Nachhaltige Mode: Luxemburg hat noch „einen langen Weg“ vor sich

Nachhaltige Mode: Luxemburg hat noch „einen langen Weg“ vor sich

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Lange ist es her, dass die Welt ihr Auge auf Bangladesch gerichtet hatte. Es scheint, als ob viele in den sechs Jahren seit dem Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik das Interesse an den Produktionsbedingungen der Modeindustrie verloren haben. Aber es gibt Ausnahmen. Auch in Luxemburg kämpfen Menschen für eine nachhaltige Mode und dafür, dass die Welt der Kleidung zu Mensch und Umwelt fairer wird. Aber: Das ist einfacher gesagt als getan.

Von Marie Schusterschitz

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Nicht auf jedes Siegel ist Verlass

In den Tagen zuvor hatten sie den Fabrikbesitzer gewarnt, dass es nicht sicher wäre. Er hörte ihnen nicht zu. Er schickte sie trotzdem zur Arbeit. Das Resultat: 1.134 Tote, Tausende Verletzte und ein internationaler Aufschrei.

Das war der Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka am 24. April 2013. Es war der Tag, der die Modewelt aufrüttelte – und den Preis von Billigmode infrage stellte.

Nach der Katastrophe will die Welt genau wissen, wie so etwas passieren konnte. Die Behörden in Bangladesch stellen fest, dass es einige Risse im Gebäude gegeben hatte, die den Einsturz verursacht hatten. Tausende Menschen – der Großteil von ihnen Frauen – waren dennoch in die Hallen geströmt, um ihrer Arbeit nachzugehen: der Produktion von Kleidung, für die sie 85 Euro im Monat verdienten.

Das tödliche Ereignis brachte auch die Modegiganten unter Druck, die unter unwürdigen und unsicheren Bedingungen ihre Kleidung produzieren ließen. Einen Monat nach der Katastrophe unterzeichneten mehr als 200 Firmen den „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“. Das Abkommen sollte für mehr Sicherheit in den Fabriken sorgen. Damit es nicht zu einem zweiten Rana Plaza kommt.

Mehr Sicherheit, um zu hungern

Christie Miedema findet, dass das Abkommen sehr viel Gutes geleistet hat. „Die Fabriken sind definitiv sicherer geworden“, sagt die Niederländerin. Miedema arbeitet für die Nichtregierungsorganisation „Clean Clothes Campaign“, die sich für die faire Bezahlung aller Textilarbeiter starkmacht. Inspekteure, die durch den „Accord on Fire and Building Safety“ mit der Kontrolle der Anlagen beauftragt wurden, hätten 1.578 Fabriken geprüft. „90 Prozent von ihnen haben nach den Inspektionen ihre Mängel behoben“, sagt Miedema.  „Die Fabriken sind definitiv sicherer geworden.“

Obwohl das Unfallrisiko für einen Großteil der Arbeitnehmer kleiner geworden ist, verdienen sie noch immer weitaus weniger als den bangladeschischen „living wage“ – das Gehalt, das ein Mensch zum Überleben braucht. „Feuerschutz und Sicherheitskontrollen heißen nicht, dass die Leute genug verdienen“, sagt Jean-Louis Zeien, Präsident von Fairtrade Lëtzebuerg. „Das Leben der Arbeiter hat sich durch den Vertrag nicht drastisch verändert.“

Spotlight ist verschwunden

Dass Textilarbeiter in Bangladesch immer noch ausgebeutet werden, ist für die Aktivistin Miedema eines der großen Probleme der Mode-Industrie. „Zwar hat das Abkommen seit 2013 viel verbessert, die Gehälter haben sich allerdings nicht geändert“, sagt sie. Bangladesch bleibe auch nach der Rana-Plaza-Katastrophe einer der größten – und billigsten – Märkte für die Bekleidungsindustrie. „Die Aufmerksamkeit, die Bangladesch nach Rana Plaza von den internationalen Medien bekam, ist längst wieder abgeebbt“, erörtert Miedema. „Die Unterdrückung der Arbeiter in den vergangenen Monaten ist kaum in den Nachrichten aufgetaucht.“ Miedema sagt auch, dass es weiter Gewalt gegenüber den Textilarbeitern geben wird, solange eine internationale Reaktion ausbleibt. Alles, damit das Wirtschaftssystem der „fast fashion“ weiter aufrechterhalten wird.

