Ungarn durch die Linse eines Luxemburgers

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Seit Samstag ist die Ausstellung „Hit Me One More Time“ von Patrick Galbats im „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA) in Düdelingen zu sehen. Wir haben uns mit dem Escher Fotografen über seine Reisen nach Ungarn unterhalten.

Mit „Hit Me One More Time“ ist Patrick Galbats eine beeindruckende Ausstellung über das heutige Ungarn gelungen. Dabei kennt sich der 39-jährige Luxemburger mit ungarischen Wurzeln eigentlich besser in Rumänien aus, wo er seit 2001 regelmäßig hinfährt. Doch um dorthin zu gelangen, musste er mit dem Auto das „Land der Magyaren“ durchqueren. Nachdem er herausgefunden hatte, dass sein Großvater nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von Ungarn nach Frankreich geflüchtet war, beschloss er auf dem Weg nach Rumänien die Stadt Gyula zu besuchen, wo heute noch entfernte Verwandte von ihm leben.

Die populistische Politik der Regierung des Ministerpräsidenten Viktor Orban und seine ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen, die im Bau eines 175 Kilometer langen Grenzzauns gipfelte, verleiteten Galbats 2015 dazu, sich intensiver mit Ungarn zu beschäftigen.

Dreiteilig

Die Expo, die noch bis 29. April im CNA in Düdelingen gezeigt wird, gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil, der als Einleitung dient, verfolgt eine eher dokumentarische Herangehensweise. Die Bilder sind kleiner und auf Zeitungspapier im Broadsheet-Format gedruckt. Unter den zwölf Fotos, die nationalistische Symbole aus der ungarischen Geschichte und Mythologie sowie Porträts von Rechtsextremen zeigen, stehen kleine Erklärungstexte, die von dem in Budapest lebenden, französischen Journalisten Joël Le Pavous verfasst wurden. Auffällig ist, dass viele dieser Denkmäler und Skulpturen erst nach 1990 errichtet wurden, um ein vermeintliches „Großungarn“, den Heiligen Stephan und sein Königreich Ungarn oder das Staatsgebiet vor dem Vertrag von Trianon in das kollektive Gedächtnis einzuschreiben.

Ein häufig wiederkehrendes Motiv in der Ausstellung ist das Fabelwesen Turul, eine Mischung aus Adler und Falke, das die magyarischen Stämme im 9. Jahrhundert in die Pannonische Tiefebene gelotst haben soll, wo sie sesshaft wurden. Der Turul wird auch von rechtsextremen Gruppen und ungarischen Neonazis als Symbol verwendet.

Im Hauptteil der Ausstellung werden großformatige Fotos gezeigt, die einerseits Eindrücke von der Grenze und andererseits Bilder aus dem Landesinnern bieten. Der Grenzbereich besteht in Galbats Darstellung vor allem aus kalten Mauern, tiefen Gewässern und grauen Zäunen. Eine gewisse Melancholie, die laut Galbats Teil der „ungarischen Seele“ ist, zieht sich durch die Ausstellung.

Patrick Galbats (Foto: Editpress/Tania Feller)

Im Innern Ungarns geht es im Auge des Fotografen etwas bunter zu, doch wirklich menschlich wird es nur dort, wo persönliche Bezüge ins Spiel kommen, so zum Beispiel bei einer Badeszene im See bei Gyula oder beim Porträt des Roma-Jungen, der das Britney-Spears-Zitat „Hit me baby one more time“ auf der Brust tätowiert hat.

Opferrolle

„Hit Me One More Time“ ist auch der Titel der Ausstellung. Er nehme Bezug auf die Opferrolle, die nicht nur in Ungarn von vielen Rechtspopulisten angenommen werde, erklärt der Fotograf. In Ungarn hätte viele Menschen das Gefühl, ihr Land sei ständig von fremden Mächten besetzt gewesen: „Erst von den Ottomanen, dann von den Habsburgern. Nach der K&K-Monarchie gehörten sie zu den Verlieren des Ersten Weltkriegs und man nahm ihnen zwei Drittel ihres Territoriums weg. Danach kamen die Nazis und dann die Sowjets. Jetzt sind es die EU und Angela Merkel.“ Deshalb herrsche nun die Auffassung, dass man endlich selbstbestimmt und souverän agieren solle und dabei könne man Flüchtlinge überhaupt nicht brauchen.

„Die Fotos sind meine Art und Weise darzustellen, wie der Nationalismus nach dem Fall der Mauer in den vergangenen 30 Jahren wieder aufblüht“, erklärt Galbats. Es sei erschreckend, dass nun wieder Büsten für Politiker aufgestellt werden, die vor dem Zweiten Weltkrieg antisemitische Rassengesetze umgesetzt haben. Diesen „Revisionismus“ möchte er in seiner Ausstellung entlarven.

Bevor der Wahl-Escher zum Fotografieren nach Ungarn loszog, hat er sich erst informiert. Er hat „Ungarn in der Nussschale“ von György Dalos und Klassiker der ungarischen Literatur gelesen. Nachdem er sich einige Grundkenntnisse in der Landessprache angeeignet hatte, suchte er mit Googles Street View nach symbolischen Orten.

Analog

Seine Bilder von Ungarn hat Galbats mit analogen Mittel- und Großformatkameras geschossen. „Die Arbeitsweise ist langsamer und man macht insgesamt weniger Fotos als mit einer Digitalkamera. Zudem bietet das Großformat mehr technische Möglichkeiten“, begründet Galbats seine Entscheidung. Der Nachteil sei, dass die Entwicklung der Filme recht teuer ist.

Damit Galbats das Fotoprojekt bezahlen zu kann, hat das CNA dem Fotografen finanzielle Hilfe geleistet und kümmert sich um die Organisation der Ausstellung. Weitere Unterstützung kam vom nationalen Kulturfonds Focuna und vom Kulturministerium. Nach der Ausstellung wird Galbats in Zusammenarbeit mit dem CNA und dem Berliner Verlag Peperoni Books auch ein Buch über seine Eindrücke aus Ungarn veröffentlichen.