Maschinenpistolen aus Ettelbrück: Waffen, die (fast) niemand wollte

Maschinenpistolen aus Ettelbrück: Waffen, die (fast) niemand wollte

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Dort, wo die Cactus-Gruppe ihre neue Filiale in Ettelbrück eröffnete und zuvor die Familie Scholer ihr größtes Monopol-Geschäft hatte, stand vor der Niederlassung der amerikanischen Firma No-Nail Boxes einst ein Gebäude der früheren Godchaux-Fabrik. Im Jahr 1952 ließ sich dort die Waffengesellschaft „Société luxembourgeoise des armes“, kurz SOLA, nieder. Eine Spurensuche.

Auffälligerweise findet man kaum Informationen über die bewegte Geschichte dieser von wenig Erfolg gekrönten Waffenproduktion. Auf Seite 2.178 im Werk „Ettelbrück, die Geschichte einer Landschaft“ von Joseph Flies werden wir aber fündig. Der Autor hält fest, dass am 2. Januar 1952 durch Akt des Notars Neumann eine anonyme luxemburgische Gesellschaft namens „Société luxembourgeoise des armes“ (SOLA) zur Herstellung von Waffen gegründet wurde. Flies schreibt weiter: „Daraufhin erwarb die Gemeinde Ettelbrück den restlichen Teil der Gebäulichkeiten der früheren Godchaux-Fabrik (am 21. Januar 1952) und ging am 13. Juni 1952 einen Vertrag mit der genannten Waffengesellschaft ein.“

Aus dem Bericht einer damaligen Kommunalratssitzung geht zum Thema SOLA Folgendes hervor: „Die Gemeinde stellt das erforderliche Terrain, die Gesellschaft die zur Fabrikation notwendigen Hallen, jedoch wird die Stadtverwaltung 3.350.000 Franken als Anleihe an Geldern vorstrecken zur Errichtung besagter Installationen; dafür wird die Gesellschaft jährlich an Annuitäten 600.000 Franken zurückzahlen. Daneben wird sie auch ein Verwaltungsgebäude errichten nach den Plänen von Architekt P. Grach.“

Was die Gründer der Firma anbelangt, finden wir auf www.industrie.lu folgenden Eintrag: „Nicolas Scholer, ‚Société Holding de participations générales‘ (Pargen) aus Luxemburg, Roger-Henri de Somzee, Industrieller aus Brüssel, Eugène Rouff, Bankdirektor aus Luxemburg, Antoine Scholer, Geschäftsmann aus Luxemburg und bekannt aus der Textilbranche, Isidore Scholer, Geschäftsfrau aus Luxemburg, und Léon Scholer, ebenfalls Geschäftsmann aus Luxemburg.“

Auf der Suche nach weiteren Informationen über die Waffenproduktion in Luxemburg finden wir gleich zwei weitere Bezeichnungen der Ettelbrücker Firma. Die Abkürzung SOLA wird an verschiedenen Stellen mehrfach mit „Société luxembourgeoise d’armes“ oder auch „Société luxembourgoise d’armement“ erklärt. Im Rahmen des Kalten Krieges der 1950er-Jahre begann die SOLA die Produktion und den Vertrieb ihrer Maschinenpistolen. Die erste „Sola“ basierte auf der englischen Maschinenpistole Sten, die im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kam. Die Ettelbrücker Waffengesellschaft hatte 200 dieser Waffen von der luxemburgischen Armee erstanden, die diese durch die Schnellfeuerwaffe der amerikanischen Firma Thompson ersetzte.

Ein deutscher Schmuggel-Spezialist

In Ettelbrück wurden die so erstandenen Maschinenpistolen zwecks erneutem Einsatz umgebaut. Dabei ging es vor allem um die Kürzung des Laufes, was sich später aber als Fehler herausstellen sollte, da die Sola dadurch zu weit streute und so an Genauigkeit verlor. Das Projekt war ein Reinfall. Auch ein Spezialist der FN aus Lüttich (FN steht für „Fabrique nationale“, damit ist die „Fabrique nationale d’armes de guerre“ aus dem belgischen Herstal gemeint) konnte den Misserfolg nicht verhindern. Die Versuche wurden eingestellt.