Als „fast fashion“ wird die Kleidung bezeichnet, die möglichst schnell und in großen Massen produziert wird, um dann möglichst billig verkauft zu werden. Diese Art von Mode ist vor allem deswegen so beliebt, weil sie mit den immer öfter wechselnden Trends mithalten kann. Der Gegensatz zur schnellen, billigen und massenproduzierten „fast fashion“ ist die „sustainable fashion“ – nachhaltige Mode, bei der vor allem das Wohl der Umwelt und der Arbeiter im Fokus stehen sollte. Wie diese Nachhaltigkeit aber genau aussieht, ist nicht so einfach festzustellen.

Viele Graubereiche

„Es gibt tatsächlich keine einheitliche Definition“, sagt Fairtrade-Mann Jean-Louis Zeien. „Da jeder selbst festlegen kann, was Nachhaltigkeit bedeutet, gibt es einige Unternehmen, die sich als nachhaltig präsentieren, obwohl sie es gar nicht sind.“

Foto: Fairtrade Lëtzebuerg

Jean-Louis Zeien, Präsident von Fairtrade Lëtzebuerg

Dieser Graubereich führt auch dazu, dass die Ausgeber von Siegeln für Nachhaltigkeit teilweise frei wählen können, wie streng ihre Bedingungen sind.  Zwar halten sich alle an die vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen der International Labour Organisation (ILO), einen großen Kritikpunkt gibt es jedoch an den Siegeln (siehe Infobox). Das Fairtrade-Siegel erlaubt es beispielsweise, dass Arbeitgeber in einer Periode von sechs Jahren auf einen „living wage“ hinarbeiten. Ein Shirt kann also von Fairtrade als nachhaltig eingestuft werden, obwohl Arbeiter nicht von ihrem „fairen“ Gehalt leben können. Für die Clean Clothes Campaign von Christie Miedema ist der Fall klar: „Das ist unakzeptabel“, heißt es in einer Pressemitteilung der Organisation. „Für Verbraucher ist das irreführend und es erlaubt Fairtrade, eine ungerechte Marketingstrategie durchzuführen.“

Mehr als Umweltschutz und „living wage“

Die Welt der nachhaltigen Mode ist also – wie die der „fast fashion“ – von Uneinigkeit und Kontroversen geplagt. Deswegen hält es Stylianee Parascha, Gründerin des Luxemburger Labels „What Eve Wears“, praktisch für unmöglich, ein Produkt zu erstellen, das jeden Aspekt der Nachhaltigkeit beachtet. „Die verschiedenen Definitionen sind verwirrend und widersprechen sich teilweise“, sagt sie. Das mache es für Unternehmen schwerer, sich der Nachhaltigkeit zu widmen. „Irgendwo macht man immer etwas falsch.“

Das Konzept der Nachhaltigkeit sei viel komplizierter als „nur“ Umweltschutz und gerechte Bezahlung. „Um dem Begriff wirklich treu zu bleiben, muss auch an Themen wie Kulturaneignung gedacht werden“, sagt die Luxemburger Modedesignerin. „Wenn man dem Ursprung der Motive, die verwendet werden, nicht Anerkennung schenkt, beutet man die Kultur nur aus.“

Archiv: Stylianee Parascha

Stylianee Parascha (Mitte) mit zwei „upgecycelten“ Kreationen auf dem Catwalk in Griechenland

