OGBL: André Roeltgen fordert soziales Europa gegen Nationalismus und Populismus

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2013 gab der OGBL eine ganz klare Wahlempfehlung: Die CSV sollte nicht gewählt werden. Fünf Jahre später hat die Gewerkschaft ihre Wahlempfehlungen breiter gehalten und einen Vergleich der sozial relevanten Aussagen in den Parteiprogrammen vorgelegt. CSV und DP kommen dabei nicht unbedingt gut weg; eine Exklusive wurde aber diesmal nicht ausgesprochen.

2013 gab der OGBL eine ganz klare Wahlempfehlung: Die CSV sollte nicht gewählt werden …
Fünf Jahre später hat die Gewerkschaft ihre Wahlempfehlungen breiter gehalten und einen Vergleich der sozial relevanten Aussagen in den Parteiprogrammen vorgelegt. CSV und DP kommen dabei nicht unbedingt gut weg; eine Exklusive wurde aber diesmal nicht ausgesprochen. Wir sprachen mit OGBL-Präsident André Roeltgen über die Wahl, über die sozialpolitische Entwicklung und über aufflammenden Nationalismus.

Tageblatt: Vor fünf Jahren forderte der OGBL seine Mitglieder auf, die CSV nicht zu wählen. Diesmal legte die Gewerkschaft einen unverbindlicheren Vergleich der Programme vor. Was hat sich geändert?

André Roeltgen: Die Situation war eine andere: Wir erlebten während sieben Jahren permanente Angriffe auf den Index. Seit 2011 wurde eine Austeritätspolitik von der damaligen Regierung unter Jean-Claude Juncker und Luc Frieden betrieben. Ohne auf alle Belastungen eingehen zu wollen, die damals auf die Haushalte zugekommen sind, war es schlussendlich so, dass das Tripartite-Modell missbraucht worden war, um Verschlechterungen durchzudrücken und die Angriffe auf das Indexsystem nur durch Reaktionen des OGBL abgeschwächt werden konnten. Auch ein Teil der vorgesehenen Austeriätspolitik konnte vor 2013 verhindert werden, u.a. durch die große Protestveranstaltung von 2009.

Irgendwann kam der Punkt, an dem es reichte, an dem wir überhaupt nicht mehr zu den Tripartite-Versammlungen gingen. Damals war es mein Vorgänger, Jean-Claude Reding, der in dem Kontext dazu riet, die CSV nicht zu wählen.

Heute ist die Lage eine andere, es gibt keine Fortsetzung der Austeritätspolitik. Seit Beginn dieser Regierung gab es keine Angriffe mehr auf das Indexsystem, es gab ein Abkommen mit der Regierung 2014, die Logik ist eine andere.

Deshalb gingen wir einen anderen Weg und haben Kernpunkte definiert, die für uns während der kommenden Legislatur wesentlich sind und wir haben entsprechend die Programme der einzelnen Parteien verglichen, und zwar hauptsächlich jene Punkte, die Arbeitnehmer direkt interessieren.

Das Resultat haben wir vorgestellt (es kann u.a. auf www.ogbl.lu im Detail eingesehen werden). Jeder kann nun direkt vergleichen, es ist dies unser Beitrag zur Meinungsbildung der Wähler.

Wäre das Regierungsvorhaben, das diese „Zukunftspak“ nannte und das von den Gewerkschaften als Spar- bzw. als Austeritätsplan bezeichnet wurde, nicht entschärft worden, u.a. auch durch die sich allgemein verbessernde Wirtschaftslage, hätte der OGBL denn auch eine Wahlempfehlung gegen die aktuelle Regierung ausgesprochen?

Das steht fest: Wenn die Austeritätspolitik fortgeführt worden wäre, wären wir in einer anderen Situation. Aber das hätte sich nicht nur in den Wochen vor der Wahl ausgedrückt, sondern wäre viel früher auf massiven Widerstand gestoßen.

Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass das Zukunftspaket nicht nur grundsätzlich überflüssig war, sondern auch dadurch problematisch, dass es einseitig war und nur die Haushalte belastete. Wir haben nach Protesten, die den Plan abschwächten, ein Abkommen mit der Regierung geschlossen, von dem einige Punkte umgesetzt wurden, andere nicht. Hier bleibt unsere Kritik an der Tatsache, dass manches offen bleibt. Deshalb unsere Aufforderung an eine kommende Regierung, diese Aspekte umzusetzen, zum Beispiel die Einführung eines Mechanismus, der die Familienzulagen an die Lohnentwicklung (an den Medianlohn) anpasst.

