Nacktmulle und Weltherrschaft – Ein Dokumentarfilmer über seine Faszination

Nacktmulle und Weltherrschaft – Ein Dokumentarfilmer über seine Faszination

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Der Deutsche Herbert Ostwald gehört zu den bekanntesten deutschen Dokumentarfilmern. Seine Faszination gilt vor allem dem Tierreich. Im Interview mit dem Tageblatt sprach er über seine Arbeit und erklärt, wieso gerade die Nacktmulle es ihm angetan haben.

Von Joy Mentgen

Nacktmulle zeichnen sich durch Merkmale aus, die wir Menschen uns nur wünschen können. Sie haben eine für Tiere besonders hohe Langlebigkeit von bis zu 30 Jahren und zeigen bis zu ihrem Lebensende keine Zeichen von Alterung. Zusätzlich sind sie resistent gegen Krebs. Es überrascht nicht, dass die Säuger für die Wissenschaft beliebte Forschungsobjekte sind. Grund genug für Herbert Ostwald, einen der bekanntesten deutschen Dokumentarregisseure, sich eingehend mit ihnen zu beschäftigen. Ein Gespräch über die Faszination Nacktmull und die Wunder der Natur.

Tageblatt: Herr Ostwald, seit Jahren arbeiten Sie als Regisseur und haben schon etliche Dokumentationen zum Tier- und Naturreich gedreht. Ursprünglich sind Sie Diplom-Biologe – Wie kommt das?

Herbert Ostwald: Ich war als Kind schon sehr geprägt worden von Dokumentationen der Tierfilmer Bernhard Grzimek und Heinz Sielmann, hatte auch eine Zoo-Jahreskarte in Berlin und bewunderte dort Elefanten und Nashörner. Als ich acht war, drehte mein Bruder mit mir in den Sommerferien einen kleinen Film im Zoo, das hat großen Spaß gemacht. Nach dem Studium habe ich erst mal als Journalist in vielen Bereichen gearbeitet, bevor mir wieder Tierthemen ans Herz wuchsen. Vom Radio bin ich zum Fernsehen und fand es toll, mich fast noch intensiver als im Studium mit Tieren zu beschäftigen und Forschern über die Schulter schauen zu dürfen.

Herbert Ostwald

Geboren:1960 in Berlin
Ausbildung: Abschluss in Biologie (Freie Universität Berlin), Fortbildung zum Dokumentarfilmer
Beruf: Journalist, Regisseur, Drehbuchautor
Dokumentarfilme: u.a. Abenteuer Erde, Mein lieber Biber, Der Baum der Bäume – Geheimnisvolle Reise in die Welt der Eichen, Nacktmulle – Afrikas wilde Wichte, Giraffen – Giganten hautnah

Im Jahr 2017 haben Sie die Doku „Nacktmulle – Superhelden der Forschung“ produziert. Das ist bereits Ihr zweiter Film über die Nager. Welches Interesse steckt dahinter?

Nacktmulle schrecken ab und faszinieren zugleich. Darin liegt ein gewisser Reiz. Die erste Doku handelte vor allem vom Verhalten der Tiere. Der Film war sehr erfolgreich, erntete viel Interesse bei Zuschauern, Kollegen und holte viele Preise. Zehn Jahre später rückten die besonderen Fähigkeiten der Nacktmulle zunehmend ins Interesse der Wissenschaft: Nacktmulle werden sehr alt, spüren weniger Schmerz und kriegen fast keinen Krebs. Das schrie nach einer Neuauflage Nacktmull 2.0.

Sie waren als Regisseur und Drehbuchautor für viele weitere Dokumentationen und Filme zuständig. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich lese viele Fachzeitschriften und Tageszeitungen, um zu sehen, welche Tierthemen aktuell sind. Dabei interessiert mich nicht nur die Biologie, sondern vor allem die Beziehungen der Menschen zu diesen Tieren. Das kann ein medizinisches, kulturelles oder auch politisches Thema sein. Dazu muss man dann Exposés an Redaktionen schreiben. Wird ein Thema akzeptiert, dann beginnt die eigentliche Arbeit: Recherchen zu den Tieren, wo leben sie, wann ist die beste Drehzeit … Das alles mündet in einem Drehbuch. Dann kommen die Dreharbeiten, der Schnitt und das Textschreiben sowie die Gespräche mit einem Komponisten. Es ist ein sehr vielseitiger Beruf und vor allem eins: Teamarbeit. Man muss allerdings zeitlich sehr flexibel bleiben, um alle Interessen unter einen Hut zu bekommen.

Was fasziniert Sie im Tierreich am meisten?

