Performance-Künstlerin Catherine Elsen: Mehr als intellektuelle Masturbation

Performance-Künstlerin Catherine Elsen: Mehr als intellektuelle Masturbation

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„Love, Death and Polar Bears“. Ein Trio infernale, das die Medienwelt derzeit fest in der Hand hält. Aber auch ein Dreiergespann, das die luxemburgische Kunstschaffende Catherine Elsen bei ihrer neusten Kreation auf der Bühne begleitet. Da die abgemagerten Tiere leider ihren Flug verpasst haben, weil der Zufahrtsweg weggeschmolzen ist, nahm das Tageblatt mit der Autorin, Regisseurin und Darstellerin in einer Person vorlieb.

Catherine Elsen sitzt auf einem auf alt getrimmten (oder vielleicht tatsächlich baufälligen) geblümten Sessel in einer überteuerten Hauptstadt-Bar und wartet auf eine Tageblatt-Journalistin, die sich verspätet, weil sie und ihr Zug sich im luxemburgischen Verkehrsnetz verfangen haben. Ihr Blick ist geneigt. Elsen öffnet und schließt den Mund wie ein Fisch, der darauf bedacht ist, ja nur keine umherschwimmende Mini-Plastikgabel zu verschlucken. Sie versucht aber nicht etwa, sich auf eins der in ihrem neuen Stück behandelten Themen, nämlich den Klimawandel, einzustimmen, sondern sie lernt den Text, von dem sie jede einzelne Zeile in wochenlanger Feinarbeit selbst verfasst hat.

Premiere

Am 1. April in
Düdelingen in
„opderschmelz“

Weitere Infos auf: www.ill.lu

„Auch Politiker können kreativ sein“

An diesem Tag hat Catherine Elsen bereits zwei Interviews gegeben. Der Gesprächsmarathon vor der Premiere am Montag im Düdelinger Kulturzentrum „opderschmelz“ darf oder muss dennoch weitergehen. Das Gespräch mit dem Tageblatt beginnt mit der Frage, was sie tun würde, wenn man ihr verbieten würde, zu erschaffen. Die Anfang 30-jährige gebürtige Luxemburgerin, die kürzlich von Freunden darüber informiert wurde, dass sie sich jetzt „re-pat“ schimpfen darf, weil sie nach einem langen Aufenthalt im Ausland wieder in ihrem Herkunftsland lebt (und weil der Begriff einfach unglaublich „fancy“ klingt), schaut etwas verdutzt drein.

Ihr Gesichtsausdruck scheint ausnahmsweise nicht ihrem schier endlos wirkenden Repertoire an herrlich selbstironischen Grimassen entnommen, mit denen sie für gewöhnlich das Publikum – wie kürzlich bei Anne Simons Inszenierung von „Stupid Fucking Bird“ – zum Lachen bringt, weil sie die Absurdität an die Spitze treibt, ohne dabei eine Miene zu verziehen.

 

„Ich würde, glaube ich, zuerst fragen, warum. Um ein bisschen Zeit zu gewinnen, versteht sich.“ Durch ihr Tanz-Theater-Studium sowie ihre langjährige Bühnenerfahrung als Performance-Künstlerin ist Elsen es gewohnt, Ruhe zu bewahren und zu improvisieren. So tut sie es also auch jetzt. Sie schmunzelt dennoch nachdenklich. Es folgt aber kein unterhaltsames Ablenkungsmanöver, sondern eine sehr bedachte Antwort: „Sogar wenn Plattenformen und Räume zum Ausdruck weggenommen werden, bedeutet das nicht, dass man die Kreativität als solches verbieten kann. Diese hört nicht einfach auf. Es handelt sich um eine Einstellung zum Leben und eine Möglichkeit der Teilhabe. Wenn ich nicht mehr im Bereich der Kunst erschaffen dürfte, würde ich mir andere Wege suchen. Kreativität beschränkt sich nicht auf nur einen Sektor. Auch ein Politiker, Pädagoge oder eine Putzfrau können kreativ sein.“

