Nach Nazi-Vergleich: Stuhl von Nr. 2 des EU-Parlaments wackelt

Es brodelt hinter den Kulissen des Europaparlaments (EP): Nicht weniger als ein Amtsenthebungsverfahren gegen EP-Vizepräsident Ryszard Czarnecki (PiS) droht.

Das Tageblatt hat aus gut informierten Kreisen erfahren, dass sich eine Front gegen den Polen bildet. In einem uns vorliegenden Schreiben fordern vier Fraktionsvorsitzende der einflussreichsten EP-Parteien, dass Europaparlamentspräsident Antonio Tajani (EVP) Maßnahmen gegen EP-Vizepräsident Czarnecki (EKR) unternehmen soll.

Was ist passiert?

Was ist passiert? Czarnecki hatte in einem Blog Post seine polnische EP-Kollegin Roza Thun (Platforma Obywatelska) mit den polnischen Nazi-Kollaborateuren „Szmalcownik“ verglichen. Der Begriff „Szmalcownik“ ist extrem negativ, weil er Polen bezeichnet, die Juden an Nazi-Deutschland verrieten oder sie erpressten.

Im Blog schrieb Czarnecki über Thun auf Polnisch: „Während des Zweiten Weltkriegs hatten wir die Szmalcownik, heute haben wir Róża von Thun und Hohenstein und unglücklicherweise fällt sie in eine gewisse Tradition.“

Heftiges Interview

In einem Interview wurde Czarnecki mit seinen Äußerungen konfrontiert und verteidigte sie. Stein des Anstoßes? Thun habe, so Czarnecki, an einem anti-polnischen Film teilgenommen. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um einen kritischen Arte-Bericht mit dem Titel „Polen vor der Zerreißprobe. Eine Frau kämpft um ihr Land.“

Hintergrund ist der innenpolitische Streit in Polen. Seit die rechtskonservative PiS-Regierung das Ruder übernommen hat, ist die Rechtsstaatlichkeit in Polen in Gefahr. Auch der Ton gegenüber Brüssel hat sich extrem verschärft. Inzwischen hat die EU-Kommission ein Sanktionsverfahren gegen Polen eingeleitet.

Kritiker mundtot machen

PiS-Politiker Czarnecki verfolgt demnach den Regierungskurs. Thun ist ehemalige Sprecherin von Solidarnosc und war wesentlich an der Wende 1989 beteiligt. Sie gehört zu den schärfsten Kritikern des aktuellen Kurses der Regierung und ist PiS demnach ein Dorn im Auge.

Czarnecki geht in dem Interview so weit, dass er Thun Propaganda vorwirft: „Wenn sie der Erzähler in einer Pseudo-Doku ist, einer Propaganda, die unser Heimatland trifft, dann verurteile ich das.“

Er droht sogar und hofft, dass sie „keine Nachahmer findet“. Sie habe ihr Heimatland „bespuckt“. Abschließend meint er: „Ich muss mich für nichts entschuldigen.“

Zu weit gegangen

In dem Schreiben der vier EP-Fraktionspräsidenten werden die Aussagen von Czarnecki kritisiert. So heißt es etwa: „Die Äußerungen überschreiten die Grenzen des verantwortungsvollen politischen Diskurses, sowohl auf einer persönlichen als auch auf einer institutionellen Ebene.“

Es sei mittlerweile Normalität geworden, dass pro-europäische EU-Abgeordnete aus Polen von polnischen PiS-Politikern diskreditiert würden. Doch die Äußerungen von Czarnecki würden eine weitere Grenze überschreiten: „Wir bitten Sie deshalb, entsprechende Schritte zu unternehmen, damit dieses beklagenswerte Verhalten nicht mit dem Europaparlament in Verbindung gebracht werden kann.“ Es wird explizit die Einleitung von Artikel 21 (► Link, siehe Seite 23), also von einem Amtsenthebungsverfahren gegen EP-Vizepräsident Czarnecki, gefordert.

Wer fordert seinen Sturz?

Hier die Unterzeichner des Dokuments:

– Manfred Weber, EVP-Fraktionsvorsitzender (Konservative)

– Gianni Pittella, S&D-Fraktionsvorsitzender (Sozialdemokraten)

– Guy Verhofstadt, ALDE-Fraktionsvorsitzender (Liberale)

– Philippe Lamberts, EFA-Fraktionsvorsitzender (Grüne)