No-Deal-Brexit: So bereitet sich Luxemburgs Finanzplatz auf den Extremfall vor

No-Deal-Brexit: So bereitet sich Luxemburgs Finanzplatz auf den Extremfall vor

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Der wahrscheinliche Austritt Großbritanniens aus der EU rückt näher. Was sind die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Brexit für Luxemburg? Die Wirtschafts- und Finanzakteure haben sich auf das Schlimmste vorbereitet – denn auch der No-Deal ist eine realistische Option.

Mit der britischen Hauptstadt London verliert die EU einen der wichtigsten Finanzplätze der Welt. Einer Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young zufolge werden wegen des Brexit Vermögenswerte von 890 Milliarden Euro von Großbritannien in die Finanzplätze der EU geschoben. Dass dieses Kapital komplett ins Großherzogtum fließt und Luxemburg der wichtigste Finanzstandort Europas wird, ist allerdings reines Wunschdenken. Immerhin: Ein Stückchen vom englischen Finanzkuchen wird auch in Luxemburg ankommen.

Ein Königreich für einen „EU-Passport“

„Die meisten Firmen, die von London aus grenzüberschreitende Geschäfte in der EU betreiben – also auf einen EU-Passport angewiesen sind –, haben sich vorbereitet“, sagt Sascha Bremer, Berater bei Luxembourg for Finance (LFF). Die EU-Passports erlauben es Banken oder Finanzdienstleistern, mit minimalem Aufwand in anderen Ländern frei zu handeln. Firmen aus Drittländern bekommen diese „europäischen Pässe“ nicht – und sind mit „erheblichen aufsichtsrechtlichen Hürden konfrontiert“, wie das European Banking Policy Network erklärt.

„Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob der Brexit hard oder soft ausfällt“, merkt Sascha Bremer an. Mit dem Austreten des Vereinigten Königreichs aus der EU verlieren dort ansässige Finanzakteure ihr Recht, die Passport-Bestimmungen anzuwenden. „In dem konkreten Fall des Passporting profitiert Luxemburg also auf jeden Fall“, erklärt Bremer. Langfristig gesehen berge der Brexit aber einen großen Nachteil: Einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt ist nicht mehr Teil der EU.

Eine weitere Bedeutung hat der Wegfall Großbritanniens auf einer anderen Ebene. „London steht global gesehen an der Spitze bei der Regulierung von Finanzaktivitäten. Und nun verlässt mit Großbritannien ein Land die EU, das in diesem Bereich sehr viel Erfahrung hat“, sagt Bremer. Der Brexit habe auch zur Folge, dass sich die europäischen Finanzstandorte stärker spezialisieren. In Luxemburg – aber auch anderswo – werden Fondsbusiness, Wealth Management und Private Banking noch weiter verstärkt. Neu ist jedoch, dass sich in Luxemburg auch vermehrt Sachversicherer niedergelassen haben.

„Deal or No Deal“

Die Kosten spielen für die Finanzakteure laut Bremer natürlich auch eine Rolle. Viele haben sich in den vergangenen beiden Jahren überlegt, wie sie auf den Brexit reagieren, Anwälte und Berater mobilisiert, Notfallpläne nicht nur erdacht, sondern auch umgesetzt. Konkret bedeute das, dass neue Lizenzen erworben, Verträge umgeschrieben und auch bereits Jobs verlagert wurden. „Das alles hat viel Geld gekostet und wird viel Geld kosten“, erklärt Bremer. „Die Finanzakteure sind immer vom schlimmsten Szenario ausgegangen – also dem No-Deal.“ Ihr Ziel sei es, an Tag 1 des Brexit ihre Geschäfte auf dem Kontinent weiterführen zu können.

Eine No-Deal-Situation sei für den Luxemburger Finanzplatz nur indirekt negativ. An anderen Finanzstandorten wie Paris oder Frankfurt herrsche jedoch größere Unsicherheit, insbesondere was das Abwicklungsgeschäft von Derivaten angehe. „Rechtssicherheit spielt dabei eine große Rolle“, sagt LFF-Berater Bremer. „Ein No-Deal könnte hier große Probleme mit sich bringen.“ Falls diese nicht gelöst werden, könnten sie schwere Marktturbulenzen verursachen.

