Nicht zu bremsen: Rapper Big L on the Road setzt sich mit seiner Musik für Barrierefreiheit ein

Nicht zu bremsen: Rapper Big L on the Road setzt sich mit seiner Musik für Barrierefreiheit ein

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Leandro Afonso Pinto ist 17 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Dass er nicht überall hinkommt, frustriert ihn. Stillsitzen kommt für ihn nicht infrage. Deshalb arbeitet er seit einem Jahr an einem Mixtape, in dem er den Mangel an Barrierefreiheit in Luxemburg anspricht. Sein Ziel: Der Staat soll seine Augen öffnen.

Vor drei Jahren war Leandro Afonso Pinto zum ersten Mal im Escher Jugendhaus. Als der heute 17-Jährige vor der Tür steht, kann er nicht herein. Er ist blockiert, wie so oft in seinem Leben. Denn Leandro sitzt im Rollstuhl – und am Eingang des Jugendhauses sind Treppen.

Eine Situation, die der Escher fast täglich erlebt. „Wenn ich nach draußen gehe, stoße ich ständig auf irgendwelche Probleme“, schildert er. Leandro kommt den Bürgersteig nicht hoch oder runter, er kann sich den Laden nicht ansehen, in dem er eigentlich einkaufen wollte, und manchmal gibt es nicht mal ein Klo, das er benutzen kann.

„Das nervt mich“, sagt er. Es nervt ihn nicht nur für sich selbst. Leandro denkt an all die anderen Personen im Rollstuhl, denen es genauso geht. „Wir sind auch nur Menschen“, betont der junge Mann. Er will auf das Thema Mobilität aufmerksam machen – für sich und vor allem für andere. „Damit alle rausgehen können und jeder gleich ist.“

Gemeinsam nach einer Lösung suchen

Um seine Message in die Welt zu tragen, arbeitet er seit einem Jahr unter dem Künstlernamen „Big L on the Road“ an einem Mixtape. Vier Songs, in denen es um Motivation, Mobilität, Freundschaft und Familie geht.

In „Chronometer“, dem zweiten und wichtigsten Song, spricht Big L über die Blockaden, denen er im Alltag ausgesetzt ist. Zeilen wie „Ech ginn eraus, och wann ech geblockt ginn“, „da muss ech rëm Hëllef froen“ und „Staat, ma deng Aen op“ gehen unter die Haut. Trotzdem erhebt Leandro nicht den Zeigefinger. „Ich will den Menschen nicht sagen, was sie alles falsch machen, ich will mit ihnen gemeinsam nach einer Lösung suchen.“

Geld ist da, aber wo ist der Wille?

Den Weg der Musik zu beschreiten, hat sich für Leandro natürlich angefühlt. „Musik hilft mir jeden Tag“, sagt der 17-Jährige. Wenn er sich gestresst fühlt, schließt er sich alleine in seinem Zimmer ein und hört Musik. Das passiert zum Beispiel, wenn er zu sehr darüber nachdenkt, dass er nicht überall hinkommt. „Aber dann denke ich mir wieder, dass ich aufhören muss, mich zu stressen. Das bringt mich nirgendwo hin. Ich muss Lösungen finden.“

Mit seinem Mixtape will Leandro erreichen, dass der Staat seine Augen öffnet. Am liebsten würde er sich mit luxemburgischen Politikern treffen, um ihnen zu sagen, was er von der Situation hält. „Ich wollte schon immer einmal, dass jeder Politiker im Land eine Woche lang im Rollstuhl unterwegs ist. Mal sehen, ob sie dann immer noch nichts ändern“, sagt er. An Geld fehle es dem Großherzogtum schließlich nicht.

Ich wollte schon immer einmal, dass jeder Politiker im Land eine Woche lang im Rollstuhl unterwegs ist. Mal sehen, ob sie dann immer noch nichts ändern.

Leandro Afonso Pinto

Um sein Projekt umzusetzen, war Leandro auf die Hilfe anderer angewiesen. „Ich kann nicht lesen und schreiben“, erklärt er. Nachdem andere aus dem Jugendhaus ihm bereits bei den Texten geholfen haben, muss auch bei den Aufnahmen jemand mit ihm in der Kabine sein, der ihm Zeile per Zeile den Text vorliest, den er dann einsingt. Die andere Stimme wurde später herausgeschnitten. „Ohne die ganze Unterstützung hätte ich das nie auf die Beine stellen können“,  freut sich Leandro.

