„Wir müssen die ‚Fiktionen’ aus der Verfassung entfernen“Paul-Henri Meyers, „Vater“ der Verfassungsreform: „Der Text darf kein Flickwerk sein“

„Wir müssen die ‚Fiktionen’ aus der Verfassung entfernen“ / Paul-Henri Meyers, „Vater“ der Verfassungsreform: „Der Text darf kein Flickwerk sein“
2008, als Großherzog Henri sich weigerte, das Euthanasiegesetz zu unterschreiben, war Paul-Henri Meyers als Vorsitzender der Institutionenkommission maßgeblich an der Lösung der Verfassungskrise beteiligt.  Foto: Editpress/Tania Feller

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Selten in seiner fast 40-jährigen politischen Laufbahn war Paul-Henri Meyers so oft in den Schlagzeilen wie in den vergangenen Wochen. Dabei hat der 82-jährige Jurist, der von 1999 bis 2018 als Vorsitzender und Mitglied der parlamentarischen Kommission für Institutionen und Verfassungsrevision maßgeblich an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beteiligt war, sich nicht einmal zu Wort gemeldet. Im Interview erklärt der frühere CSV-Abgeordnete und Gemeinderat, was er vom Scheitern der großen Verfassungsrevision und der von den vier großen Parteien beschlossenen schrittweisen Erneuerung des Grundgesetzes hält. 

Tageblatt: Wie viel Zeit haben Sie in den vergangenen 20 Jahren mit der Ausarbeitung der neuen Verfassung verbracht?

Paul-Henri Meyers: Von 1999 bis 2013 war ich Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Institutionen und Verfassungsrevision. Neben den wöchentlichen Kommissionssitzungen habe ich mich noch zu Hause mit der Verfassung beschäftigt. Ich habe Textvorschläge ausgearbeitet und vorgeschlagen, die in den Fraktionen und im Ausschuss diskutiert wurden und später zu einem definitiven Text geführt haben. Ich habe die Stunden nicht gezählt, aber es waren viele.

Seit vergangener Woche gilt die große Verfassungsreform als gescheitert. Ist Ihr Lebenswerk damit zerstört?

Ich bin nicht ins Parlament gekommen, um die Verfassung zu ändern. Das hat sich mit der Zeit so ergeben. Die Regierung hat zwar 1999 entschieden, dass eine globale Reform durchgeführt werden soll. Doch 1984 war auch schon eine Verfassungsreform geplant, die aber anders umgesetzt werden sollte. Damals konnten die Berufskammern, Gewerkschaften und andere Akteure Vorschläge einreichen. Es war aber schwierig, jemanden zu finden, der diese Vorschläge zu einem einheitlichen Text zusammenführt. Bis 2003 war vorgesehen, dass die Abgeordnetenkammer sich nach jeder Verfassungsänderung auflösen müsse. Deshalb wurden bis dahin am Ende jeder Legislaturperiode einige Artikel der Verfassung geändert. Diese Änderungen haben sich angehäuft, bis es 1999 so weit war, dass quasi alle Artikel des Grundgesetzes geändert werden sollten. Deshalb hat die Regierung sich damals für eine globale Reform entschieden. Wir haben aber erst 2005 mit der Arbeit an einem ganz neuen Text begonnen.

Das Wichtigste ist, dass die einzelnen Artikel der Verfassung nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, sondern zusammenhängen.

Paul-Henri Meyers, früherer Vorsitzender der Institutionenkommission 

Welche Vorteile hätte eine komplett neue Verfassung?

Das Wichtigste ist, dass die einzelnen Artikel der Verfassung nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, sondern zusammenhängen. Wenn Sie die Machtbefugnisse oder die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen des Großherzogs ändern, wirkt sich das auf die Regierung aus. Werden diese Zusammenhänge nicht berücksichtigt, können Widersprüche entstehen. Als wir 2008 die Machtbefugnis des Großherzogs eingeschränkt haben, hat der Staatsrat darauf hingewiesen, dass es an der Zeit sei, eine globale Reform durchzuführen, weil der Zusammenhalt des Grundgesetzes ansonsten nicht mehr garantiert werden könne.

Die schrittweise Änderung einzelner Paragrafen ist aber genau das, was die vier großen Parteien jetzt beschlossen haben.