Sie haben der Regierung in einem Rundtischgespräch auf Radio 100,7 die Note 8 von 10 gegeben. In der Schule entspricht dies einer guten Zensur …

Ich hätte auch eine 7 geben können, eine 9 wäre wohl übertrieben gewesen.
Es war mir wichtig auszudrücken, dass, im Verhältnis zu der Lage 2013, eine Reihe von Entwicklungen geschahen, auf die aufgebaut werden kann und muss.

Die Diskussionen um Arbeitszeiten sind etwa für uns mit einem guten Kompromiss abgeschlossen worden; wir hatten die Entwicklung des Elternurlaubs, die Steuerreform, die Kompensationen für die Arbeitnehmer brachte, und wir haben positive gesellschaftspolitische Entwicklungen erlebt. Selbstverständlich gibt es in all den Bereichen auch Kritikpunkte: Unter dem Strich tendiere ich aber zu einer positiven Note …

Sie haben die Arbeitszeit angesprochen. Hier gibt es nunmehr teils spektakuläre Vorschläge verschiedener Parteien; die LSAP z.B. schlägt gut 40 Jahre nach der letzten Verkürzung der Wochenarbeitszeit nun die 38-Stunden-Woche und eine sechste Urlaubswoche vor. Ist das der Weg oder müsste nicht – auch angesichts der Digitalisierung der Arbeit – ein größerer Schritt gewagt werden?

Es wäre zu kurz gegriffen, die gesamte Problematik der Arbeitszeit auf eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit zu reduzieren. Wir haben die Forderung nach einer sechsten Urlaubswoche selbst formuliert, und diese Forderung gilt. Daneben gibt es die Diskussion über die Arbeitszeitorganisation, zu der etwa das Recht auf „Abschalten“ gehört, die bessere Harmonisierung von Berufsleben und Freizeit über den Weg einer besseren Organisation. Wenn wir mit Forderungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten konfrontiert werden, dann verlangen wir, dass diese im Interesse der Angestellten sind. Dazu gehört eine gute Planbarkeit der Arbeitszeiten. Hierzu gehört auch, dass es keine übertriebene Zahl von Überstunden geben darf; dies ist eines der Probleme hier im Land.

Wenn dies positiv geregelt ist, dann kann auch über Arbeitszeitkonten diskutiert werden, um den Angestellten die Umsetzung eigener Projekte zu erlauben. Hier muss an das PAN-Gesetz erinnert werden und in dem Zusammenhang enttäuscht mich die DP, die in ihrem Programm die Flexibilisierung der Arbeitszeit mit einer Referenzperiode von einem Jahr übernommen hat, zu hundert Prozent also eine Forderung des Arbeitgeberverbandes UEL. Gleichzeitig ist dies ein massiver Angriff auf das Kollektivvertragswesen und damit auf die gewerkschaftlichen Verhandlungsrechte. Es gibt dabei zurzeit die Möglichkeit, über das PAN-Gesetz die Arbeitszeit zu flexibilisieren, und das bis zu einem Jahr; allerdings im Rahmen von Kollektivverträgen. Solche Angriffe werden wir nicht hinnehmen.

Das bereits deponierte Gesetzesprojekt zu den Zeitsparkonten sollte daneben von einer kommenden Regierung ohne Abschnitte umgesetzt werden.
Angesichts der größer werdenden Intensität der Arbeit unterstützen wir weiter alle Vorschläge zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit, natürlich mit vollem Lohnausgleich. Es gibt verschiedene Modelle, die genau betrachtet und ggf. in den Betrieben ausgehandelt werden können.