Aktionen auch in Luxemburg

Um die Luxemburger besser mit den Feinheiten der nachhaltigen Mode bekannt zu machen, startete Fairtrade gemeinsam mit der Caritas und der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit des Außenministeriums im März 2018 die Kampagne „rethink your clothes“. Dafür kreierten die drei Protagonisten im April  des vergangenen Jahres die „fair fashion days“. Dabei wurden nachhaltige Marken aus dem Großherzogtum vorgestellt. Außerdem veröffentlichte Fairtrade Lëtzebuerg einen Shoppingführer, in dem Geschäfte angegeben sind, in denen es von der Organisation zertifizierte Produkte zu kaufen gibt. Fairtrade-Baumwolle gibt es seit 2008 in Luxemburg zu kaufen. Seitdem wurden damit 419.734 Euro umgesetzt. 2018 wurde ein Anstieg von 58 Prozent im Verkauf von Fairtrade zertifizierten Textilien vermerkt – dennoch bleibt die nachhaltige Mode ein Nischenmarkt.

Auch Stylianee Parascha und die von ihr geleitete Gruppe „Fashion Revolution“ sind darum bemüht, Luxemburger über nachhaltige Mode aufzuklären und sie für die Menschen zugänglich zu machen. „Ich weiß, dass es hier nicht so viele nachhaltige Einkaufsmöglichkeiten wie anderswo gibt“, bedauert sie. „Wir haben aber dieses Jahr schon zum dritten Mal einen Kleidertausch in Luxemburg-Stadt organisiert und die Beteiligung war größer, als wir uns je erhofft haben.“ Es seien so viele Menschen gekommen, um ihre Kleidung miteinander auszutauschen und zu spenden, dass Parascha zusätzliche Lieferwagen bestellen musste, um die Masse an gesammelten Klamotten zu transportieren.

„Less is more“

Trotz des großen Andrangs bei diesem Event bemerkt Parascha, dass viele noch immer nicht dazu bereit sind, eine größere Summe für faire Kleidung auszugeben. „Das große Problem liegt beim Überkonsum“, sagt sie. „Man kann fünf gewöhnliche Produkte zum Preis eines nachhaltigen Produkts kaufen – und viele Leute sind nicht dazu bereit, 20 Euro für ein T-Shirt auszugeben.“

30 Prozent der Kleidung, die wir besitzen, werden nie getragen, heißt es auf der Website der Kampagne „rethink your clothes“.  Deshalb rät Parascha jedem, sich das Motto „less is more“ anzueignen: Es sollte nur die Kleidung im Schrank hängen, die tatsächlich verwendet wird.

Innovation muss sein

Wie die Modewelt der Zukunft aussehen wird, können Parascha und Zeien nicht voraussagen. Damit es aber zu echten Veränderungen kommt, muss sich vor allem das Denken der Konsumenten, Unternehmen und Politiker ändern, sagt Parascha. „Wir machen keine Fortschritte, wenn wir in unseren alten Denkweisen gefangen bleiben – wir müssen innovativ sein.“ Ein Beispiel für so eine Innovation sei es, die 15 bis 20 Prozent der Textilien, die in Fabriken verworfen werden, in Accessoires wie Taschen umzuwandeln. Parascha: „So bietet man den Kunden mehr Auswahl, produziert aber nicht unbedingt mehr Abfall.“

Foto: Charlotte, ISL

Stylianee Parascha bei der Arbeit

Das Thema Innovation steht aber derzeit nicht auf jedermanns Agenda. Die Nachfrage billiger, in Massen produzierter Mode ist so hoch, dass laut Parascha die Bemühungen um Nachhaltigkeit nicht mithalten können. Sowohl die Modedesignerin als auch der Luxemburger Fairtrade-Chef Jean-Louis Zeien fordern, dass die Politik sich stärker am Kampf gegen die Ausbeutung der Arbeiter und der Erde beteiligt. Nur so würde gewährleistet, dass angemessene Rechtslagen zustande kommen, sagt Zeien. Derzeit sei das politische Engagement aber auf einem sehr niedrigen Niveau.