Ich bin erst einmal froh, dass wir die Situation, die Mitte dieses Jahres entstanden ist, überwunden haben und die großen Parteien eine gemeinsame Lösung finden konnten, um weiter an der Modernisierung der Verfassung arbeiten zu können. Wenn man 30 Artikel reformieren will, muss man aber berücksichtigen, dass die Änderung an einem Artikel auch Änderungen an anderen Artikeln verlangen kann. So muss zum Beispiel der Sprachgebrauch in allen Artikeln einheitlich sein. Ferner spielt es eine Rolle, an welcher Stelle der Verfassung ein bestimmter Artikel steht. Nur ein Beispiel: Der Gebrauch der Luxemburger Sprache ist aktuell im Kapitel über die fundamentalen Grundrechte geregelt. Es bestand aber ein Konsens, dass die Sprache Teil der nationalen Identität sei. Deshalb wurde sie ins erste Kapitel eingeschrieben, in dem der Staat und das Land definiert werden. Was wird jetzt passieren? Wenn nur der Artikel über die Grundrechte geändert wird, ändert sich der Stellenwert der Sprache nicht. Deshalb muss man sie dort herausnehmen und in das erste Kapitel setzen. Doch dann hat man im Kapitel über die Grundrechte ein Loch. Deshalb muss die Reihenfolge der Artikel geklärt werden. Oder macht man Zusatzartikel? Diese Fragen müssen nun diskutiert werden, damit der Text kohärent wird. Es darf kein Flickwerk sein.

Riskiert die Verfassungsreform dadurch nicht zu einer unendlichen Geschichte zu werden?

Doch, das Risiko besteht. Die beste Lösung bei einer Reform ist immer, den ganzen Text zu überarbeiten und ihn sich vor Augen zu führen, um die Zusammenhänge zu erkennen. Das gilt auch für normale Gesetze. Wenn in einem Gesetz von 30 Artikeln zwölf geändert werden mussten, hat die Regierung meist den ganzen Text erneuert. Seit Jahrzehnten wird auf diese Weise vorgegangen, um zu vermeiden, dass bei Änderungen etwas übersehen wird. Dieses Risiko besteht jetzt auch bei der Verfassung.  Als ich Präsident des parlamentarischen Verfassungsausschusses war, haben wir das Grundgesetz 17 Mal geändert. Oft hat das Verfassungsgericht aber eine andere Interpretation geliefert. Bei 30 Artikeln ist das Risiko noch größer, dass etwas übersehen wird.

Lag jemals ein definitiver Text vor, über den hätte abgestimmt werden können?

Ja, den gibt es. 2018, kurz vor Ende der vergangenen Legislatur, lag ein definitiver Text mit allen Änderungen des Staatsrats vor. Ein entsprechender Bericht wurde angenommen. Wenn der Wille da gewesen wäre, hätte das Parlament gleich nach den Wahlen über diesen Text abstimmen können. Alle großen Parteien standen dahinter. Auch die CSV.

Wieso hat die CSV denn vor sechs Monaten ihre Meinung geändert?

Ich bin nicht in alle Entscheidungen der CSV eingeweiht und habe diese Entwicklung aus der Ferne beobachtet. Angeblich hat der Staatsminister einen Brief an die Parteien verschickt, in dem er die Frage nach der Reform der Wahlgesetzgebung und nach einem einheitlichen Wahlbezirk aufgeworfen hat. Die CSV hat diese Gelegenheit genutzt und argumentiert, dass sie nicht damit einverstanden sei, dass das Verfassungspaket wegen der Frage nach dem einheitlichen Wahlbezirk wieder aufgeschnürt wird. So habe ich es zumindest erlebt. Ob das korrekt war, sei dahingestellt.

Was hat die CSV gegen einen einheitlichen Wahlbezirk?

Die Abgeordneten aus den kleinen Wahlbezirken befürchten, dass sie unter die Räder kommen und die Kandidaten aus den Ballungsgebieten bevorzugt würden. Ob diese Sorge berechtigt ist, kann ich nicht sagen. Weil wir nie darüber abgestimmt haben, aber auch keinen Konsens finden konnten, war die Frage jedes Mal schnell wieder vom Tisch. Soweit ich weiß, sind die Diskussionen bei den anderen großen Parteien, vielleicht mit Ausnahme der Grünen, ähnlich verlaufen. Vor allem bei der DP konnte ich nie ein großes Interesse an einem einheitlichen Wahlbezirk ausmachen.

