Nachhaltigkeit: Ein neues Zentrum zeigt, wie Gegenstände wiederverwertet werden können

Nachhaltigkeit: Ein neues Zentrum zeigt, wie Gegenstände wiederverwertet werden können

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Das kürzlich eröffnete „Centre Formida“ kombiniert Kreislaufwirtschaft und Pädagogik. Einerseits bereitet es Industrieabfälle zur Wiederverwertung in Schulen und Betreuungseinrichtungen auf. Andererseits bietet es verhaltensauffälligen Jugendlichen eine therapeutische Betreuung.

Gleich hinter dem Haupteingang stehen allerlei Regale. Gefüllt sind sie mit Industrieabfällen wie Metall- und Plastikteilen, fein geschliffenen Holzklötzen, Nähgarn, Teppichboden, gefalteten Pappverpackungen und Elektrokabeln. All diese Dinge sollten eigentlich im Müll landen. Doch die Jugendlichen aus dem therapeutischen Bereich des „Centre Formida“ haben sie vor der Verschrottung bewahrt. In Begleitung eines Erziehers holen sie die Materialen bei großen Unternehmen wie L’Oréal, Luxlait oder Ferrero, aber auch bei kleinen und mittleren Handwerksbetrieben ab, erklärt Wolfgang Ost, Missionsbeauftragter bei Arcus und Leiter des therapeutischen Zentrums.

Danach werden die Abfälle in einer Werkstatt gründlich gereinigt und bei Bedarf zurechtgeschnitten und geschliffen. Am Ende dieses Prozesses müssen die Gegenstände kindgerecht sein. Kinder dürfen sich nicht an scharfen Kanten oder rauen Flächen verletzen. Anschließend werden die Materialien fein säuberlich angeordnet ausgestellt. Dieser Bereich nennt sich Kiosk. Er ist dienstagnachmittags und mittwochvormittags für die (erwachsene) Öffentlichkeit frei zugänglich. Lehrer, Erzieher und Betreuer aus Schulen, Kindertagesstätten und anderen pädagogischen Einrichtungen dürfen dann im „Formida“ vorbeikommen und die Gegenstände mitnehmen. Auch Künstler sind willkommen. Häufig werden die Materialien zum Basteln gebraucht oder um Kunstwerke herzustellen.

Tageszentrum für Jugendliche

Hinter den Regalen liegt eine kleine Ausstellungsfläche. Hier zeigt Lynn Schammel, wie man die polierten Abfälle auf vielfältige Weise einsetzen oder mittels Lichtinstallationen in Szene setzen kann. Sie hat Design studiert und leitet den Materialbereich. Im „Labo“ bietet sie zusammen mit ihren Kollegen Workshops für Kinder an, bei denen sie zeigt, wie man zum Beispiel ganz ohne Kleber mit Abfallmaterialien basteln kann.

Neben der kreislaufwirtschaftlichen Abteilung verfügt „Formida“, wie bereits erwähnt, noch über einen therapeutischen Bereich. Dieses Tageszentrum erfülle eine unterstützende Rolle, erläutert Wolfgang Ost. Ziel sei es, Jugendliche ohne Lebensprojekt in ein betreutes System zu führen. Schulabbrecher und Verhaltensauffällige ab 16 Jahren, die sich freiwillig beteiligen oder vom „Office national de l’enfance“ (ONE) geschickt werden, dürfen zwölf bis 15 Monate in den Ateliers in der „Hiel“ mithelfen. Als Gegenleistung arbeiten die Erzieher und Psychologen ein Zukunftsprojekt mit ihnen aus.

Wenn sie die Materialien für den Kiosk bei den Firmen abholen, können sie erste Kontakte knüpfen, die ihnen bei der Suche nach einem Praktikumsplatz von Nutzen sein können. In den Ateliers lernen sie, wie man mit Maschinen und Werkzeugen umgeht. Die Begleitung ist intensiv und multidisziplinär. Zwölf Betreuer kümmern sich um 20 Jugendliche. „Die Misserfolge, die sie in ihrem Leben hinnehmen mussten, wollen wir hier therapeutisch aufarbeiten. Aber ohne zu autoritär zu werden“, betont Ost. Zurzeit legen die Industrieabfälle im „Centre Formida“ lediglich eine Zwischenstation ein. Wenn sie dann Teil eines Bastelwerks werden, landen sie häufig trotzdem irgendwann im Müll. Künftig wolle das „Formida“ die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft noch strenger respektieren, betont Lynn Schammel.

Kreislaufwirtschaft ist in 

Wegen steigender Müllberge und zunehmender Verunreinigung der Weltmeere wird das Thema Abfallvermeidung immer wichtiger. Spätestens seit der Veröffentlichung der von LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider in Auftrag gegebenen Rifkin-Studie gilt die Kreislaufwirtschaft auch in Luxemburg als einer der vielversprechendsten Wirtschaftssektoren der Zukunft. In Wiltz soll eine ehemalige Industriebrache zum Hotspot der Kreislaufwirtschaft werden. Und auch in den Schulen wird das Thema immer häufiger behandelt. In diese Philosophie reiht sich auch das von der Arcus asbl. betriebene „Centre Formida“ ein. Das vor rund vier Wochen im ersten Stockwerk des vom Möbeldesigner Pit Lavandier sanierten Industriegebäudes in der Escher „Hiel“ eröffnete Zentrum wurde am Donnerstag offiziell eingeweiht.

Es sei eine vom Bildungsministerium in Auftrag gegebene Erweiterung des von Arcus angebotenen Weiterbildungsprogramms „Focus“. Es orientiert sich an der Reggio-Pädagogik, die seit den 1970er-Jahren in der italienischen Stadt Reggio nell’Emilia entwickelt wird, und ist auch mit dem von Arcus angewandten Welt-Atelier-Konzept vereinbar. Die Reggio-Pädagogik erkennt die Kinder als autonome und kompetente Akteure ihres Entwicklungsprozesses an und folgt der Grundhaltung, dass sie die Fähigkeit besitzen, selbst zu entdecken und zu erforschen. Schon vor über 20 Jahren wurde in Reggio nell’Emilia das kreative Recyclingcenter ReMida eröffnet, das dem „Formida“ als Vorbild diente. Finanziert wird das Zentrum in der „Hiel“ über eine Konvention mit dem Bildungsministerium und vom Programm „Yes we care“ der „Oeuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“.