„Pipapo“: Luxemburger Initiative will Drogen-Konsumenten lieber informieren, anstatt zu moralisieren

„Pipapo“: Luxemburger Initiative will Drogen-Konsumenten lieber informieren, anstatt zu moralisieren

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Die luxemburgische Initiative Pipapo hat sich Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll verschrieben. Wenn eine Party stattfindet, ist das Team meist nicht weit und informiert über „Safer Use“, also verantwortlichen Konsum, bei dem Risiken bekannt sein sollten, um sie zu vermeiden und somit positive Erfahrungen zu machen. Hierbei wird nach dem Prinzip gearbeitet, dass Information den bestmöglichen Schutz bietet. Wir haben mit Carlos Paulos, dem Hauptverantwortlichen des Projektes, gesprochen.

Von Anne Schaaf, Jodie Schmit, Cynthia Schmit

Der Bass dröhnt, überall sind Feierwütige zu sehen und das Verlangen nach dem richtigen Kick, um alle Sinne zu stimulieren, wird immer größer. Doch was ist für den Moment das Richtige? Der Blick schweift über die tanzende Menge. Bis auf einmal eine Plastik-Quietscheente im Blickfeld erscheint. Nein, es handelt sich nicht um eine Halluzination oder Wahnvorstellung.

Zur Person

Der diplomierte Psychologe Carlos Paulos absolvierte ebenfalls ein Doktorat in Neurowissenschaften. Er kommt selbst, laut eigenen Aussagen, „aus der Feierszene“. Das Interesse für kulturelle Abendveranstaltungen sei bereits vor etlichen Jahren aufgekommen, als er begann, nebenberuflich als Musiker aufzutreten.

Im Rahmen seiner professionellen Laufbahn wurde er dann unter anderem auf das Thema „Safer Use“ aufmerksam und langsam, aber sicher nahm die Idee, sein Fachwissen und den Feierkontext zu kombinieren, Form an.

Beim Ausklügeln – von interessierten Bekannten unterstützt – entstand das Grundgerüst für das, was wir nun als Pipapo kennenlernen.

Zu sehen ist nämlich der Informationsstand von Pipapo, dessen Maskottchen eine Ente ist, die auch beim Partymachen nicht untergehen soll. Wer das Team ansteuert, erhält bei Bedarf Informationen zu unterschiedlichen Substanzen sowie ihren potenziellen (Neben-)Wirkungen. Als höchstes Gebot gilt die Kommunikation auf Augenhöhe. Den Mitarbeitern ist daran gelegen, dass eine Party durch Informiert-Sein genossen werden und sanft ausklingen kann, ohne dass böse Überraschungen das Ende markieren.

Den ein oder anderen mag diese Offenheit erstaunen, jedoch weist Carlos Paulos darauf hin, dass vielmehr über problematischen Konsum, der häufig mit Sucht in Zusammenhang stehe, in der Öffentlichkeit diskutiert werde als über den Gebrauch von Substanzen zu rekreativen Zwecken, der einen weitaus größeren Prozentsatz ausmache.

Er betont, dass es sich bei verantwortungsvollem Konsum um eine Gesellschaftsfrage handele, die nicht allein in erzieherischen Kontexten und im direkten Umfeld verhandelt werden solle. „Es geht einerseits darum, zu verstehen, wie der eigene Körper funktioniert. Zu lernen, was einem guttut und was nicht. Ein anderer Aspekt ist jener, sich darauf vorzubereiten, ein aktives Mitglied der Gesellschaft zu werden.“

Hierbei spiele die Fähigkeit, sich zu informieren und sich danach eine eigene Meinung zu bilden, eine entscheidende Rolle. Und dies beziehe sich nicht nur auf beispielsweise gesunde Ernährung und politische Bildung, sondern auch auf Substanzen, die man sich zuführe. Hierbei spiele auch das Debattieren und Konfrontieren gegensätzlicher Meinungen eine Rolle, um seinen eigenen Weg zu ebnen.