Trotzdem hat vor allem die CSV nun blockiert. Welche Folgen könnte die Zusammenlegung der Wahlbezirke haben?

Wir haben diese Frage von Anfang an in der Institutionenkommission diskutiert, doch wir konnten keine Einigung finden. In keiner Partei gab es dazu eine einheitliche Meinung. Ein Wahlbezirk würde bedeuten, dass wir Listen mit 60 Kandidaten haben. Hinzu kam die Frage, ob das Panaschieren beibehalten werden soll. Über die Modalitäten hätte man debattieren können, wenn die Bereitschaft dafür bestanden hätte. Doch in der Kommission gab es keine Mehrheit für solche Diskussionen.

Es gab noch eine weitere Frage, die beim Wahlrecht aufgeworfen wurde. Das war die der Wahlpflicht. Im Gesetz sind Strafen für Nichtwähler vorgesehen. Diese Strafen werden aber seit 40 Jahren nicht mehr angewandt. Weder in Luxemburg, noch in Belgien. Die Zahl der Nichtwähler ist einfach zu hoch, um alle einzeln zu verfolgen. Bei den Diskussionen im Ausschuss war eine Mehrheit für die Erhaltung der Wahlpflicht, aber gegen eine Verschärfung der Strafen.

Jeder Luxemburger wird mit Erreichen des 18. Lebensjahres automatisch in die Wahllisten eingetragen. (…) Nur einer hat sich von der Wahlliste streichen lassen. Das ist der Großherzog. Wenn es für den Staatschef geht, wieso dann nicht für den einfachen Bürger?

Paul-Henri Meyers, früherer Vorsitzender der Institutionenkommission 

Macht die Wahlpflicht ohne Strafen überhaupt Sinn?

In einem Gutachten wies die Venedig-Kommission kürzlich darauf hin, dass die Wahlpflicht in der Verfassung stehen müsse. Daraufhin hat die parlamentarische Institutionenkommission eine Änderung verfasst, die besagt, dass Wählen eine staatsbürgerliche Pflicht („devoir civique“) sei und die Modalitäten per Gesetz geregelt seien. Zwar ist der „devoir civique“ schwächer als der „vote obligatoire“, doch es ist nicht geklärt, ob die Strafen beibehalten werden. Der „devoir civique“ muss ja eine gewisse Substanz haben.

Damit zusammen hängt auch die Frage, ob die Bürger sich von den Wählerlisten streichen lassen können. Jeder Luxemburger wird mit Erreichen des 18. Lebensjahres automatisch in die Wahllisten eingetragen. Wegen der Wahlpflicht kann er sich dem nicht entziehen. Nur einer hat sich von der Wahlliste streichen lassen. Das ist der Großherzog. Wenn es für den Staatschef geht, wieso dann nicht für den einfachen Bürger? Die Nicht-Luxemburger müssen sich selbst in die Wahllisten eintragen. Wieso soll es bei den Luxemburgern anders sein?

Hat die Parteileitung Sie um Ihre Einschätzung gebeten, bevor sie die Verfassungsreform gekippt hat?

Nein.

Nehmen Sie es der CSV übel?

Ich bin nicht nachtragend. Ich war nie ein großer Freund des Referendums, doch weil es keine andere Möglichkeit gab, habe ich mich eingereiht. Wenn ich noch politische Verantwortung hätte, wäre meine Entscheidung nicht gegen die große Verfassungsreform ausgefallen. Ich bin natürlich vorbelastet, weil ich viel Zeit und Arbeit in die Revision gesteckt habe.

Nach den Neuwahlen 2013 hatte die Dreierkoalition Ihnen noch einmal den Vorsitz der Institutionenkommission angeboten. Aus parteipolitischen Gründen mussten Sie damals ablehnen. Bereuen Sie diese Entscheidung heute?