Wie dankbar er ist, zeigen gleich zwei der vier Songs: In „Merci alleguerten“ bedankt sich Leandro bei allen, die ihm bei diesem Projekt und auch schon davor geholfen haben. Im dritten Song sagt er seiner Familie und seinen Freunden Danke, für alles, was sie für ihn getan haben und immer noch tun.

Jugendpreis-Gewinner 2017

Das Mixtape ist nicht das erste musikalische Projekt des 17-Jährigen. 2017 schreibt er im Rahmen des „Jugendpräis“ einen Song mit David Galassi von De Läb – und geht als Gewinner hervor. Auch bei der diesjährigen Escher Boxgala ist Big L aufgetreten.

Leandros Leben war nicht immer einfach. Er hatte zwar ständig seine Familie um sich, die ihn unterstützt hat – und trotzdem hat ihn das Erlebte markiert. Denn als Kind musste er häufig operiert werden. Während sechs Wochen war sogar sein ganzer Körper im Gips. „Das war wie im Gefängnis. Ich konnte mich überhaupt nicht bewegen“, sagt er. Deshalb kann Leandro heute kaum stillsitzen, will immer etwas unternehmen.

Triathlon im Visier

Neben der Musik trainiert Leandro derzeit für einen Triathlon, an dem er am 15. September im Team mit zwei Freunden antritt. „Wir müssen ihn manchmal bremsen. Aber er ist sehr stur“, sagt Chris Laouamer vom Escher Jugendhaus. Denn manchmal übernimmt sich Leandro. Dann wird er krank und liegt wochenlang mit Fieber im Bett – und das ist für ihn das Schlimmste.

Die beiden Erzieher Chris und Marc begleiten Leandro seit drei Jahren. „Oder besser gesagt: Er begleitet uns“, lacht Chris. Nicht nur sie, sondern auch die Jugendlichen lernen ständig von Leandro. „Seit er hier ist, hat sich eine ganz andere Dynamik im Escher Jugendhaus entwickelt“, sagt Chris. Der Blick und die Einstellung der Jugendlichen hat sich verändert. „Wenn ich hier ins Jugendhaus komme, bin ich ein ganz normaler Mensch. Sie nehmen mich auf wie jeden anderen auch. Und das ist gut so“, sagt der 17-Jährige selbst.

Mit Negativität kommt man nicht weiter

„Leandro wird sauer, wenn ein Jugendlicher darüber spricht, dass er keine Lust hat, zur Schule zu gehen“, erzählt Chris. Der junge Mann besucht eine Förderschule in der Hauptstadt und liebt es, dorthin zu gehen. „Es wird immer nur gesagt, dass die Jugendlichen aus Esch nur Dummheiten machen“, sagt Leandro, „Aber ihnen muss gezeigt werden: Wenn sie etwas wollen, müssen sie auch etwas dafür tun. Rumsitzen und nichts tun bringt sie nicht weiter.“ Die anderen müssten sich darüber im Klaren sein, dass nicht immer jemand hinter ihnen stehen wird. Sie müssen sich selbst aufrappeln.

Trotz allem, was Leandro bereits erlebt hat, blickt er positiv in die Zukunft. Und: Ohne sein Handicap „wäre ich nicht der, der ich bin“. Sondern vielleicht auch einer dieser Jugendlichen, die nur rumhocken und Lust auf nichts haben.

Als Leandro vor drei Jahren vor dem Jugendhaus stand, eilten Jugendliche und Erzieher ihm sofort zur Hilfe und trugen ihn herein. „Das war noch nie ein Problem. Sie haben mich gleich willkommen geheißen“, erzählt er. Inzwischen ist er im Vorstand des Escher Jugendhauses. Das Geld, das sein Mixtape einbringt, will er nutzen, um einen Aufzug im Jugendhaus zu finanzieren. „Für mich brauche ich das Geld nicht. Ich bin ohnehin schon reich genug, mit all den Menschen, die ich um mich habe“, sagt er.

Leandros Mixtape erscheint Anfang September. Dann werden auf der Facebookseite des Escher Jugendhauses alle Informationen dazu zu finden sein. Auftritte sind auch bereits geplant: Am 21. September steht Leandro beim „On Stéitsch“ in den Rotondes auf der Bühne und am 28. September performt er seine Songs bei der „Journée jeunesse“ in Esch.

Jemp
27. August 2019 - 11.14

Barrierefreiheit ist bloss ein Schlawort!!! Ich sass auch eine zeitlang im Rollstuhl und boykottire alles was nicht behindertengerecht ist. Und weise die daraufhin, weshalb ich nicht mehr Kunde bin. Meine Art Rache.