Tom Habscheid träumt vom nationalen Titel

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Eine Woche nach der Leichtathletik-EM in Berlin tragen auch die Para-Athleten ihre Europameisterschaften in der deutschen Hauptstadt aus. Auf Edelmetall hofft dabei auch der Luxemburger Tom Habscheid, der im Diskuswerfen und Kugelstoßen an den Start gehen wird.

Von Pierrot Feltgen

Ohne Schweiß kein Preis: Das Quecksilber hat die 30-Grad-Marke bereits deutlich überschritten, als wir den Leichtathleten Tom Habscheid und seinen Trainer Fernand Heintz im Stade J.F. Kennedy in Düdelingen treffen. Zwei Wochen vor dem Saisonhöhepunkt kommt es den beiden trotz Hitzewelle nicht in den Sinn, diese Trainingseinheit ausfallen zu lassen. An der Hochsprungmatte lehnt bereits Habscheids Normalo-Prothese, geziert von Manga-Figuren aus „Dragonball“ (Son Guko, Vegeta und Boo). Seine Sportprothese, mit den Landesfarben, wirkt dabei schon dezenter.

Techniktraining ist angesagt. Zuerst geht es in den Diskusring. Acht Serien à vier Würfe. Zum Schluss will es der CAD-Athlet wissen. Er legt noch zwei Versuche drauf und holt das Maßband zur Hilfe. Als ob er es geahnt hätte: Der 33. Wurf des Abends ist gleichbedeutend mit einer Trainingsbestweite. Mehr als 47 Meter fliegt die 250 Euro teure Scheibe. Ein guter Abschluss beim Diskuswerfen, aber jetzt geht es weiter mit der Kugel.

Dafür braucht es nur einen Fußwechsel an der Prothese. Die futuristische Laufprothese kommt diesmal nicht zum Einsatz. Mehr als zwei Stunden im Stadion reichen bei diesen Wahnsinnstemperaturen. Die Form vor der EM scheint zu stimmen.

Mit Spannung kann auf die Wettbewerbe (23.8. Diskus, 26.8. Kugel) des aktuell zweifachen Weltbesten der Kategorie F63 geblickt werden. Vor diesem schweißtreibenden Training haben wir uns mit Tom Habscheid über die Szene Behindertensport unterhalten.

Tageblatt: Seit 2013 betreibst du Leistungssport mit Teilnahmen an den Paralympics in Rio, drei Weltmeisterschaften und gleich auch drei Europameisterschaften. Wie empfindest du die Welt des Parasports?
Tom Habscheid: Es ist eine komplizierte Welt. Es gibt viele Reglemente zu beachten, man muss viel auf die Prothesen aufpassen. Die meisten Para-Athleten sind gut drauf und gut gelaunt. Die wenigsten ziehen sich zurück, ganz im Gegenteil, die Athleten sind sehr offen. Die Leistungen werden aber stetig gesteigert und werden immer besser. Heute kann eigentlich noch jeder dabei sein. In 20 bis 30 Jahren wird dies eine ganz andere Liga, eine Liga für sich sein. In Zukunft wird das nur noch über Elite-Kader laufen, wie bei den Validen.

Du sprichst die Reglemente an. Kürzlich gab es dort wieder Änderungen in den Klassifizierungen. Du bist auch davon betroffen. Was ändert sich jetzt?
Die Änderungen kamen zu Beginn des Jahres zustande, da einige Leute das bestehende System unfair fanden. Auch die englische Presse bemängelte die Einteilung der Klassen. Die Kategorie F42 ist jetzt nur noch den Sportlern mit einer Behinderung im Bereich der Beine vorbehalten. Die Klassen F61 und F63, in denen ich antrete, sind für die Prothesenträger bestimmt.
Im Grunde ändert sich aber eigentlich gar nichts. Bei den Welt-Cups kommt es zu gemischten Wettkämpfen dieser drei Klassen, mit einem Klassement nach Punkten. Nur bei den Europa- und Weltmeisterschaften gibt es getrennte Wettbewerbe. Im Endeffekt trete ich gegen dieselben Gegner an wie zuvor.

