Neben der Kriegshölle leben – eine Luxemburgerin arbeitet im Libanon in der Grenzregion zu Syrien

Neben der Kriegshölle leben – eine Luxemburgerin arbeitet im Libanon in der Grenzregion zu Syrien

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Die Luxemburgerin Belinda Rathle (29) lebt seit drei Jahren im Libanon neben der syrischen Kriegshölle. Gewalt, Brutalität und Armut lassen ihre Mitmenschen kalt. Ein Interview.

Tageblatt: Sie leben seit drei Jahren im Libanon. Können Sie Arabisch?
Belinda Rathle: Ja, ich kann Arabisch. Meine Mutter hat es mir beigebracht. Ich bin in Ägypten geboren und in Luxemburg aufgewachsen. Mein Vater hat aber libanesische Wurzeln.

Haben Sie Verwandte im Libanon?
Nein, ich habe keine Familie im Libanon. Ich lebe als Einzige hier. (lacht)

In Luxemburg können sich nur die wenigsten vorstellen, was es bedeutet, im Nachbarland einer internationalen Kriegshölle zu leben. Wie gehen die Libanesen damit um?
Die Menschen haben eine schöne Art, mit dem menschlichen Drama umzugehen. Man würde nicht glauben, so nahe an einer Kriegszone zu sein. Es gibt aber viel Armut, viele Komplikationen und viel Korruption. Dennoch: Die Libanesen verkraften das Ganze ziemlich gut.

Das heißt?
Sie leben jeden Tag so, als sei es ihr letzter. Sie sehen in allem das Positive. Es wird über alles gewitzelt. Alles wird locker statt ernsthaft aufgenommen. Sie sind daran gewöhnt, im Drama zu leben.

Der libanesische Bürgerkrieg hat tiefe Wunden hinterlassen.
Ja, die Menschen sind den Krieg gewöhnt. Die älteren Generationen gehen aber anders damit um als jene Generation, die den Krieg nicht erlebt hat. Aber sie haben eins gemeinsam.

Und zwar?
Der Krieg ist hier kein Thema. Wenn in Luxemburg ein Krieg ausbrechen würde, würde sich jeder betroffen fühlen. Die Libanesen banalisieren den Krieg aber mittlerweile. Das macht mir ein wenig Angst: Gewalt, Brutalität und Armut werden verharmlost. Es gehört halt zum Alltag.

„Mir fällt es im Libanon viel schwerer, in eine Bar oder in ein Restaurant zu gehen als in Luxemburg.“

Belinda Rathle

Was bewegt die Libanesen denn anstelle des permanenten Kriegs?
Der normale Libanese hat es genauso schwer wie ein Syrer im Libanon. Man pflegt zu sagen: Der Libanese verdient 1.000 Dollar pro Monat und gibt 2.000 aus. Ich weiß wirklich nicht, wie sie über die Runden kommen. Ich weiß eigentlich auch nicht, wie ich über die Runden komme. (lacht) Daraus entsteht allerdings eine Vitalität, die es unter normalen Umständen nicht geben würde.

Sie arbeiten für eine NGO. Wie hart ist Ihr Job?
Der Libanon war vor einigen Jahren das Land mit den meisten Hilfsorganisationen pro Einwohner. Es gab hier viele Hilfsfonds wegen des syrischen Kriegs. Momentan lässt das sehr stark nach. Das macht meinen Job nicht einfach.

Wieso?
Die Hilfsorganisationen sagen, dass der Krieg in Syrien bald beendet sei. Die Hilfsfonds würden dann direkt nach Syrien wandern. Allerdings haben wir noch keine Fonds gesehen, die nach Syrien verlagert wurden. Dafür verschwinden sie aber hier im Libanon. Es entsteht eine sehr große Kluft zwischen den Bedürfnissen und den vorhandenen Mitteln.