Branche hat sich vorbereitet

Im ganzen Finanzsektor hat sich in Luxemburg seit der Brexit-Ankündigung etwas getan. Aber nicht nur deshalb, weil britische Firmen ihre Aktivitäten ins Großherzogtum verlagert haben – sondern auch, weil die Branche in Luxemburg insgesamt gewachsen ist. Die Finanzakteure haben sich bereits seit einem Dreivierteljahr auf den EU-Austritt Großbritanniens vorbereitet. Banken wie J.P. Morgan und Citibank haben deshalb einen Teil ihrer Aktivitäten von London nach Luxemburg verlagert, sagt Bremer.

Bei den Versicherungen sehe die Sache sehr deutlich aus. Elf große Versicherer haben Bremer zufolge Gesellschaften für Sachversicherungen in Luxemburg aufgebaut – und Lizenzen erworben, um ihre europäischen Geschäfte von hier aus zu betreiben. Das liegt abermals an der Rechtssicherheit, die ein wichtiger Faktor bei Versicherungsverträgen ist, erläutert Bremer. Viele Policen mussten umgeschrieben werden. „Um für den Tag des Austritts bereit zu sein, waren die Versicherungen die Ersten, die konkrete Schritte unternommen haben.“

33 Brexit-Dossiers

„Was Fondsgesellschaften betrifft, muss man sagen, dass die meisten Akteure dieser Branche bereits vorher in Luxemburg aktiv waren“, erklärt Bremer. „Viele mussten daher oft nur das Personal aufstocken, einige brauchten zusätzlich neue Lizenzen von der Luxemburger Finanzaufsichtsbehörde CSSF.“

Aber: „Es ist nicht möglich, konkrete Zahlen über die Auswirkungen des Brexit zu nennen“, sagt Patrick Hommel von der CSSF. Nicht alle neuen Dossiers könnten auf den Brexit zurückgeführt werden. Allerdings habe die CSSF bereits 33 „Brexit-Dossiers“ an die europäische Finanzaufsicht ESMA weitergeleitet. Das heißt: Mindestens 33 Unternehmen (29 Fondsverwaltungsgesellschaften und 4 Investmentgesellschaften) haben Interesse daran, ihre Aktivitäten von Großbritannien nach Luxemburg zu verlagern. Die ESMA analysiert Dossiers von Firmen, die vorhaben, ihren Standort wegen des Brexit zu verlagern.

Für Marc Wagener, dem Direktor für geschäftliche Angelegenheiten bei der „Chambre du commerce“, ist die Sache auf jeden Fall klar. Ein Brexit – und insbesondere ein harter Brexit – ist schlecht für Luxemburgs Wirtschaft. Mit dem britischen EU-Austritt verliere das Großherzogtum nicht nur den fünftwichtigsten Handelspartner beim Export – sondern auch einen politischen Partner, der sich genau wie Luxemburg, die Niederlande und Deutschland für ein Europa der offenen Märkte eingesetzt habe.

Der Brexit

Mehr als zwei Jahre ist es her: Am 23. Juni 2016 (dem Luxemburger Nationalfeiertag) waren die Briten aufgerufen, über den Brexit abzustimmen. 51,9 Prozent votierten für einen Austritt Großbritanniens aus der EU. Premierminister David Cameron reichte kurze Zeit später seinen Rücktritt ein, im Juli übernahm Theresa May das Amt. Am 29. März 2017 übergab sie eine schriftliche Mitteilung an den Europäischen Rat und leitete damit offiziell den Brexit in die Wege. Erfolgen soll der definitive Austritt am 29. März 2019 um 0 Uhr MEZ. Das Datum rückt immer näher – und es zeichnet sich ab, dass Großbritannien den harten Weg gehen will.