Der Künstler als „Synthesizer“

Schaffensdrang in seinen unterschiedlichsten Formen gebe dem gesellschaftlichen Zusammenleben einen Sinn, meint Elsen. Ihrer Auffassung nach muss dieser nicht zwingend im Zusammenhang mit Innovation stehen. Der vorhandene Fundus an bereits Geschaffenem halte extrem viel Input bereit und habe es verdient, dass man sich näher mit ihm befasse. „Eigentlich stehst du als Solokünstlerin nie allein auf der Bühne. Dich begleitet auch all das, was du je gelesen, gesehen, gehört und gefühlt hast.“

Dadurch werde man zu einer Art „Synthesizer“, also einem Katalysator, der wiederum einzigartig sei und einer eigenen Kreation einen ganz bestimmten Fingerabdruck verleihe. Um dies zulassen zu können, müsse man sich öffnen und Dinge auf sich wirken lassen können, damit „das Eigene“ in alledem sich entfaltet. „Das verleiht diesem Prozess einerseits etwas unglaublich Schönes. Andererseits kann es aber auch Ängste hervorrufen, weil man nie im Voraus sagen kann, was daraus resultieren wird“, gibt Catherine Elsen zu.
Eventuelle Unsicherheitsmomente zu überwinden, hat sich gelohnt. Nun steht das Konzept für „Love, Death and Polar Bears“, das Anfang nächster Woche präsentiert wird.

Unterstützung hierbei hatte Elsen von ihrer Dramaturgin Marianne Villière, ihrem musikalischen Berater Pouya Ehsaei, der Kostümbildnerin Michèle Tonteling, dem sogenannten „oeil extérieur“ Renelde Pierlot sowie dem Sounddesigner Nico Tremblay und der Produktionsleiterin Jill Christophe (Künstlerkollektiv Independent Little Lies).
„Ich merke immer wieder, dass mich derartiger Austausch sehr stimuliert und produktiv macht. Dennoch musste ich die Herausforderung annehmen und zuerst schauen, was passiert, wenn ich allein bin.“ Hierfür nutzte sie zwei Künstlerresidenzen, jeweils eine in Düdelingen sowie in Burglinster. Dort recherchierte sie mehrere Wochen, feilte an ihren Texten sowie an der Darstellung. Erst in einem weiteren Schritt fand dann die Auseinandersetzung mit den anderen Produktionsmitgliedern statt. Diese brachten es fertig, sowohl Lob zu erteilen als auch das ein oder andere Mal die Künstlerin dazu zu veranlassen, etwas über den Haufen zu werfen und ihre „Darlings zu killen“, weil es beispielsweise nicht verständlich war.

„Mir liegt sehr viel daran, etwas zu erschaffen, das bei den Menschen ankommt und sie berührt. Ganz unabhängig davon, ob es ihnen nun gefällt oder sie vielleicht stört, gar nervt. Wichtig ist, dass es sich um mehr als nur schiere intellektuelle Masturbation handelt, bei der ich mir zwar dann selbst auf die Schulter klopfen und sagen kann, dass ich außerordentlich ‚deep‘ bin, aber trotzdem niemand versteht, was ich eigentlich sagen möchte.“

WIE

Während Catherine Elsen von vermeintlicher Tiefgründigkeit spricht, passt sie – wie im Verlauf des Gespräches mehrmals – ihre Mimik an und verstellt die Stimme ein wenig, um jemanden zu imitieren, der sie eigentlich nicht sein will. Sie schafft Distanz zwischen sich und der Figur. Oder der Einstellung, die sie nicht vertreten möchte. Sie meint es verdammt ernst. Und doch versteht die Performance-Künstlerin es, mit dieser Art „Showeinlage“ ihr Gegenüber zum Lachen und Nachdenken zu bringen. Hierin liegt das unbestreitbare Talent dieser jungen Frau.

Ihre Kreation „Love, Death and Polar Bears“ enthält sowohl Spuren von Comedy als auch von Horror und weist ebenfalls tragische Elemente auf. Unter anderem anhand von eingespielter Musik oder selbst gesungenen Songs wird der Inhalt verstärkt. Laut Catherine Elsen spielen die gewählten Medien eine essenzielle Rolle bei der Vermittlung von Botschaften. Nicht zuletzt auch, weil sie etwas Verführerisches haben.

