung versperren.

Ana hat es irgendwann geschafft, von ihrem Mann wegzugehen und das gemeinsame Haus zu verlassen. Jahrelang ist sie in psychologischer Behandlung. Heute wirkt sie gefasst, sie lebt in einer neuen Partnerschaft und blickt nach vorne.

Grünes Licht für Petition 1388

Vergessen aber hat sie nichts. Sie erinnert sich an die Unterstützung, die ihr damals versagt blieb, und genau die fordert sie jetzt ein. Deshalb hat sie sich dazu entschlossen, eine Petition einzureichen. Die zuständige Parlamentskommission hat grünes Licht gegeben. Die Petition trägt die Nummer 1388.

Konkret geht es darum, dass wirksamer als heute und mit konkreten Mitteln gegen häusliche Gewalt vorgegangen werden soll. Ziel ist es, die Opfer besser zu schützen und Mord und Gewalt im häuslichen Umfeld zu verhindern.

Ana hat das Wort Mord ganz bewusst gewählt. Familienstreit oder Familiendrama findet sie als Umschreibung nicht passend. „Man soll es als das beschreiben, was es ist, und nicht irgendwie abschwächen, beschönigen!“

In ihrer Petition fordert Ana zudem, dass über neue Gesetze nachgedacht werden soll, um betroffene Frauen, Männer und Kinder wirksamer zu beschützen. Dazu gehören beispielsweise die Wegweisungen. Ana erinnert an den Mord an einer Frau Mitte August in Esch. Obwohl weggewiesen, konnte ein Mann sich ungestört der gemeinsamen Wohnung nähern und seine Ehefrau vor den Augen der Tochter umbringen.

Um so etwas zu verhindern, plädiert Ana zum Beispiel dafür, dass Weggewiesene eine Art Fußfessel bekommen, die am Armband ihrer Opfer Alarm auslöst, wenn eine gewisse Distanz unterschritten wird. Dieses Gerät soll demnächst in Frankreich eingeführt werden, in Spanien wird es bereits genutzt.

Nicht schweigen

Ana geht es darum, dass jemand, der zum Opfer wird, Hilfe bekommt, um so schnell wie möglich aus der Situation rauszukommen. Dass er von den Behörden ernst genommen wird und unter anderem auf Polizisten und Sozialarbeiter trifft, die verstehen, worum es geht, und die einfühlsam reagieren.

Es geht auch darum, dass es Orte gibt, wo die Betroffenen unterkommen können, wenn sie ihr Zuhause verlassen wollen bzw. müssen. Ana hat sich damals um einen Platz in einem Frauenhaus bemüht. Es gab keinen.

„Stärker als je zuvor“

Häusliche Gewalt sei immer noch ein Tabuthema, sagt sie. Mit ihrer Petition möchte sie die Öffentlichkeit aufrütteln und Aufmerksamkeit erregen. Doch selbst das scheint heute immer noch nicht so einfach, wie Ana merkt, als sie den Wortlaut ihrer Petition auf ihrer Facebook-Seite postet. Sie sei auf dem sozialen Netzwerk gesperrt worden, sagt sie, weil irgendjemand ihre Petition als Aufruf zum Hass gemeldet und Facebook das scheinbar geglaubt habe.

Seit vergangenem Freitag ist sie wieder da. „Stärker als je zuvor“, schreibt sie auf ihrer Seite. Dort zitiert sie auch den Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel: „Wir müssen uns immer für eine Seite entscheiden, Neutralität hilft dem Unterdrücker und niemals dem Opfer. Schweigen ermutigt den Folterer und niemals den Gefolterten.“
Die Petition 1388 von Ana Pinto kann noch bis zum 8. November unterzeichnet werden.