Möbelfabrikant Lavandier: Von Esch aus in die ganze Welt

Möbelfabrikant Lavandier: Von Esch aus in die ganze Welt

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Wer mit 83 noch mit Freude jeden Tag seiner Arbeit nachgeht und seinem bevorstehenden (Un-)Ruhestand mit einer Träne im Knopfloch entgegensieht, der muss seinen Job extrem mögen oder ein außergewöhnlicher Mensch sein. Auf Pierre, genannt Pit, Lavandier aus Esch trifft beides zu. Wir haben den erfolgreichen Unternehmer, dessen Name weit, sehr weit über die Landesgrenzen bekannt ist, in seinem Geschäftslokal besucht.

„Espace Lavandier“ prangt es in elegantem Schriftzug an der Fassade des imposanten Gebäudes am Escher Boulevard Prince Henri. Wer die Schwelle zum Geschäft übertritt, findet sich in einem Paradies für Freunde exklusiven Designs wieder. Mobiliar und Dekoartikel sind vom Feinsten; vieles von dem, was hier zu sehen ist, wurde in den eigenen Schreinerwerkstätten hergestellt. Besitzer des Ganzen ist Pit Lavandier. Und von ihm erfahren wir schon bald, dass das Escher Geschäft nur ein recht bescheidener Teil seines international bekannten Unternehmens ist.

Geburtsanzeige vom 13. Juni 1936 in dieser Zeitung – natürlich nur im Print 😉 Damals ging’s noch nicht so schnell …

Wir steigen die Stufen der glänzenden Edelstahl-Wendeltreppe empor, als der Eigentümer uns bereits entgegenkommt. „Kommen Sie, setzen Sie sich“, lädt er uns in lässiger Sommerkleidung mit Shorts und halboffenem Hemd ein. Der Blick, die Bewegung, die Energie, die er ausstrahlt, sind nicht die eines „alten Mannes“. Und die Lebensfreude steht ihm förmlich ins markante Gesicht mit dem ergrauten Schnauzbart geschrieben. Aber Pit Lavandier ist wirklich seit dem 4. Juni – zumindest auf dem Papier – 83 Jahre alt. Geboren wurde er 1936 in der zweitgrößten Stadt des Landes.

Eine ganze Familie von Möbelschreinern

Seine mediterrane Erscheinung und sein Temperament verdankt er wohl der Mutter, Anita Maria Balzarini. Die Heirat der Eltern fand 1933 in Esch statt. Vater Adolf, resp. Adolphe – in den Archiven finden sich beide Schreibweisen – war Möbelfabrikant mit einer bereits damals recht ansehnlichen Werkstatt. Mehrfach wurde diese später verlegt. Von der Alzettestraße  in die Zénon Bernard Straße und schließlich an den Boulevard  Prince Henri.

Doch nicht nur der Vater war Schreiner, nein, auch schon der Großvater, erzählt er uns. „Der hatte vier Söhne und eine Tochter, und alle vier Jungen wurden Möbelschreiner. Ich wurde also in diese Welt hinein geboren, und wuchs in ihr auf.“ Sein Vater habe allerdings niemals von ihm verlangt, ebenfalls diesen Beruf zu ergreifen. Trotzdem sollte es so kommen. „Ich besuchte zunächst das klassische Lyzeum in Esch, doch dann wuchs in mir der Wunsch, später einmal den Familienbetrieb zu übernehmen. Also erlernte ich das Handwerk und begann bei meinem Vater zu arbeiten.“

Schon 1958 ging es los

Das war im Jahr 1958. Pit Lavandier entdeckte noch während seiner Lehre die Freude an gutem Design, beschloss sich in Architektur und Innenarchitektur weiterzubilden, und belegte entsprechende Kurse in Deutschland.  1963 übernahm er das väterliche Unternehmen, im selben Jahr folgte die Heirat mit Danielle Schroeder. „Meine Frau begann auch gleich, mit im Betrieb zu arbeiten. Ohne sie hätte ich niemals das erreichen können, was ich später erreichen sollte.“ Doch zunächst galt es den Vater von seinen Plänen zu überzeugen.

