Notwehr oder nicht, das ist die Frage: Polizeiaktion mit tödlichem Schuss im April 2018 wurde rekonstruiert

Notwehr oder nicht, das ist die Frage: Polizeiaktion mit tödlichem Schuss im April 2018 wurde rekonstruiert

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Bei einer Polizeikontrolle in Bonneweg kam am 11. April 2018 ein Mann ums Leben. Gestern nun haben die mit dem Dossier beauftragten Untersuchungsrichter versucht, den Vorfall zu rekonstruieren. Eine Frage stand dabei mit Sicherheit im Raum: Hat der wegen Totschlags angeklagte Polizist aus Notwehr geschossen?

Bonneweg am 11. April 2018: Nach bisherigen Informationen fällt Polizisten an dem Tag ein schwarzer Mercedes auf, der beschädigt ist, falsche Kennzeichen trägt und im Raum Bitburg zur Fahndung ausgeschrieben ist. Ein Mann erscheint und steigt in den Wagen. Er verriegelt ihn von innen. Den mehrmaligen Aufforderungen der Polizei, auszusteigen, kommt er nicht nach – auch nicht nachdem einer der Polizisten mit seiner Dienstwaffe eine der Scheiben einschlägt.

Der Mann startet kurzerhand den Motor und fährt los. Er versucht, die Straßensperre an der Ecke rue des Ardennes/rue Sigismond zu durchbrechen und hält auf einen Polizisten zu. Dieser gibt Haltezeichen, zieht seine Waffe, eine Neun-Millimeter-Pistole. Er gibt drei Schüsse ab. Eine davon durchschlägt die Windschutzscheibe und trifft den Mann tödlich.

Der Mercedes setzt seine Fahrt noch fort und rammt dabei eine Hauswand. Auf der place Léon XIII kommt der Wagen zum Stillstand, als er gegen einen Baum rennt. Versuche, den Fahrer wiederzubeleben, scheitern. Beim Opfer handelt es sich um einen 51-jährigen Niederländer.

17 Monate später

Zeitsprung. Bonneweg, gestern Morgen, gegen 10 Uhr. Die mit dem Dossier beauftragten Untersuchungsrichter versuchen, die rund 17 Monate zurückliegenden Geschehnisse zu rekonstruieren. Es ist eine groß angelegte Aktion. Einige Straßen im Viertel sind gesperrt. Um die 20 Polizisten sind dabei: derjenige, der damals geschossen hat, und seine Kollegen – allein ist er ja damals nicht gewesen. Auch Zivilisten sind da: Vertreter der Staatsanwaltschaft, Anwälte und Zeugen.

Doch warum jetzt erst – 17 Monate danach? Möglich ist, dass es einfach so lange gedauert hat, um alle Personen zu versammeln, die nötig sind, um eine möglichst detailgetreue Rekonstruierung zu ermöglichen. Möglich ist aber auch, dass die Untersuchungsrichter aufgrund ihrer Ermittelungen über neue Erkenntnisse verfügen.

Bestätigt ist das bisher allerdings nicht. Es ist deshalb auch nicht bekannt, inwieweit die Rekonstruierung gestern Morgen unserer Schilderung der Geschehnisse vom 11. April 2018 noch entspricht.

Was noch bekannt ist

Der Polizist, der am 11. April geschossen hat, ist damals noch am selben Tag von der „Inspection générale de la police“ (IGP) zum Vorfall befragt worden. Anfang Mai 2018 schrieb das Tageblatt unter dem Titel: „Notwehrsituation scheint sich zu bestätigen“: „(…) Mittlerweile ist der Beamte, der die Schüsse abgegeben hat, wieder im Dienst. Er versucht, mit dem was passiert ist, klarzukommen, heißt es weiter von unserer Quelle. Von den beiden anderen Beamten ist einer derzeit krankgeschrieben, während der zweite ebenfalls wieder im Dienst ist.“ Soweit der Stand der Dinge damals – Anfang Mai 2018.

Rund zehn Monate später aber, am 1. März 2019, teilt die Staatsanwaltschaft dann mit, dass der Polizist, der geschossen hat, wegen Totschlags („homicide volontaire et coups et blessures volontaires“) angeklagt wird. Er wird unter „richterliche Aufsicht“ gestellt – das heißt, er bleibt zwar auf freiem Fuß, allerdings unter Auflagen.

Erkenntnissuche

Die Anklage lässt darauf schließen, dass es Zweifel daran gibt, dass der Gebrauch der Schusswaffe rechtens war – oder anders formuliert: daran, ob der Polizist tatsächlich in Notwehr gehandelt hat. Somit dürfte es bei der Aktion gestern Morgen vor allem auch darum gegangen sein, nähere Erkenntnisse in dieser Frage zu gewinnen.

Nicht beantwortet sind bisher auch Fragen, die sich um das Opfer, den 51-jährigen Niederländer, drehen: Warum war er mit einem falschen Kennzeichen unterwegs? Warum war das Fahrzeug zur Fahndung ausgeschrieben und warum versuchte er, die Straßensperre der Polizei zu durchbrechen?

Zudem heißt es, dass in Luxemburg ein Fahrverbot gegen ihn bestand und dass er in der hiesigen Drogenszene einschlägig bekannt war. Und eine weitere Frage: Wurde die Polizei am 11. April 2018 zufällig auf ihn aufmerksam oder galt der „Routine-Einsatz“ in Bonneweg nicht eigentlich von vornherein ihm?