Nachhaltige Politik

„Die Diskussion um nachhaltige Mode ist derzeit überall zu finden“, sagt Stylianee Parascha. „Es bleibt aber nur bei einer Diskussion – viele Taten haben wir noch nicht erlebt.“ Das liege nicht nur daran, dass Politiker zu wenig Informationen über das Thema haben – die Staatslenker würden sich vor allem vor den großen Modefirmen fürchten. „Die Ketten haben sehr viel Macht und sie nutzen diese Macht, um die Politik zu ihrem Vorteil zu beeinflussen.“

Die EU hat zwar Initiativen wie die „Ethical Fashion Initiative“ ins Leben gerufen, eine rechtliche Grundlage über nachhaltige Mode gibt es aber nicht. „Die EU-Kommission hat 2017 gefordert, dass eine Richtlinie für nachhaltige Kleidung zusammengestellt wird“, sagt Zeien. „Die Debatte ist aber in den vergangenen zwei Jahren verstummt.“

Auch in Bangladesch werden die Bemühungen um eine fairere Modewelt durch die Regierung erschwert. Tofail Ahmed, der bangladeschische Handelsminister, verkündete im Mai 2018, dass das Land den „Accord on Fire and Building Safety“ nicht mehr nötig habe – die Fabriken wären nach Rana Plaza deutlich sicherer geworden. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns“, sagt Stylianee Parascha.

Fairtrade Lëtzebuerg

Fairtrade Lëtzebuerg wurde 1992 gegründet und ist Teil der internationalen Fairtrade Foundation, die weltweit größte Organisation, die sich für den fairen Handel einsetzt. Mit insgesamt 2.330 zertifizierten Produkten – 186 davon luxemburgischen Ursprungs – ist die Organisation stark in den Supermärkten des Landes vertreten. Doch nicht nur in den Einkaufswagen der Luxemburger ist Fairtrade zu finden. Jedes Jahr organisiert die NGO die „Lëtz’ Step to Fairtrade“-Kampagne. Privatpersonen, Unternehmen oder ganze Gemeinden können in einem Zeitraum von einer Woche Aktionen veranstalten, um die Nachricht von Fairtrade zu verbreiten.

Nachhaltig ist nicht gleich nachhaltig

Das Siegel „IVN Naturtextil zertifiziert BEST“ des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN) fordert beispielsweise, dass Produkte zu 100 Prozent aus Naturfasern bestehen. Außerdem müssen die Arbeitsbedingungen den Grundprinzipien der International Labour Organisation (ILO) entsprechen – es sollte also unter anderem jeder Arbeiter den jeweiligen „living wage“ erhalten. Auch gibt es ein Verbot von Diskriminierung, Zwangs- und Kinderarbeit sowie das Recht auf Kollektivverhandlungen und Gewerkschaften.

Weniger streng als das „IVN-Best“-Label – aber weiter verbreitet – ist der „Global Organic Textile Standard“ (GOTS). Damit ein Kleidungsstück von der das Siegel vergebenden Organisation als „aus natürlichen Fasern hergestellt“ anerkannt wird, muss sichergestellt werden, dass es zu mindestens 70 Prozent aus Naturfasern besteht. Will es als „Bio“ gekennzeichnet werden, muss das Produkt zu mindestens 95 Prozent aus Naturfasern zusammengesetzt sein. Außerdem wird der Einsatz von umweltschädlichen Chemikalien kontrolliert und die Arbeitsbedingungen müssen – wie bei anderen Labels auch – mit den Grundbedingungen der ILO übereinstimmen.

Das wohl bekannteste Label in der Welt der Nachhaltigkeit ist das Fairtrade-Siegel. Damit ein Kleidungsstück das tragen kann, muss es ähnliche Kriterien wie bei GOTS oder „IVN Best“ erfüllen.  Laut Jean-Louis Zeien gibt es drei Säulen, auf denen die Nachhaltigkeit beruht: die wirtschaftliche, die soziale und die ökologische. „Es müssen alle Arbeiter genug verdienen, um überleben zu können“, sagt er. „Wichtig ist auch ein absolutes Verbot der Kinder- und Zwangsarbeit sowie eine Schonung der Umwelt.“