Zur Frage des Mindestlohns: Auch hier gibt es eine Reihe von Vorschlägen in den Parteiprogrammen. Es scheint so zu sein, dass eine Erhöhung anstehen könnte und somit eine Forderung des OGBL erfüllt werden könnte …

Für uns gibt es eine absolute Notwendigkeit zur strukturellen Erhöhung des Mindestlohnes durch eine nächste Regierung. Schaut man sich die Parteiprogramme an, gibt es Unterschiede … Seit 2015 haben wir die Forderung nach einer Erhöhung formuliert und ich bedauere, dass die aktuelle Regierung keine Erhöhung vorgenommen hat. Es gilt, zwischen dem Lohn an sich zu unterscheiden, der erhöht werden muss, und einer staatlichen Umverteilung durch Steuern.

Der OGBL fordert eine Lohnerhöhung und flankierend andere Maßnahmen, weil die Schere zwischen unteren Einkommensschichten und Großverdienern größer wird und gleichzeitig jene Menschen, die in der Einkommenssparte bis zu 20 Prozent über dem Mindestlohn verdienen, durchschnittlich ein geringeres Einkommen haben, es also eine Kompression nach unten in Richtung Mindestlohn gibt. Die Produktivitätsentwicklung und die Verteilung der Produktivität durch den Lohn klappt nicht mehr. Wer gegen soziale Ungleichheiten vorgehen will, muss für eine bessere Verteilung sorgen.

Dies sorgt übrigens europaweit für Frakturen und für eine Zentrifugalkraft, die Europa auseinandertreibt und rechtsextremen, populistischen Strömungen Aufwind gibt. Wer dies real bekämpfen will, muss die soziale Ungleichheit bekämpfen. Der EGB (Europäische Gewerkschaftsbund) verlangt deshalb nicht nur die Einführung eines Mindestlohnes in allen EU-Ländern, sondern auch eine Festsetzung auf 60 Prozent des Medianlohns. Mit unserer Forderung nach einem zehn Prozent höheren Mindestlohn kommen wir auf die EGB-Quote.
Premier Bettel hat übrigens in Göteborg den sozialen Pfeiler der europäischen Rechte mit unterzeichnet und sollte diese Forderung also mittragen. Diese Forderung ist im Übrigen unabhängig von den Wohnungspreisen: Auch wenn diese günstiger wären, wäre eine gerechtere Verteilung des geschaffenen Reichtums immer noch eine OGBL-Forderung.

Wenn wir den Wahlkampf betrachten, so ist festzustellen, dass wirklich fremdenfeindliche Parolen fehlen. Andererseits fällt auf, dass Luxemburg und Luxemburgisch verstärkt thematisiert werden, nationalistische Tendenzen demnach spürbar sind. Wie sehen Sie dies?

Das ist keine gute Entwicklung … Es stellt sich in dem Zusammenhang die Frage nach der Luxemburger Identität, die ja historisch gesehen, wenn ich den Begriff einer Identität gebrauchen wollte, einer multinationalen und multikulturellen Entwicklung entspringt.
Die Identität setzt sich aus der Vielfalt zusammen. Eigentlich geht es bei diesen Tendenzen überhaupt nicht um die Luxemburger Identität, denn sonst müsste die Vielfalt in den Vordergrund gestellt werden. Wir erleben aber eher eine Logik der Exklusion, des Wir-Begriffes: Wir und die anderen. Da gehen wir in Richtung Diskriminierung, in Richtung Nicht-Respekt, auch wenn diese Logik nicht bis zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit reichen muss.

Für Luxemburg ist diese Form von Nationalismus komplett absurd. Unsere ganze Entwicklung, unser Reichtum, unser Leben, unsere Kultur sind geprägt durch einen hohen Grad an Zuwanderung aus anderen Ländern, selbst ohne die vielen Grenzgänger zu erwähnen, auf die wir angewiesen sind.

Dieser Nationalismus bringt keinerlei positive Lösungen auf keiner Ebene für die sich stellenden Probleme, die da u.a. heißen „Transition in eine karbonarme und umweltschonende Gesellschaft“, die nicht zu mehr Ungleichheit führen darf, sondern im Gegenteil zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Die europäische Integration muss stattdessen gefördert werden, und dies bei Einhaltung internationaler Abkommen, u.a. auch der Genfer Konvention für Flüchtlinge.

Alle nationalistischen Bestrebungen sind keine politische Alternative. Und schaut man sich die Programme dieser Parteien an, so stellt man oft sozial reaktionäre Perspektiven fest. Die Interessen der Arbeitnehmer liegen woanders …