Moldawien stürzt ins politische Chaos

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Nach monatelangem Seilziehen haben die Sozialisten in Moldawien überraschend eine Regierung mit der Antikorruptionsplattform ACUM gebildet.
Die entmachtete Regierung will jedoch nicht abtreten.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger

Auch gestern walteten in der moldawischen Hauptstadt Chisinau gleichzeitig zwei Regierungen. Im von der Polizei umstellten Ministerratsgebäude traf sich Pavel Filip mit seinen Ministern, im Parlamentsgebäude hielt derweil Maia Sandu eine weitere Kabinettssitzung ab.

Die neue Regierung traf Entscheidungen, die die grassierende Korruption endlich bekämpfen sollen. Die Armee erklärte, sie bleibe neutral. Das Verteidigungsministerium wurde für Außenstehende abgeriegelt.

Damit hat sich die gespannte Ruhe seit dem Patt bei den Parlamentswahlen von Ende Februar mit drei praktisch gleich starken Kräften jäh zu einer Verfassungskrise entwickelt. Zuvor war das post-sowjetischen Land politisch monatelang nicht mehr vom Fleck gekommen. Filip leitete zwar nach der Wahlniederlage seiner Regierung interimistisch die Amtsgeschäfte weiter, doch seine auf dem Papier pro-westliche Demokratische Partei (PDM) konnte sich mit den siegreichen Sozialisten des pro-russischen Präsidenten Igor Dodon trotz erbitterten Seilziehens auf keine Koalition einigen.

Das verarmte Land zwischen Rumänien und der Ukraine drohte im politischen Patt zu ersticken. Denn niemand schien zu einer Koalition mit dem Antikorruptionsbündnis ACUM bereit. Doch am Pfingstwochenende überschlugen sich in Moldawien die Ereignisse.

Übermächtiger Oligarch

Nach dem offiziellen Scheitern der Koalitionsgespräche forderte die bisher regierende PDM des übermächtigen Oligarchen Vlad Plahotnic den Staatspräsidenten zur Auflösung des Parlaments auf. Unterstützung bekam sie dabei vom Verfassungsgericht, das sämtliche Versuche des Parlaments, eine alternative Koalition zu bilden, für rechtswidrig erklärte.
Das in der Vergangenheit PDM-treue Verfassungsgericht berief sich dabei auf eine seltsam ausgelegte Dreimonatefrist für die Regierungsbildung, die nun angeblich abgelaufen sei. Insgesamt gilt die gesamte moldauische Justiz als vom Oligarchen Plahotniuc unterwandert.

Dem Verfassungsgerichtsurteil widersprachen die beiden anderen großen Parteien sowie Präsident Dodon. Am Samstag traf sich dieses Rumpfparlament zu einer Sondersitzung und erklärte im Beisein Dodons überraschend eine Koalition zwischen den pro-russischen Sozialisten und der pro-europäischen ACUM. Mit 61 von 101 Stimmen wurde als Regierungschefin dieser ideologisch disperaten Koalition die bisherige Oppositionsführerin Sandu gewählt.

Ihr Stellvertreter sollte der Antikorruptionsaktivist Andrei Nastase (beide ACUM) werden, der das Amt des Innenministers übernahm. Dodon delegierte seinen Transnistrien-Berater Vasile Sova in die Regierung, seine sozialistische Parteichefin Zenaida Greceanii wurde zur Parlamentspräsidentin gewählt. „Damit beginnt die Entmachtung der Oligarchen“, frohlockte Nastase noch am Samstag. Doch kaum installiert, wurde diese Mannschaft vom Verfassungsgericht delegalisiert. PDM-Aktivisten errichteten vor dem Parlamentsgebäude ein Protestcamp und riegelten alle Regierungsgebäude ab.

Inzwischen demonstrieren Tausende gegen Dodon. Sie folgen dem alten Regierungschef Filip, der nach einem entsprechenden Verfassungsgerichtsurteil auch als Übergangspräsident fungiert. Als solcher löste Filip das ganze Parlament auf und rief vorgezogene Neuwahlen für 6. September aus.

„Solange Plahotniuc im Land ist, dauert diese Krise an“, sagt die neue Premierin Sandu. Gestern forderte der umgebildete Nationale Sicherheitsrat eine möglichst schnelle Aufklärung des Bankenskandals von 2015. Damals wurden von Kleinsparern dreier Banken rund eine Milliarde Dollar gestohlen und ins Ausland transferiert.

Involviert sollen mutmaßlich auch Personen aus dem Kreise der PDM gewesen sein. Eine Gruppe von 80 NGOs hat die Verfassungsrichter mittlerweile wegen Parteilichkeit zugunsten der alten Regierung zum Rücktritt aufgefordert. Die EU forderte Moldawien dazu auf, die Entscheidungen des alten Parlaments zu achten. Ins gleiche Kerbholz schlägt Moskau.