Es lebe die Kontroverse

Hyperrestriktive Verhaltensweisen und Verbote würden da wenig bringen, findet der Psychologe. Demnach hält er auch wenig bis gar nichts von den Schockbildern, die sich zum Beispiel auf Zigarettenschachteln befinden. Die Hüllen, die man sich nun kaufen kann, um die angsterregenden Bilder zu überdecken, können förmlich als unelegante Metapher für die Haltung vieler gegenüber potentiellem Schaden gelten. Es wird ein Schleier über die eigentliche Angelegenheit gelegt. „Und damit macht die Industrie dann nur noch ein weiteres Mal Geld.“

Das luxemburgische Bildungssystem hält derzeit keine extensiven Informationen über bewusstseinserweiternde Drogen bereit, jedoch hat sich im Gegensatz zu vor zehn Jahren einiges geändert. Manche Aspekte werden – je nach Lehrkraft – in Naturkunde angesprochen, andere schneidet das neue Fach „Vie et société“ an, das auf Kontroversität und nicht auf einseitige Predigten setzt. Nichtsdestotrotz erklingt vielerorts noch immer eher ein „Finger weg“, als dass man jungen Menschen Wissen an die Hand geben würde, damit sie selbst lernen können, auf sich und andere zu achten.

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Lesen Sie zum Thema auch unseren Kommentar

„Mein Eindruck ist aktuell, dass unsere Gesellschaft, statt Menschen zu vertrauen und ihnen Verantwortung zu geben, wenn die Zeit reif ist – wann es so weit ist, hängt im Übrigen von der jeweiligen Person ab, da gibt es kein spezifisches Alter –, ihnen immer mehr abnimmt. Wenn man dies tut, benehmen sie sich auch dementsprechend und wollen keine Konsequenzen für ihr Handeln tragen.“

Nicht selten stoße man bei Partys auf Personen, die konsumierten, was gerade da sei und nicht wirklich wüssten, um was es sich handelt. Häufig sei kein Bewusstsein dafür da, welche Wirkung bestimmte Substanzen haben können, erklärt der Experte. Carlos Paulos will aber keineswegs leugnen, dass es auch verantwortungsvolle Konsumenten in Luxemburg gibt. „Wir treffen ebenfalls auf Menschen, die hochspezialisiert sind. Diese bezeichnet man als ,Psychonauten‘. Das sind Menschen, die sich sehr gut auskennen und Experimente durchführen. Mit sich selbst im Zusammenhang mit den Substanzen.“ Auf eine Art „luxemburgischen Konsumenten-Typ“ möchte er sich nicht festlegen. Die Feierszene sei ebenso vielfältig wie die Gesamtbevölkerung des Großherzogtums, erklärt er.

Sicher ist sicher

Als das Projekt 2016 erstmals bei Partys und auf Festivals auftauchte, verhielten sich die Gäste eher zurückhaltend. Das sei verständlich, meint Paulos: „Derartige Projekt machen Beziehungsarbeit notwendig.“ Es müsse zuerst Vertrauen aufgebaut werden. „Der Dialog und der vorurteilsfreie Austausch zählen. Wir müssen vermitteln, dass wir da sind, um zu sensibilisieren, zu informieren und eventuell auch zu helfen. Unser Ziel besteht definitiv nicht darin, zu moralisieren.“

Neben Carlos Paulos sind zwei weitere Psychologen Teil des festangestellten Teams. Für die Arbeit innerhalb der Partyszene greife man zudem auf einen Pool an jungen Menschen zurück, welche einerseits Spaß an Veranstaltungen, vor allem aber an der Vermittlung von Inhalten haben, die Partygängern dabei helfen, sich zu schützen.

Jeder, der bei Pipapo mitwirkt, muss auch eine Ausbildung absolvieren, welche Risikomanagement als Hauptthema beinhaltet. In einem 20-stündigen Kurs wird gelernt, zwischen einem Risiko und einer Gefahr zu differenzieren, Ruhe zu bewahren und je nach Situation eine angemessene Reaktion parat zu haben. Eine wichtige Regel sei es, nur Wissen weiterzugeben, beim man sich auch sicher sei, dass es zuträfe. „Es ist legitim, auch mal keine direkte Antwort zu haben. Dann sollte man dies zugeben, anbieten, eine Information zu recherchieren und sie demjenigen gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zukommen zu lassen.“ Halbwissen zu verbreiten, sei jedoch ein absolutes No-Go.

Wie Partys Wissen schaffen

Für das Pipapo-Team hat die direkte Arbeit vor Ort gleich mehrere positive Nebenwirkungen: Eine davon ist jene, Feldforschung betreiben zu können.
Man habe durch die geführten Gespräche und die Umfragen, an denen man bei Interesse teilnehmen kann, die Möglichkeit, unersetzbares Wissen zu erlangen. Dieses komme einerseits dem Träger zugute, der seine Arbeit somit anpasse könne. Eine nachhaltige pädagogische Vorgehensweise ließe sich nie nur einem Handbuch entnehmen, erklärt Paulos.