Die Ettelbrücker Waffengesellschaft kam nicht umhin, eine neue Maschinenpistole zu entwickeln. Pate dafür könnte die belgische Vigneron oder auch die amerikanische M3, auch „Grease-Gun“ genannt, gestanden haben. Die Firma brachte gleich drei Modelle ihrer neuen Maschinenpistole auf den Markt: die Sola Super (ab 1954), Sola légère und Mini Sola (ab 1957). Alle Teile dieser Pistolen wurde in Ettelbrück hergestellt, mit Ausnahme des Laufes, der in den Fabrikhallen der bereits erwähnten belgischen FN produziert wurde. Trotz der hohen Qualität blieben Bestellungen aus.

1958 wurde dann ein gewisser Georg Puchert auf die Sola aufmerksam. Puchert, auch „Captain Morris“ genannt, war zu der Zeit ein wahrer Fachmann in Sachen Schmuggel. Über ihn sollen auch zahlreiche Waffenlieferungen für den „Front de libération nationale“, kurz FLN, und die „Organisation de l’armée secrète“ (OAS) in Algerien gelaufen sein. Über einen Mittelsmann nahm er Kontakt mit der Firma in Luxemburg auf. Doch die luxemburgische Regierung setzte dem Ganzen schnell ein Ende, da man keine Waffen an Gegner der Franzosen liefern wollte – mit Letzteren pflegte man immerhin gute diplomatische und wirtschaftliche Kontakte.

Eine Schauspielerin names „Corinne“

Puchert bekam daraufhin eine klare Absage der Ettelbrücker Waffengesellschaft, doch man hatte die Rechnung ohne den spitzfindigen Deutschen gemacht. Wie aus dem Nichts erhielt die SOLA plötzlich eine Bestellung über 2.000 Maschinenpistolen von einer deutschen Firma, die – so sollte sich später herausstellen – allem Anschein nach von einem weiteren Waffenschmuggler namens Ernst-Wilhelm Springer kontrolliert wurde. Damit das Geschäft auch wirklich zustande kommen sollte, setzte Puchert damals eine seiner zahlreichen weiblichen Bekanntschaften ein, und zwar eine junge Schauspielerin mit dem Künstlernamen „Corinne“. Ihr Auftrag bestand darin, eine „Freundschaft“ mit einem der wichtigsten Mitarbeiter der Ettelbrücker Waffenfabrik zu knüpfen.

In nur zwei Wochen hatte die junge Frau den Qualitätsbeauftragten der SOLA so fest am Haken. Sodann wurden nicht nur Waffen, sondern auch Einzelteile nach Deutschland geliefert, die jedoch aus fadenscheinigen Gründen die Qualitätsprüfung nicht bestanden haben sollen. Dort wurden alle Transportkisten umetikettiert. Und urplötzlich waren aus den Waffen Ersatzteile für landwirtschaftliche Maschinen geworden. Unter dieser Transportbezeichnung wurden die Kisten dann auf den Weg nach Marokko und Algerien geschickt, wo sie in die Hände der Mitglieder der bereits erwähnten OAS bzw. des FLN gelangten.

Bei der Verladung einer dieser Kisten am belgischen Flughafen Melsbroek kam es eines Tages zu einem Zwischenfall. Als man die Kiste mit Casablanca als Zielort in den Laderaum einer Maschine der belgischen Fluggesellschaft Sabena hievte, fiel sie auf den Boden und zerbarst. Die belgischen, deutschen und luxemburgischen Sicherheitsbehörden wurden sofort vom Fund der geschmuggelten Sola-Pistolen in Kenntnis gesetzt.

Was dann passierte, beschrieben Michel Druart und René Smeets in „Guerres secrètes“ folgendermaßen: „Les services de sécurité luxembourgeois, prévenus à leur tour, agissent avec leur efficacité et leur discrétion coutumières auprès des dirigeants de la Société luxembourgeoise d’armes; l’affaire sera étouffée et seul le principal responsable, facilement identifié, connaîtra quelques sérieux ennuis, mais la fabrication des Sola cesse presqu’aussitôt, tarissant une des sources les plus précieuses de la Wilaya V.“

Während des Algerien-Krieges hatte der „Front de la libération nationale“ das Land in sechs Wilayas eingeteilt, die alle wiederum in Zonen aufgeteilt waren und später während des Kongresses von Soummam im August 1956 in „Mintaquas“, „Nahias“, „Kasmas“ und „Douars“ umgetauft wurden. Doch das nur am Rande. Die Regierung entzog der SOLA daraufhin alle für die Herstellung von Waffen erforderlichen Genehmigungen. Per Gerichtsbeschluss wurden die in Ettelbrück noch eingelagerten Waffen und Einzelteile beschlagnahmt und in den Hochöfen der Gießerei in Dommeldingen eingeschmolzen.

