Nach Mord an Studenten: Bosniens Justiz verfolgt Opfer statt Täter

Nach Mord an Studenten: Bosniens Justiz verfolgt Opfer statt Täter

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Ausgerechnet die Bewegung, die in Bosnien und Herzegowina für die Aufklärung eines von der Justiz vertuschten Mordes streitet, ist nun selbst in deren Visier geraten: Die Verhaftung der Eltern des ermordeten Studenten David Dragicevic wegen angeblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit löste Proteste in der ganzen Region aus.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad/Banja Luka

Vergeblich hielt die verweinte Frau den maskierten Staatsdienern im bosnischen Banja Luka das Bildnis ihres ermordeten Sohnes entgegen. „Schaut ihm in die Augen, er war 21 Jahre alt!“, rief Suzana Radovic, die Mutter des im März ermordeten Studenten David Dragicevic, am Dienstag mit tränenerstickter Stimme den auf dem Krajina-Platz aufgezogenen Sondereinsatzkräften zu: „Für wen arbeitet ihr, für das Volk? Zählt mein Kind nicht? Habt ihr denn keine Mütter?“

„Gerechtigkeit für David“

Doch stumm, aber entschlossen verrichten die Polizeibeamten den ihnen aufgetragenen Job. Mit Knüppelschlägen wurden die Teilnehmer der seit 278 Tagen allabendlich steigenden Protestkundgebung für die Aufklärung des mysteriösen Mordes auseinandergetrieben, die improvisierte Gedenkstätte geräumt, Fotos, Kerzen und Blumen für den ermordeten David zusammengefegt.

Nicht nur Demonstranten, Oppositionspolitiker und Journalisten wurden bei der Machtdemonstration in der Hauptstadt des Teilstaats der Republika Srpska zeitweise verhaftet. Zwei Beamte führten die das Bild ihres Sohnes umklammernde Mutter ab. Wenige Stunden zuvor hatte die Polizei bereits Davor Dragicevic verhaftet, den Vater des ermordeten Jugendlichen. Der 51-Jährige sei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, so die Begründung.

„Gerechtigkeit für David“ nennt sich die Bürgerbewegung, die seit über neun Monate gegen kriminelle Mafia-Machenschaften in dem Balkanstaat und für die Aufklärung des mysteriösen Mordes an dem Studenten streitet – und den Machthabern in der Republika Srpska zu einem immer lästigeren Dorn im Auge geworden ist.

Mörder aus den Reihen der Sicherheitskräfte?

Die zahlreichen Merkwürdigkeiten bei den Ermittlungen nähren deren Verdacht, dass Angehörige der Sicherheitskräfte selbst in den Mord verwickelt seien und diesen mit dem Segen ihrer politischen Schutzherren zu vertuschen versuchten. Am 18. März war David Dragicevic von seinem Vater vermisst gemeldet worden. Sechs Tage später wurde seine Leiche in einem Bach gefunden. Die Polizei wartete bei einer Pressekonferenz zwei Tage später mit der überraschend schnellen Ermittlung der vermeintlichen Todesursache auf: David habe unter Drogeneinfluss einen Einbruch versucht, sei beim Fluchtversuch an der Böschung gestürzt und in dem knietiefen Rinnsal ohne Fremdeinwirkung ertrunken.

Gegenanalysen konnten aber weder den von den Ermittlern konstatierten Drogenkonsum noch die präsentierte Todesursache bestätigen oder die zahlreichen Wunden an seiner Leiche erklären: Über 100 Tage nach Davids Tod leitete die Staatsanwaltschaft Ende Juni Ermittlungen wegen Mordverdacht gegen Unbekannt ein.

David sei von Sicherheitskräften entführt, tagelang festgehalten und gequält und seine Leiche schließlich in dem Fluss abgeladen worden, ist dessen Vater überzeugt. Bosniens von der Politik gesteuerte Justiz scheint im Fall David derweil weiter eher die lästigen Angehörigen des Opfers statt die Täter zu verfolgen: Die zeitweise Verhaftung von dessen Eltern hat in der ganzen Region eine Welle von Protesten ausgelöst.

Nicht nur Bosniens Journalistenverbände zeigten sich in ersten Reaktionen besorgt. Die EU-Mission in Sarajevo sprach von einer „negativen und alarmierenden Botschaft“ über den Zustand des Rechtsstaats in Bosnien und Herzegowina. Nach Ansicht der Analystin Tanja Topic war der Zeitpunkt der Verhaftungen und der Räumung der Gedenkstätte von den Verantwortlichen in Banja Luka bewusst gewählt: „Sie wussten, dass am ersten Weihnachtsfeiertag alle Botschafter und Vertreter der internationalen Organisationen im Urlaub sein würden.“

Schullerpiir
30. Dezember 2018 - 11.41

Ist doch ein richtiges demokratisches Land. Kommt auch noch in diee EU, wie so viel andere Balkanländer! Danke Jungs!!!