Moldawien wählt zwischen Moskau und Brüssel

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Gegenüber der „Box-Pizzeria“ befinde sich auch diesmal das größte Wählerreservoir der moldawischen Regierung, wird in der Hauptstadt Chisinau zynisch und resigniert gemunkelt. Es handelt sich um den fast einen Quadratkilometer großen Zentralfriedhof der gut 550.000 Einwohner zählenden Hauptstadt des drittärmsten Landes Europas.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger

Zwei prächtige orthodoxe Kirchen spenden den Lebenden Trost. Glaubt man der Opposition, so marschieren die Verstorbenen alle vier Jahre wieder als „tote Seelen“ in den Wählerlisten der Parlamentswahlen an. Fehlen der Regierung ein paar Tausend Stimmen, wählen eben die Toten mit, heißt es auch dieses Jahr wieder etwa bei der Anti-Korruptions-Koalition Acum („jetzt“).

Acum hat allerdings dieser Tage wichtigere Sorgen. Ihre beiden Führungsfiguren, die pro-europäische ehemalige Ministerin Maia Sandu und der Bürgeraktivist Adrian Nastase, sollen am Mittwoch vergiftet worden sein. Sie hätten sich sehr schlecht gefühlt und dann sei in ihrem Blut eine sehr hohe Eisenkonzentration nachgewiesen worden, klagten die beiden schmerzverzogen auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz. „Wir vermuten einen Anschlagversuch der Regierung“, klagten sie an. Diese schob die Anschuldigungen weit von sich. „Schwachsinn! Dieser Wahlkampf ist wahnsinnig geworden“, sagte ein Sprecher der noch regierenden Demokratischen Partei (PDM).

Korruption und Bankenskandal

Die Anti-Korruptions-Bewegung Acum wird bei den Parlamentswahlen vom Sonntag in der einstigen Ex-Sowjetrepublik mit rund 20 Prozent der Stimmen das Zünglein an der Waage sein. In der verhältnismäßig reichen Hauptstadt Chisinau ist das Bündnis sehr beliebt, in der verarmten Provinz aber fehlen dem Bündnis Geld und Strukturen. Acum hat sich dennoch zum Ziel gesetzt, das wohl korrupteste Land Europas vom Krebs der Vetternwirtschaft und politischen Einschüchterung zu befreien.

Ihren Ursprung hat die Bewegung in einem Bankenskandal, der die Moldawier vor fünf Jahren um umgerechnet eine Milliarde Dollar erleichterte. Die Gelder wurden von mehreren Geschäftsbanken via Russland und Lettland mutmaßlich in Steuerparadiese umgeleitet und sind seitdem verschwunden. Keine Regierungs- oder Parlamentskommission schaffte es, Licht in den Fall zu bringen.

Einer der Hauptverdächtigen, der moldawisch-russisch-israelische Geschäftsmann Ilia Shor, tritt stattdessen auch bei diesen Parlamentswahlen wieder mit seiner gleichnamigen linkspopulistischen Partei (rund 8 Prozent in den Umfragen) an. Die Justiz kann ihm angeblich nichts anhaben. Fälle wie der bestens mit verschiedenen politischen Optionen vernetzte Shor haben das Vertrauen der Moldawier in die Demokratie 28 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nachhaltig untergraben.

In Umfragen gaben im Januar 80 Prozent der Moldawier an, um ihr Land sei es schlecht bestellt. 50 Prozent wussten eine Woche vor dem Wahlgang noch nicht, welcher Partei sie die Stimme geben wollten. Es kann sein, dass sich diesmal nur noch eine Minderheit der Wähler an die Urnen begeben. „Unsere Politiker sind ja eh alle korrupt“, erzählt eine Passantin aus Chisinau in einer Reportage im Privatfernsehen. Kein Wunder, ist der weitaus beliebteste Politiker in Moldawien Wladimir Putin. Dem Russen sagt man zumindest eine harte Hand nach.

Ein Machtmodell macht Schule

Der zweitbeliebteste Politiker ist mit 30 Prozent der lokale Putin-Freund Igor Dodon, der Staatspräsident. Auf noch maximal zwei Prozent kommt der wirklich starke Mann Moldawiens, der PDM-Parteichef Vlad Plahotniuc, der allerdings ähnlich wie Jaroslav Kaczynski in Polen oder Liviu Dragnea im westlichen EU-Nachbarland Rumänien kein Regierungsamt innehat. Dieses Machtmodell macht in der Gegend immer mehr Schule. Der Medienmogul Plahotniuc indes ist bei weitem der reichste dieser neuen Art von Politikern.

In Chisinau heißt es seit Jahren, der wichtigste Oligarch Moldawiens finanziere um seines Machterhalts willen immer gleich mehrere Parteien. Seine regierende Demokratische Partei kontrolliere die Justiz sowie die staatliche und private Medienlandschaft. Als im Herbst 2018 der oppositionelle Anti-Korruptions-Kämpfer Andrei Nastase zum Bürgermeister von Chisinau gewählt wurde, habe Plahotniucs auf dem Papier pro-europäische Regierung das Wahlresultat einfach kurzerhand annullieren lassen, heißt es in der Hauptstadt.

Die pro-russischen Sozialisten führen

In den Umfragen führten kurz vor der von Politologen als richtungsweisend eingestuften Wahl haushoch die pro-russischen Sozialisten (PSRM) des Staatspräsidenten Dodon.
Plahotniucs Regierungspartei PDM kommt nur auf halb so viele Stimmen. Doch der Oligarchen-Fuchs – böse Stimmen in Chisinau bezeichnen ihn auch als „Blutsauger Vlad Dracula“ – hat sich die Shor-Partei (acht Prozent) als stille Bündnispartnerin herangeholt und dazu das Wahlsystem so abändern lassen, dass viele Lokalfürsten über Einerwahlkreise ins Parlament gelangen können.

Reicht auch das nicht, so hat der polnische Moldawienkenner Kamil Calus vom angesehenen Warschauer „Ostinstitut“ (OSW) eine weitere Lösung parat: Nach den Wahlen würden sicher ein paar sozialistische Abgeordnete gekauft, oder aber Plahotniuc wechsle einfach die Seite und werde eben ein pro-russischer Politiker.

Käme es nach den Wahlen zu einer pro-russischen Regierung, würde dies das labile Machtgefüge am Südostrand der EU empfindlich stören. Noch hat Russland nämlich im pro-russischen, moldawischen Separatistengebiet Transnistrien eine schwer bewaffnete Armee aus Sowjetzeiten stationiert. Moldawien liegt zwischen Rumänien und der Ukraine und galt bisher als Brüssel zugewandt. Putin, Dodon und Plahotniuc können das bald ändern, Hauptsache das Geschäft floriert weiterhin.