„Bei der Verführung an sich handelt es sich um ein äußerst spannendes Element. Ein interessantes Beispiel hierfür ist Donald Trump. Er ist kein guter Politiker. Vielmehr handelt es sich um einen Tyrannen. Und trotzdem finde ich diesen Typen leider echt unterhaltsam. Ich kann ihm ziemlich lange zuhören und zuschauen. Und dann gibt es Menschen, die ethisch weitaus korrekter unterwegs sind, die langweilen mich zu Tode.“

Man müsse sich dementsprechend Gedanken darüber machen, wie man eine wichtige Botschaft an den Mann oder die Frau bringe, und zwar so, dass der Empfänger sich nicht so fühle, als werde ihm gerade eine Lektion erteilt. „Das kenne ich sehr gut von mir selbst: Wenn jemand mir sagt, wie ich etwas tun soll, dann kann dieser sich sicher sein, dass ich genau das Gegenteil machen werde.“

WAS

Unter anderem die zuvor erwähnte menschliche Handgranate, welche derzeit die amerikanische Präsidentschaft innehat, sowie zahlreiche rechte Bewegungen und die nicht abklingen wollenden Klimadebatten gaben denn auch den Impuls für den Inhalt des Stücks, das aktueller nicht sein könnte. Catherine Elsen verhandelt auf der Bühne soziale wie politische Probleme, die jenseits der schützenden vierten Wand zu wahrhaftigen, teils lebensbedrohlichen Konflikten anschwellen.

Um innere und äußere Konflikte darzustellen, entschied sich Elsen dafür, längst nicht nur eine Stimme, sondern gleich mehrere zu verinnerlichen. Sie entwickelte zwei Archetypen, welche im Laufe des Stücks stets miteinander ringen. Es ginge um eben diesen Kampf, um das Hin-und-Hergerissen-Sein, das sich in einer Welt mit derart vielen Optionen förmlich aufdränge und gleichzeitig (fast) handlungsunfähig mache.

„Das Internet schafft unglaublich viele Freiheiten, sich zu informieren, und doch kann es passieren, dass man eine Stunde lange surft und nachher nicht einmal mehr benennen kann, was man eigentlich gerade getan hat. Dann muss man sich fragen, ob man die Freiheit wirklich hat oder vielleicht erst daran arbeiten muss, sie wieder zu erlangen.“
Es gebe quasi eine Obsession in unserem neoliberalen System, in dem man sich innerhalb der eigenen Echokammer nach Bestätigung sehne und um sich selbst drehe, während man außerhalb dessen – dort, wo Krisen um sich schlagen – eigentlich verloren sei. „Es geht klar darum, wie man mit diesem Narzissmus brechen kann, um in die Welt zurückzukehren, die einen braucht. Der Modus sollte ausgeschaltet werden, der nach dem Schema funktioniert: ‚Oh da drüben ist scheinbar irgendwas Schreckliches passiert, eigentlich könnte ich ja helfen, aber … lass mich vielleicht doch zuerst eine Netflix-Serie schauen, ich hab für heute ohnehin genug gearbeitet.“

Während die Darstellerin einerseits versuchen wird, den Manipulator zu spielen, welcher sich auf Erfolg und Macht konzentriert, stellt sie auf der anderen Seite auch eine Art moderne Version der Cassandra dar, welche seinerzeit schon Katastrophen vorhersagte, aber niemand ihr glaubte und letzten Endes trotzdem bestraft wurde. Hier sieht Elsen Parallelen zu Personen, die es eigentlich in fast jedem Freundeskreis gibt. Personen, welche häufiger mal auf Probleme hinwiesen, sage man oft beschwichtigend, sie sollten nicht so negativ denken. „Das Ironische bei Naturkatastrophen ist aber, dass du nicht einfach sagen kannst: ‚Ach da kommt zwar jetzt eine Flutwelle, aber wartet bitte, ich muss erst noch meinen Tee austrinken.‘“

WIESO

Es ginge ihr keineswegs darum, zu vermitteln, dass sie die Situation besser handhabe als viele andere, betont Catherine Elsen. „Ich will zeigen, dass ich ebenso verloren bin, aber ich möchte genau deswegen gemeinsam mit anderen auf das Problem schauen und versuchen, etwas zu ändern. Dieses Verlorensein kann auch eine Chance darstellen, denn hier kommt die Kreativität mit ins Spiel, die einen Weg aus dem Chaos bahnen kann.“