Der Waffenschmuggler Georg Puchert kam im Übrigen bei einem Attentat ums Leben: Als er am 3. März 1959 in Frankfurt den Anlasser seines Mercedes betätigte, explodierte der Wagen und ging in Flammen auf. Bereits ein paar Monate zuvor, genauer am 5. November 1958, war Amediane Aït Ahcene, der algerische Finanzdelegierte, in Bonn zwei Scharfschützen zum Opfer gefallen. Noch davor war ein weiterer Mittelsmann von Puchert in Genf erschossen worden.

Ende 1959 brachten die Betreiber der SOLA einige der Maschinen (z.B. Drehbänke und Stahlfräsen) nach Vianden in die Firma SIVI(A), die Kühlschränke herstellte. Diese Firma – unter den Gründern waren ebenfalls Mitglieder der Familie Scholer – wurde 1967 von der deutschen Kreft und 1972 von Electrolux übernommen. Nach einer kurzen, wenig erfolgreichen, aber sehr bewegten Geschichte schlossen sich die Tore der Ettelbrücker SOLA im Jahr 1960. Rund 20 Mitarbeiter standen damals dort in Lohn und Brot.

Es soll nur noch wenige Exemplare der Sola-Maschinenpistole geben, einige davon bei Sammlern in den Vereinigten Staaten. Doch auch in Luxemburg kann man noch eine dieser Waffen sehen, und zwar im Diekircher Nationalmuseum für Militärgeschichte.

Quellen:

www.industrie.lu, „Ettelbrück, die Geschichte einer Landschaft“ von Joseph Flies, „Guerres secrètes“ von Michel Druart und René Smeets, „Sola Submachine Gun“ von Jean Huon


Eine skurrile Geschichte

In seinem Buch „L’armement de la force armée luxembourgeoise 1881-1997“ gibt Vic Jaeger unter anderem folgende eigenartige Geschichte wieder: Da sich die Sola nicht verkaufte, die Bestellungen trotz Vorsprechens der Besitzer der Ettelbrücker Waffengesellschaft in zahlreichen Militär-Hauptsitzen weltweit ausblieben, soll – laut Erzählungen eines amerikanischen Oberbefehlshabers gegenüber einem luxemburgischen Offizier – „der luxemburgische Waffenfabrikant Nicolas Scholer die Unachtsamkeit zweier Kontrollposten am Pentagon in Washington D.C. ausgenutzt haben, um in die Räumlichkeiten des amerikanischen Verteidigungsministers zu gelangen“.

Er soll einen Koffer mit den Sola-Modellen mit sich geführt haben. Es soll aber nicht zur Vorstellung der Maschinenpistolen gekommen sein, stattdessen wurde der Waffenfabrikant aufgefordert, das Gebäude umgehend zu verlassen. Die beiden unachtsamen Sicherheitsleute wurden auf der Stelle entlassen.


Das Scholer-Imperium

  • 1904: Branntwein-Brennerei und Zigarren- sowie Weinhandlung in Folschette (A. Scholer)
  • 1906: Bierdepot und Lebensmittelhandel auf „Fousbann“ (Differdingen)
  • 1931: Erster „Monopol“ in Luxemburg-Stadt
  • 1932: Warenhaus „Monopol“ in Differdingen
  • 1933: Weitere Warenhäuser in Düdelingen, Bettemburg und Petingen
  • 1938: Eröffnung des Warenhauses in Esch unter dem Namen Scholer
  • 1940: Gründung der Gesellschaft „Vereinigte Kaufhäuser GmbH“ (vorher Anton Scholer)
  • 1948: Gründung der „Grands magasins Monopol S.A.“ (Verwaltungsrat: Antoine, Léon und Isidore Scholer sowie die Frau von Nicolas Scholer)
  • 1949: Gründung der Firma „Nettoyage à sec Express“ durch Nicolas Scholer
  • 1952: Gründung der Firmen „Société industrielle de Vianden“ und der „Société luxembourgeoise d’armes“ in Ettelbrück (siehe nebenstehende Textbox)
  • 1964: Die Happy-Snacks- Filialen kommen hinzu: Wimpy, Pizza Hut, Chi-Chi’s, Exki
  • 2006: Schließung der zehn „Grands magasins Monopol“-Filialen