Wie stellt sich das Ganze in den Medien dar?
Im paralympischen Bereich spricht man in den Medien nur von den Medaillengewinnern. Im Internet und auf der Facebook-Seite der Paralympics werde ich nicht einmal erwähnt. Mich sieht man nicht oft in diesen Nachrichten. Hier zählen nur die Ersten.

Es ist also eine elitäre Angelegenheit?
Schon. Ich hatte gute Resultate dieses Jahr, im Diskuswerfen in Italien mit über 46 Metern, wurde aber mit keiner Silbe erwähnt. Ich habe noch keine paralympische Medaille gewonnen, bin noch nicht Europa- oder Weltmeister. Ohne solche Titel existiert man, auch wenn man wie ich zu den Top-Leuten zählt, in dieser Welt nicht. Es ist also kompliziert, in diesen Medienzirkel hineinzukommen.

Und wie sieht das in Luxemburg aus?
Hier zu Hause bin ich richtig gut anerkannt. In den Medien bin ich präsent. Die Tageszeitungen berichten von meinen internationalen Teilnahmen, auch wenn es oft nur kleine Artikel sind. Verschiedene Magazine interessieren sich für mich. Aber ich mache ja auch meine eigene Werbung, über die sozialen Netzwerke. Da kriege ich gutes Feedback.

Und wie ist es unter Sportlern?
Unter Sportlern fühle ich mich weltweit anerkannt. Bei Lehrgängen lernt man andere Spitzensportler kennen. Man trifft sich in den Krafträumen und setzt Gewichte um, wie jeder andere auch. Hier zählt nur der Sportler, nicht die Behinderung.

Und im normalen Leben?
Leute, die mich nicht kennen, wollen mir aus Höflichkeit helfen. Auf der Arbeit erlebe ich manchmal solche Situationen. Aber das ist nicht schlimm.

Wie sieht dein Trainingspensum aus?
Im Winter stehen sechs bis sieben Einheiten auf dem Programm, also jeden Tag. Eigentlich reicht das auf meinem Niveau nicht aus. Im Vergleich zu normalen Sportlern müssten es 13 bis 14 wöchentliche Trainingseinheiten sein. Die verdienen dann auch ihr Geld damit. Und das ist der große Unterschied.
Mein Training ist sehr vielfältig. Es beinhaltet Diskus-, Kugel-, Technik- und mehrere Male Krafttraining, aber auch Laufen mit Sprints, Sprünge sowie Seilspringen stehen auf dem Programm. Einfach das volle Programm. Als Beispiel: Ich mache mit einem Bein einen Squad von 180 Kilos auf eine 60 Zentimeter hohe Kiste. Hätte ich zwei Beine, wäre es das Doppelte, und das ist beachtlich.

Wie kann man diesen Zeitaufwand bewältigen? Immerhin kommen da ja noch etliche Wettkämpfe hinzu.
In Absprache mit dem Sportministerium und dem jeweiligen Arbeitgeber arbeiten sowohl mein Trainer als auch ich nur 34 Stunden pro Woche. Wir können also diese sechs Stunden zum Training nutzen. Dies ist auch notwendig, um auf dem momentanen Niveau zu bleiben. Ein Ausbau dieser Freistunden wäre dennoch begrüßenswert. Die Wettkämpfe im Ausland werden durch Sponsorenbeiträge und den paralympischen Verband finanziert. Hierum brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Alles ist hier geregelt.

Hier im Land hast du keine Konkurrenten. Auch im internationalen Vergleich suchst du vergeblich nach richtigen Gegnern. Wie geht man damit um?
Es geht mir hauptsächlich um die Verbesserung der eigenen Leistung. Die Platzierung steht hinten an. Ich versuche, mich zu steigern, was Kraft und Technik anbelangt. Eigentlich tritt man gegen sich selbst an. Sehr oft. Wenn ich mich noch ein wenig verbessere, kommt ein Problem auf mich zu. Ein Problem, welches der Waliser Aled Davies, seines Zeichen Paralympic-Sieger, Welt- und Europameister, schon kennt. Er hat diese Saison noch keinen Para-Wettbewerb bestritten und sucht den Wettkampf mit den normalen Sportlern. Man braucht eine Herausforderung, ansonsten wird es langweilig.

