Plötzlich wieder fest im Sattel: Arbeitsmarktpläne stärken SPD-Chefin Andrea Nahles

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Die SPD kennt sich aus mit Hypes. Als die Genossen vor zwei Jahren Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten ausriefen, sauste der umjubelte „Schulz-Zug“ los – und entgleiste dann jäh. Euphorie, Frust und Selbstzerfleischung liegen bei der SPD immer nah beieinander.

Von unserem Korrespondenten Hagen Strauß

Jetzt hat das Sozialstaatsprogramm der Partei neues Leben eingehaucht. Und plötzlich sitzt auch Andrea Nahles wieder fester im Sattel. Doch wie lange hält die gute Stimmung an? Wer Nahles’ Auftritt am Donnerstagabend in der TV-Sendung „Maybrit Illner“ sah, der erlebte eine ziemlich aufgeräumte SPD-Partei- und Fraktionschefin, fast in sich ruhend. Die Verunsicherung der letzten Monate angesichts katastrophaler Umfragewerte war wie weggeblasen, jeden Angriff von FDP-Chef Christian Lindner parierte Nahles ohne große Schwierigkeiten. Das Arbeitsmarktpapier mit längerem Arbeitslosengeld I, höherem Mindestlohn und dem „Bürgergeld“ statt Hartz IV sei ein „sozialdemokratisches Gesamtkonzept“ und „Kerngeschäft“ der Partei. Nahles’ wichtigster Satz in der Runde war freilich der: „Wir leben noch.“

Da ist was dran. In diesen Tagen hörte man von den Genossen so etwas wie ein kollektives Aufatmen. Endlich sei es gelungen, sich vom Mühlstein der Agenda-Politik des Ex-Kanzlers Gerhard Schröder zu befreien und ein Programm vorzulegen, das SPD pur bedeute. „Wir sind wieder erkennbar“, so eine führende Genossin. Soll heißen: Profilierung gelungen. Und das, so loben nicht wenige Sozialdemokraten, habe viel mit Nahles zu tun. Ausgerechnet mit der Frau, von der es vor der SPD-Klausur am vergangenen Wochenende noch hieß, ihre Tage im Amt könnten gezählt sein. Potenzielle Nachfolger wie Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig oder der Niedersachse Stephan Weil wurden bereits gehandelt, die den Parteivorsitz womöglich nach einer vergeigten Europawahl im Mai übernehmen könnten. Nahles habe den Laden nicht in den Griff bekommen, die 48-Jährige setze keine Impulse, das Umfragetief zehre an den Nerven aller. Das streuten die Büchsenspanner.

Attacken von der Seitenlinie

Es waren vor allem Männer. Die Attacken von der Seitenlinie durch Ex-Parteichef Sigmar Gabriel und den früheren Kanzler Schröder, Nahles begehe „Amateurfehler“, verstärkten den Eindruck, dass sich die Vorsitzende in einer immer brenzliger werdenden Lage befindet. Das mag auch so gewesen sein. Doch zum einen kamen Gabriels und Schröders Attacken für Nahles zum richtigen Zeitpunkt – sie schadeten ihr nicht, sondern schlossen eher die Reihen hinter ihr. „Es gibt niemanden in der Partei, der sagt, jetzt muss Gabriel wiederkommen“, so der einhellige Tenor. Stattdessen hieß es, Nahles habe bei der Erarbeitung der Sozialstaatspläne den Debatten ihren Lauf gelassen, „es gab Vorgaben, aber keine Befehle von oben“, hob ein Vorstandsmitglied hervor. „So frei haben wir noch nie diskutiert.“ Anders sei es früher unter Gabriel gewesen, der Kritiker oft barsch abgekanzelt habe. Nahles hingegen sei es gelungen, alle einzubinden. Vom aufmüpfigen Juso-Chef Kevin Kühnert bis hin zum rechten Parteiflügel, dem Seeheimer Kreis.

Die Frage ist nun, ob der Aufschwung eine Eintagsfliege ist oder nicht. Die SPD muss liefern, das weiß man auch im Willy-Brandt-Haus. Aber erstens steht der Koalitionspartner Union im Weg. Und zweitens muss die SPD noch die Finanzierung ihrer Pläne erklären. Das könnte dann viele wieder vergrätzen. Jedenfalls machte Nahles neulich deutlich, dass auch sie den Mut zu Höherem habe: „Wenn ich mir eine Kanzlerkandidatur nicht zutrauen würde, hätte ich mich niemals um das Amt der SPD-Vorsitzenden beworben.“ So weit ist es noch lange nicht. Aber Nahles kann seit langem mal wieder durchatmen.