Ich habe diese Frage 2013 in der CSV-Fraktion aufgeworfen. Der damalige Fraktionsvorsitzende Jean-Claude Juncker hat mir die Entscheidung überlassen. Zu dem Zeitpunkt war aber schon klar, dass die blau-rot-grüne Regierung das Referendum über das Ausländerwahlrecht, die Senkung des Wahlalters und die zeitliche Begrenzung der Mandate durchführen wollte. Ich wusste, dass dieses Referendum von der Kommission in Zusammenarbeit mit der Regierung vorbereitet werden würde. Hätte die CSV damals gegen eine der im Referendum gestellten Fragen Kampagne gemacht, wäre ich in eine missliche Lage geraten. Deshalb habe ich mich gegen den Vorsitz entschieden.  Als Vorsitzender hätte ich aber dafür sorgen können, dass die Arbeiten schneller vorankommen und der Verfassungstext früher fertig gewesen wäre. Die Regierungsparteien haben das Referendum abgewartet, um die Arbeit an der Verfassung weiterzuführen. Dadurch gingen fast zwölf Monate verloren.

Wie beurteilen Sie den Vorschlag der CSV, konsultative Referenden durchzuführen?

2015 haben wir ja gesehen, wie das Referendum ausging. Obwohl es konsultativ war, hat die Regierung sich an den Ausgang gehalten. Man müsste den Menschen erklären, worüber ein konsultatives Referendum abgehalten wird. Zum Beispiel über den einheitlichen Wahlbezirk. Dann muss man den Leuten aber sagen, dass der einheitliche Wahlbezirk eingeführt wird, wenn sie sich dafür entscheiden. Dann wäre diese Frage vom Tisch. Einige Punkte könnte man auf diese Weise abhandeln. Die CSV muss dann aber auch klar sagen, zu welchen Fragen sie konsultative Referenden organisieren will. Man kann nicht jedes Jahr ein solches Referendum durchführen. Denkbar wäre eine Volksbefragung mit drei oder vier Fragen. Allerdings braucht es dafür eine politische Mehrheit. Dann hätten sich die Regierungsparteien und die CSV gemeinsam engagieren müssen.

Selbst wenn eine Mehrheit es 2015 abgelehnt hat, bräuchte Luxemburg nicht doch ein Ausländerwahlrecht für die Parlamentswahlen?

Damit Nicht-Luxemburger an den Legislativwahlen teilnehmen können, muss die Verfassung geändert werden. Als Präsident der Institutionenkommission habe ich stets versucht, einen Konsens in dieser Frage zu finden, was aber damals unmöglich war. Auch wenn beim Referendum 2015 eine Mehrheit gegen das Ausländerwahlrecht war, heißt das nicht, dass die Frage auf ewig nicht mehr gestellt werden darf. Das Thema müsste wieder aufgegriffen werden, doch bevor die Frage nach dem Dafür oder Dagegen gestellt wird, müssten erst einmal die Bedingungen festgelegt werden.

Welche sind denn die wichtigsten Punkte, die nun in der Verfassung geändert werden müssen?

Die Terminologie der Verfassung stammt noch von 1868 und ist nicht mehr aktuell. Im Artikel über die Grundrechte steht zum Beispiel „Nul ne peut être distrait contre son gré du juge que la loi lui assigne“. Kaum jemand, der nicht Jurist ist, kennt heute noch die Bedeutung des Begriffs „distraire“, wie er in diesem Satz verwendet wird. Deshalb müssen wir die Terminologie an die heutige Sprache anpassen. Das gilt für viele Artikel in der Verfassung.

Zweitens stehen im Grundgesetz immer noch „Fiktionen“, wie Georges Margue es genannt hat. Diese werden zwar seit 150 Jahren nicht mehr angewandt, doch wenn wie 2008 jemand diese Paragrafen wortwörtlich auslegt, kann es zu Problemen kommen. Den Satz „le Grand-Duc sanctionne et promulgue les lois dans les trois mois du vote de la Chambre“ haben wir 2008 geändert, weil er das wortwörtlich genommen hat. Das Verb „sanctionne“ haben wir deshalb gestrichen. Es gibt noch mehr solcher Fiktionen. Deshalb haben wir die gesamte Verfassung durchforstet, um sie zu entfernen.

Im Grundgesetz istehen mmer noch ‚Fiktionen’, wie Georges Margue es genannt hat. Diese werden zwar seit 150 Jahren nicht mehr angewandt, doch wenn wie 2008 jemand diese Paragrafen wortwörtlich auslegt, kann es zu Problemen kommen.