Ad. Lavandier – Pits Vater – schaltete diese Anzeige im Jahr 1950

Dass die Zeit der traditionellen Stilmöbel aus der Vorkriegszeit vorbei sei und man sich dem Modernismus zuwenden müsste, um weiter bestehen zu können, dessen war sich Lavandier sicher. Und obwohl der Vater seine Zweifel daran hatte, ließ er den Sohn gewähren. Und das war auch gut so, wie sich später herausstellen sollte. Während viele traditionelle Betriebe nach und nach verschwanden, wuchs derjenige der Familie Lavandier stetig weiter.

„Ich habe nie aufgehört, zu investieren“

Pit Lavandier erkannte, dass die Werkstätten die Grundlage des Geschäftes seien und baute es im Laufe der Jahrzehnte nicht weniger als dreimal um und aus. „Ich habe nie aufgehört, zu investieren, auch in die besten Maschinen.“ Inzwischen hatte man sich in Esch darauf spezialisiert, moderne Küchen herzustellen. Etliche Haushaltungsschulen wurden treue Kunden, genauso wie Privatpersonen. Als dann in den 1970er-Jahren überall im Lande Sporthallen errichtet wurden, erkannte er hier eine neue Zielgruppe.

„In Deutschland hatte ich unter anderem die Verantwortlichen der Firma Pagholz kennengelernt. Diese stellte neben Stühlen auch Deckenelemente aus Holz her.“ Seine Bekanntschaft mit dem damaligen Sportkommissar der Regierung, dem Abgeordneten René van den Bulcke, sollte für Lavandier der Beginn von etwas ganz Großem werden. „Wir haben mit der Halle des nationalen Institutes für Sport begonnen, dann folgte die Differdinger Sporthalle. Insgesamt haben wir so rund 14 Hallen im Land mit Stühlen und Decken ausgestattet.“

Mitten in der Nacht kam die Idee

Der Name Lavandier wurde landesweit bekannt, die Zahl der Aufträge wuchs und wuchs. Auf Kirchberg entstanden damals die ersten großen Bauten, der Betrieb sollte hier massiv mitmischen. „Ich sah ein, dass ich einen anderen, direkteren Weg finden musste, um kompetitiv zu bleiben und das Basismaterial für die Elemente, die wir selbst herstellten oder verfeinerten, kostengünstiger einkaufen zu können“, erklärt Pit Lavandier.

Stichwort Design: Bis heute arbeitet Pit Lavandier mit den bedeutendsten Designern weltweit.

Nachts um 3 Uhr sei ihm die rettende Idee gekommen. „Ich beschloss, mein Glück zu versuchen, und machte mich auf den Weg nach Sankt Johann in Österreich zur Firma Egger.“ Er konnte die Verantwortlichen des bedeutenden Lieferanten von Holzwerkstoffen, die sonst nur „richtig große“ Betriebe versorgten, für sich zu gewinnen und bestellte die ersten Lastwagen mit vorgefertigten Teilen, die dann in den Escher Ateliers weiterverarbeitet wurden.

Start einer fulminanten Karriere

Dies war der Start einer fulminanten Karriere. Mit dem Material aus Österreich entstanden in Luxemburg Schränke und Trennwände. „Die Österreicher boten mir einen exklusiven Importvertrag für ein Jahr an, ich arbeite heute noch mit ihnen“, erzählt Lavandier. Die Pensionskasse, zahlreiche Banken und andere Institutionen wurden von dem Escher Betrieb ausgestattet. „Wir haben Jahr für Jahr gut 2.000 bis 2.500 Meter an Schränken produziert, dazu noch Trennwände. Das war faszinierend!“

Zu dieser Zeit wurden auch weitere Werkstätten in der Kanalstraße eingerichtet, dort, wo sich jetzt neben einer Kindertagesstätte auch Studentenwohnungen befinden – ebenfalls ein Projekt des Unternehmers. „Wir haben damals rund 30 Personen beschäftigt!“ Ohne gute Mitarbeiter hätte das alles nicht geklappt, so der 83-Jährige: „Sie sind das A und O eines Unternehmens.“