Wie stemmt der Libanon die vielen Kriegsflüchtlinge aus Syrien?
Während der syrischen Krise sind 1,5 Millionen Syrer hierhergekommen. Es ist aber ein ziemlich kleines Land: Der Libanon zählt mit den Flüchtlingen nur sechs Millionen Einwohner. Die Infrastruktur war vor dem Krieg in Syrien noch nicht einmal für die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung ausreichend. Das Land war nicht bereit, diesem rasanten Bevölkerungswachstum standzuhalten.

Wohnen scheint ein Problem zu sein: Der Immobilienmarkt läuft heiß.
Ja, Wohnen ist ein Riesenproblem im Libanon. Es ist hier wirklich sehr teuer. Der Lebensstandard ist, verhältnismäßig betrachtet, viel teurer als in Luxemburg. Mir fällt es hier viel schwerer, in eine Bar oder in ein Restaurant zu gehen als in Luxemburg. Eine Einzimmerwohnung mit einer Küche kostet in Beirut mindestens 500 Dollar. Das ist sehr teuer. Viele Menschen verdienen nur zwischen 400 und 700 Dollar pro Monat. Ein Gehalt von 1.000 Dollar ist hier eigentlich ein „korrektes“ Gehalt.

Selbst wenn der Krieg keine Rolle spielt: Wie wichtig ist die Politik im Alltag?
Die Innenpolitik und Religion spielen tatsächlich eine wichtige Rolle. Die Politik ist omnipräsent. Sie ist wirklich überall, in jedem Lebensbereich. Auch viele Organisationen unterstehen einer politischen oder religiösen Organisation. Sie helfen also nur Gruppen, die der gleichen politischen oder religiösen Weltanschauung angehören.

Man liest viel über das Konfessionelle und die Geopolitik des Libanon: Doch wo spüren Sie konkret die Religion in Ihrem Leben?
Das hängt von der Generation ab. Meine Generation lebt zusammen. Dein Freund kann ein Sunnit, ein Schiit oder ein Christ sein. Das macht fast keinen Unterschied mehr. Alles ist in Ordnung. Es hängt wirklich vom Umfeld ab. Konfessionelle Verkrampfungen sind vor allem in den Köpfen älterer Leute präsent. Sie haben den Bürgerkrieg erlebt. Damals hieß es wirklich noch: „Du bist anders als wir.“ Da wurde noch richtig streng getrennt. Das ist bei unserer Generation anders: Du hilfst auch Menschen, die anders sind als „deine Gruppe“.


Zur Person

Die Luxemburgerin Belinda Rathle lebt seit drei Jahren im Libanon, kehrt aber von Zeit zu Zeit nach Luxemburg zurück. Sie hat ein Praktikum beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR absolviert und danach bei verschiedenen NGOs gearbeitet. Vor zwei Jahren erhielt sie ihren Job bei „arcenciel“. Es handelt sich um eine apolitische und nicht-konfessionelle NGO, die während des Bürgerkriegs im Libanon entstanden ist. Belinda Rathle arbeitet im Department für Außenbeziehungen. Sie kümmert sich um Geldbeschaffung im weitesten Sinne („Fund Raising“) und überwacht laufende Projekte („Project Monitoring“). Sie entwickelt Hilfsprogramme so, dass sie sowohl dem Spender als auch den Bedürfnissen der Menschen im „arcenciel“ gerecht werden.


Dieser Bericht ist im Rahmen einer humanitären Reise von Großherzogin Maria Teresa in den Libanon entstanden. Sie besuchte dort unter anderem in der Bekaa-Ebene die NGO „arcenciel“ (aec). In Taanayel wurde ein aec-Zentrum mit Luxemburger Hilfe errichtet, das eine Behindertenwerkstatt („atelier protégé“) und eine integrierte Kindertagesstätte umfasst. Daneben bietet das Zentrum auf Frauen fokussierte Kurse in Wirtschafts- und Finanzverwaltung an. Großherzogin Maria Teresa traf Frauen, die solche Kurse absolvieren und diskutierte mit ihnen über Projekte, die sie in die wirtschaftliche Selbstständigkeit führen sollen.