Du suchst auch den Wettstreit mit den Validen. Besteht da nicht der Vorwurf des Techno-Dopings?
Nein, das trifft nicht auf die Werfer zu. Unsere Prothesen geben uns keinen Vorteil. Ich habe mich schon bei den nationalen Meisterschaften im Diskuswerfen versucht. 2015 stand ich als Zweiter auf dem Podest. 2016 ist mir leider der Fuß meiner Prothese abgebrochen, ein Jahr später war ich zu diesem Zeitpunkt bei der WM. Dieses Jahr musste ich wegen meiner Verletzung leider passen. Schade, denn zurzeit ist meine Form sehr gut. Indoor schaffte ich es mit der Kugel im Winter ebenfalls aufs Podest. Ich strebe den nationalen Titel an. Das wäre die Kirsche auf dem Kuchen. Dies bleibt mein Ziel.

Im Behindertensport geht es ja nicht anders zu als im normalen Elitesport. Wie sieht es aus mit Doping?
Das Problem ist, dass einige Behindertensportler Medikamente nehmen müssen gegen die Schmerzen. Es sind allerdings auch schon Sportler mit illegalen Substanzen erwischt worden. Für mich ist das aber ein No-go. Ich werde auch regelmäßig getestet. Meistens stehen die Kontrolleure morgens früh um 6 Uhr vor der Tür. Nur gut, dass meine Frau immer die Klingel hört.
Ich denke, Sportler sollen Vorbilder sein, das geht nur ohne verbotene Mittel. Ich möchte als Vorbild für meine Kinder stehen, aber auch für Leute, denen es weitaus schlechter geht als mir. Sie sollen sehen, dass man auch mit einer Behinderung etwas erreichen kann, wenn man nur will. Auch wenn es Tage ohne großartige Motivation gibt, muss man immer ein Ziel vor Augen haben.

In den letzten fünf Jahren, in denen du an Wettkämpfen teilnahmst, standest du auch immer auf der Nominierungsliste zum Sportler des Jahres. Dennoch meinen verschiedene Leute, dass Behinderte nicht in diese Auswahl gehören …
Denen würde ich vorschlagen, einmal mit mir zusammen zu trainieren, damit sie dies besser einschätzen können.

Was wären deine Wünsche für die Zukunft?
Mein größter Wunsch wäre es, Profi zu werden, wie mein Konkurrent Aled Davies. Er ist eine Ausnahme in unserem Sport und wird von British Athletics finanziert. Er braucht nur zu trainieren. Ansonsten wünsche ich mir, von Verletzungen verschont zu bleiben und nur Gas zu geben.


Steckbrief
Tom Habscheid
Geboren am 11. August 1986,
verheiratet, zwei Kinder,
arbeitet in Düdelingen im CNA.

Resultate:

2013 WM in Lyon
5. im Diskuswerfen (39,92 m)

2014 EM in Swansea
2. Diskus (41,68 m)
6. im Kugelstoßen (11,38 m)

2015 WM in Doha
4. Diskus (41,46 m)
9. Kugelstoßen (11,78 m)

2016 EM in Grosseto
2. Diskus (45,41 m)
3. Kugelstoßen (12,98 m)

2016 Paralympics in Rio
7. Kugelstoßen (13,28 m)

2017 WM in London
2. Diskus (46,83 m)
4. Kugelstoßen (13,79 m)

Aktuelle Bestweiten:
Diskus: 46,91 m
Kugel: 14,79 m

roger wohlfart
27. August 2018 - 13.42

Mittlerweile wissen wir, dass Tom Habscheid das Meisterstück gelungen ist , sowohl im Kugelstossen als auch beim Diskuswerfen, bei den Para Europameisterschaften , Silber und Bronze zu gewinnen. Das ist eine hervorragende Leistung, die nicht hoch genug einzuschätzen ist. Tom Habscheid ist nicht nur ein grosser Sportler, er ist auch ein vorbildlicher Athlet , der trotz seines Handikaps den Willen und die Disziplin aufbringt sich seinen Traum zu erfüllen. Einfach bewundernswert, was dieser junge Mann zustandebringt und leistet. Er würde es verdienen bester Sportler 2018 gekürt zu werden. Mit dieser Wahl würden die Sportjournalisten ein Zeichen setzen