Nach London und weiter

Dann folgte der Sprung ins Ausland. Über die Firma Clearstream wurden Kontakte nach London hergestellt. „Dort haben wir allein in einem einzigen Wolkenkratzer rund 4.000 Quadratmeter an Büroräumen ausgestattet, mit Decken, Trennwänden, Schränken und allem, was dazugehört.“ Danach folgten europaweit Büroräume für Top-Manager. „Ich habe die bedeutendsten Designer kennengelernt und mit ihnen zusammengearbeitet.“ Fast Tag und Nacht seien die Maschinen zu jener Zeit in Esch gelaufen.

Der Showroom in Esch wird demnächst der Vergangenheit angehören

„Das war eine super Zeit!“ 1978 wurde das Gebäude am Boulevard Prince Henri erworben, in den 1990er-Jahren kamen die angrenzenden Häuser dazu. Das Geschäft boomte. Ein Großauftrag aus dem Kongo sollte die Firma dann aber schließlich fast in den Ruin treiben. „Wir wurden beauftragt, ein Hotel in der Hauptstadt Brazzaville auszustatten. Doch gerade als die ersten 250 Zimmereinrichtungen in Containern auf den Weg geschickt werden sollten, kam die Hiobsbotschaft aus der afrikanischen Hauptstadt, dass das Projekt gestoppt wurde.“

250 Hotelzimmer im „Ellergronn“

Was nun? Im „Ellergronn“ mietete Pit Lavandier eine ehemalige Industriehalle an, um die Container erst einmal zwischenzulagern. Später sollte er die Halle erwerben. „Doch dort war es so feucht, dass ich riesige Entfeuchter installieren musste. Nach und nach bekam ich die Lage in den Griff.“ Und das nötige Quäntchen Glück sollte den Unternehmer auch diesmal nicht verlassen.

Denn schlussendlich – inzwischen waren dreieinhalb Jahre vergangen – sollte das Geschäft mit Brazzaville dennoch über die Bühne gehen. „Wir lieferten die Zimmer, den Aufbau übernahm eine Firma aus der Türkei. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn diese Sache hätte beinahe das Aus meines Betriebes bedeutet.“ Am Ende ging alles gut aus und der Name Lavandier sollte weiterhin eine internationale Größe in Sachen Mobiliar und Innenausstattung bleiben.

„I am sailing, I am sailing …“

Alles Weitere ist Geschichte. Über den Escher und sein unternehmerisches Talent könnte man ein ganzes Buch schreiben. An dieser Stelle reicht es allenfalls, einen kleinen Eindruck seiner außergewöhnlichen Leistungen zu liefern. Zweimal ertönte übrigens während unseres Gespräches das Handy des 83-Jährigen: Rod Stewarts „I am sailing“ hat er sich als Klingelton ausgesucht. Und das hat seinen Grund.

Segeln ist Lavandiers wichtigstes Hobby. „Ich habe diese Leidenschaft erst mit 52 Jahren entdeckt und teile sie mit meiner Frau.“ An der türkischen Riviera, wo ihr Boot ankert, wird man das Paar nun in Zukunft öfters segeln sehen. Denn zum Jahresende soll mit der Arbeit definitiv Schluss sein. Mit dem „Espace Lavandier“ wird ein weiterer Escher Traditionsbetrieb verschwinden. „Mein Personal habe ich bereits zum Großteil anderweitig platziert“, erklärt er.

Dass Pit Lavandier dann nur noch seine Freizeit genießen wird, kann man sich kaum vorstellen. Er selbst auch nicht. „Ich möchte mich jetzt verstärkt ehrenamtlich engagieren“, betont er, der bereits eng mit dem gemeinnützigen Verein Arcus zusammenarbeitet. Dieser kümmert sich um benachteiligte Jugendliche und vermittelt ihnen eine Zukunftsperspektive.