Demnach sei die Arbeit innerhalb der Szene sehr wichtig: „Was in einem Buch zwischen den Zeilen steht, bekommt man bei unserer Tätigkeit von den Betroffenen persönlich erzählt“, so der Psychologe. Andererseits würden die gemachten Erhebungen aber auch dabei helfen, die in Luxemburg extrem wichtigen Befunde zu erweitern.

Das Pipapo-Projekt ist nicht das erste seiner Art weltweit. Jedoch erfährt es zumindest von staatlicher Seite mehr Zuspruch, als dies in manchen anderen Projekten ähnliche Initiativen tun. „Wir haben das Glück, es derzeit mit einer politischen Riege zu tun zu haben, die wissen will, was in Luxemburg los ist und was in unserem Land konsumiert wird, um die richtigen Maßnahmen treffen zu können. Luxemburg ist in dem Sinn einzigartig, als dass es eine Schnittstelle zwischen dem Konsumenten und den politischen Instanzen gibt.“

Pipapo leitet bestimmten Ministerien beispielsweise Statistiken weiter. Es handelt sich hierbei also um eine gezielte Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren, die sich im stetigen Kontakt miteinander befinden. Seitens der Staatsanwaltschaft erfolgte hinsichtlich der Drogentests (siehe Infobox auf S. 22) ja auch eine spezielle Genehmigung. Es handelt sich um eine Win-win-Situation, durch die Substanzen-Monitoring durch Daten ergänzt wird und der Konsument weiß, was sich in seinem „Baggy“ befindet.

Dass nun erste Schritte in Bezug auf ein Gesetz vollzogen werden, welches Cannabiskonsum unter bestimmten Bedingungen erlaubt, begrüßt Carlos Paulos vor allem deswegen, weil dies der reellen Situation in Luxemburg Rechnung trage. „Man muss bedenken, dass der aktuellen Gesetzeslage zufolge extrem viele Menschen dagegen verstoßen. Das finde ich sehr problematisch.“ Wer gegen das eine Gesetz verstoße, riskiere eventuell, auch andere nicht zu respektieren. Wenn diese Haltung alltäglich werde, sei das nicht gut für die Gesellschaft und verfehle auch den Zweck von Gesetzen.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Obwohl der Weg Richtung Legalisierung nun eingeschlagen wird, bedeute das jedoch nicht, dass dafür bereits ein weitgreifendes Verständnis in der Gesellschaft vorherrsche, unterstreicht Paulos. Daher sei noch jede Menge Informationsarbeit vonnöten.

Dementsprechend verwundert Paulos Antwort auf die Frage hin, ob man durch die Pipapo-Aktionen nicht befürchte, eventuell auch Menschen neugierig zu machen, die sich zuvor eigentlich nicht mit dem Thema befasst haben, nicht: „Nein. Ich hoffe, dass unsere Informationen neugierig machen, denn das ist eins unserer Ziele. Es geht keineswegs darum, dass Menschen überhaupt oder sogar mehr konsumieren. Sondern es soll offener über das Thema gesprochen werden. Wir haben es schließlich mit einer Realität zu tun und der man bestenfalls auf allen Ebenen ins Gesicht sieht. Es bringt der Gesellschaft nichts, zu behaupten, es gäbe sie nicht. Denn dann wird es nur so lang ignoriert, bis das Problem wirklich und offenkundig in Erscheinung tritt.“

Man spreche in Luxemburg häufig von Heroin als einem der Hauptprobleme. Dies könne man aber nicht allein im Raum stehen lassen, da auch der Umgang mit Alkohol hierzulande ein essenzielles Problem darstelle.

Für die Zukunft wünscht sich Carlos Paulos zum einen, dass die Finanzierung des Projektes endgültig gesichert ist, was derzeit noch nicht der Fall ist. Nur so könne eine Festigung sowie ein Ausbau der Tätigkeiten gewährleistet werden. Pipapo-Mitarbeiter würden immer häufiger gefragt, ob sie eventuell auch bereit seien, Gespräche jenseits der Party an ruhigeren Orten zu führen. Unter anderem dieses Angebot garantieren zu können, strebt die Initiative an.

Während Sie diesen Artikel lesen, sind die drei festen Mitarbeiter von Pipapo wahrscheinlich gerade dabei, auf der Club Health Conference in Amsterdam ihr Projekt vorzustellen. Sie werden sicherlich mit reichlich Input zurückkehren und in Luxemburg wird jede Menge Arbeit auf sie warten, die noch längst nicht beendet ist.


Hier wird Pipapo demnächst unterwegs sein:

18.5. Rave The Farm@Bricherhaff

19.5. Metal & Pipes @Kehlen

24.5. Teenage Dream @Diekirch