Paul-Henri Meyers, ehemaliger Vorsitzender der Institutionenkommission 

Braucht es einen moderneren Text?

Es gibt mehrere Bestimmungen, die unbedingt über die Verfassung geregelt werden müssten, bislang aber noch nicht drin stehen. Zum Beispiel, dass jede neue Regierung bei ihrem Amtsantritt die Vertrauensfrage im Parlament stellt. Das hat sich vor 50 Jahren so eingebürgert, steht aber nicht im Grundgesetz. Dabei ist es ein Grundrecht des Parlaments, der Regierung sein Vertrauen auszusprechen. Wichtig ist auch die Thronbesteigung des Großherzogs, die bislang über den Familienpakt von 1783 geregelt ist. Vor rund zehn Jahren ist der Pakt zwar modernisiert worden, doch er trägt nur die Unterschrift des Großherzogs. Die Frage, wie der Großherzog zum Staatschef wird, kann man aber nicht einem Familienpakt überlassen, der weder vom Staatsminister unterzeichnet noch vom Parlament genehmigt wurde. Das muss in der Verfassung geregelt sein. Wir haben auch den Sprachgebrauch geändert und sprechen nicht mehr von den Rechten des Großherzogs, sondern von verfassungsrechtlichen Zuweisungen („attributions constitutionnelles“).

Können diese Änderungen im Rahmen der schrittweisen Reform berücksichtigt werden?

Ich bezweifle, dass das geht. Man kann zwar 30 Artikel ändern, aber ich frage mich, ob man danach nicht noch eine ganze Reihe kleinerer Korrekturen vornehmen muss, damit der Text kohärent wird.

Rezent kamen auch Vorschläge, das Recht auf Wohnen und die Klimaneutralität in der Verfassung zu verankern. Ist das Ihrer Ansicht nach sinnvoll?

Man kann die Zielsetzungen in die Verfassung setzen, aber die Details muss die Regierung im Rahmen von Gesetzen festlegen. Sonst können die Bürger nicht viel damit anfangen. Das Recht auf Wohnen und die Klimaneutralität gehören als Ziele in eine moderne Verfassung, doch man darf sie nicht mit den individuellen Rechten der Bürger verwechseln.

Mit der Verfassungsreform scheint nun auch das Referendum, das die zweite Lesung im Parlament ersetzen sollte, vom Tisch. Sollten die Bürger nicht mitbestimmen dürfen?

Das Referendum muss nicht vom Tisch sein. Artikel 114 der Verfassung sieht vor, dass in den drei Monaten nach dem ersten Votum des Parlaments fünf Bürger beim Staatsminister eine Volksbefragung beantragen können, wenn 25.000 Bürger sich ihrer Forderung anschließen, indem sie sich in Listen eintragen, die in den Gemeinden ausliegen. 2008 hatten fünf Bürger ein Referendum zu den Änderungen der Machtbefugnisse des Großherzogs angefragt. Damals hatten sich 4.000 bis 5.000 Leute ihnen angeschlossen. Das ist weit von 25.000 entfernt. 2008 waren die meisten Bürger mit den Änderungen einverstanden. Doch wenn nun eine Änderung käme, die den Leuten nicht gefallen würde und die Zivilgesellschaft und die Gewerkschaften würden sich einschalten, könnten die Situation anders ausgehen. 25.000 Bürger sind aber sehr viele. Wir haben in der Kommission schon darüber diskutiert, diese Zahl zu halbieren.  Ein Referendum kann auch von 16 Abgeordneten beantragt werden. Doch weil nur die acht Abgeordneten der drei kleinen Oppositionsparteien nicht eingebunden sind, ist das eher unwahrscheinlich.

Sie sind seit über einem Jahr nicht mehr im Parlament, Alex Bodry will im Januar in den Staatsrat wechseln. Wer soll die Reform der Verfassung weiterführen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Alex Bodry ist noch der Einzige, der seit 1999 dabei ist und die gesamte Entwicklung begleitet hat. Ein Sozialist wäre nicht schlecht. Vielleicht könnte Mars di Bartolomeo die Aufgabe übernehmen. Eignen würde sich auch Franz Fayot, der Jurist ist. Doch dem Vernehmen nach soll der ja Minister werden.