Wenn ich das wüsste … Warum sammelt jemand Briefmarken oder fotografiert Flugzeuge? Ich glaube, Tiere strahlen etwas Archaisches aus. Sie sind auch manchmal so eine Art Boten einer heilen Welt, einer Wildnis, nach der sich viele sehnen. Sie leben um uns herum und tragen viele Geheimnisse mit sich. Wir projizieren sehr viel in sie hinein, sehen „böse Wölfe“ und „schlaue Füchse“, aber oft wissen wir sehr wenig. Hier mehr Licht ins Dunkel zu bringen und das für viele, die im Biologieunterricht nicht so sehr aufgepasst haben – das ist mein Ziel.

Wie geht man bei der Regie einer Doku, wie zu den Nacktmullen, vor? Worauf muss man besonders achten bzw. was sind mögliche Schwierigkeiten?

Nacktmulle in der Natur zu filmen, ist fast unmöglich. Sie leben in engen, dunklen Tunnelsystemen unter der Erde und flüchten schnell. Daher mussten wir uns überlegen, wie wir die Erdröhren nachstellen, um geeignete und naturgetreue Bilder zu bekommen. Dafür haben wir über Wochen mit erfahrenen Nacktmull-Forschern verschiedene Werkstoffe ausprobiert, bis wir die praktikable Lösung fanden. Wir haben dann Tiere aus einer Kolonie eines Tierparks immer nur für kurze Zeit als Schauspieler genutzt. Sie leben jetzt in einem Zoo und erfreuen mit ihren Aktivitäten die Zuschauer.

Wie viel Arbeit steckt hinter einem solchen Dokumentarfilm?

Das ist natürlich von Film zu Film unterschiedlich, abhängig von den Tieren und der Art des Films. Wir haben ein Jahr lang am Nacktmull-Film gearbeitet. Zunächst kam ein halbes Jahr Vorbereitung und Organisation. Danach hatten wir rund 40 Drehtage mit unserer Kolonie und den Forschern im Freiland und in den Laboren. Der Dreh fand auf drei Kontinenten statt: USA, Kenia, Deutschland. Der Schnitt dauerte rund sechs Wochen.

Welche Projekte haben Sie für die Zukunft geplant?

Ich stelle gerade zwei Filme über Kühe fertig. Das ist ein hochaktuelles Thema, denn es gibt viele Diskussionen um die Veränderungen in der Landwirtschaft. Wir sehen Kühe meist nur als Milch- und Fleischlieferanten, sie gelten als sympathisch, aber langweilig. Mich interessierte: Wie viel Wildrind steckt noch in diesem Nutztier? Dazu haben wir uns eine wilde Herde von Fleischrindern und eine artgerechte Heidehaltung von Milchkühen angeschaut. Und siehe da: Kühe zeigen Temperament, hüpfen vor Glück, sind zärtliche Mütter und können schon mal aus der Haut fahren. Wir zeigen Kühe, wie sie zumindest die meisten Städter nicht kennen. Und dann wird es einen weiteren Wolfsfilm geben, in dem wir mit Fakten versuchen, geschürten Ängsten zu begegnen.

Überlebenskünstler Nacktmull

Der wenig behaarte, faltige Nager fasziniert die Forschung. Was macht er so besonders?
Nacktmulle leben in unterirdischen Gängen in den Halbwüsten Ostafrikas. Die faltigen, gering behaarten Säuger sind ideal an diese extremen Lebensbedingungen angepasst. Dort herrscht eine chronische Sauerstoffarmut, weshalb sich das Hämoglobin von Nacktmullen durch eine besonders hohe Sauerstoff-Affinität auszeichnet. Obwohl sie gleichwarme Tiere sind, passen sie ihre Körpertemperatur der Außenumgebung an, um ihre Energie effizient zu nutzen. Auch mit dem Wassermangel kommen sie gut klar: Die Wasserzufuhr findet ausschließlich über die Nahrungsaufnahme statt (Wurzeln, Knollen). Die auffälligen Nagezähne sind ihre wichtigsten Instrumente. Damit baggern sie kilometerlange unterirdische Tunnels.

Zudem weisen Nacktmulle außergewöhnliche Eigenschaften auf: Bis zu ihrem Lebensende erfahren sie keine Zeichen von Alterung und sind scheinbar auch vor Krebs geschützt. Auch unter Herz- oder Kreislaufproblemen leiden sie nur sehr selten. Zudem können sie zwar Säure, Hitze und Druck spüren, doch diese Reize veranlassen keinen Schmerz. In der Forschung erhofft man sich deshalb Wissen für die Schmerztherapie.

Letztendlich zeichnen sich die Tiere auch durch ihre besondere Lebensweise in eusozialen Kolonien von bis zu 300 Tieren aus. Diese Kolonienbildung ist unter Säugetieren einzigartig. Wie in Bienenvölkern gibt es auch bei Nacktmullen eine strenge Arbeitsteilung mit einer Königin für die ganze Kolonie. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Erhaltung der Kolonie. Deshalb bringt sie in ihrem Leben bis zu 900 Nachkommen zur Welt.