Luxemburg auf der Frankfurter Buchmesse: Irgendwo zwischen warmem Bier und Fake News

Luxemburg auf der Frankfurter Buchmesse: Irgendwo zwischen warmem Bier und Fake News

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Luxemburg war nach fünf Jahren endlich wieder auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Zwischen Wahlkampf, Networking, Nation Branding und einem verwahrlosten Hotel ging es auch ein klein wenig um die Literatur. Gestern konnten Sie bereits einen Bericht von Jeff Toss sowie ein Interview mit der Koordinatorin Anina Valle lesen. Heute erwartet Sie eine Weiterführung der Beschreibung subjektiver Eindrücke dessen, was es bedeutet, als luxemburgischer Autor vor Ort zu sein.

Lesen Sie den ersten Teil der Reportage hier. 

Donnerstag. Meine erste Veranstaltung findet um 17.00 Uhr statt. Ich moderiere eine Lesung zwischen Jean Portante und Nico Helminger im Yogi-Tea-Lesezelt, in dem am Folgetag auch Slavoj Zizek tun wird, was er am besten kann: dem Publikum eine halbe Stunde lang eine Zizek-Show bieten. Im Zelt – einem multifunktionalen Gerüst, das viel eher auf dem Oktoberfest seinen Platz hätte – gibt’s Gratistee, weswegen auch ein Großteil des Publikums zum Kaffeekränzchen dort aufkreuzt.

Man liest es im Blick der gemütlich installierten Teetrinker ab: Wären da nicht die nervigen Literaten mit ihren Lesungen, könnte man sich dort auch noch in aller Ruhe unterhalten. Am frühen Morgen verfasse ich noch zwei Tageblatt-Artikel (als Schriftsteller hat man meist zwei Jobs, von denen aber nur einer ordentlich bezahlt ist) und bereite die Moderation vor – bei einer Veranstaltung, die 30 Minuten dauert, bin ich mir bewusst, wie wenig Zeit die Autoren haben werden, um aus ihren Werken vorzutragen.

Symbolischer Charakter

Am Mittag treffe ich mich mit Jean und Nico, damit wir uns die hohe Kunst der Sprintlesung im Kirmeszelt antrainieren können. Die beiden erfahrenen Autoren sind sich einig: Die Veranstaltungen haben hauptsächlich einen symbolischen Charakter, es geht mehr um die Form (man kann behaupten, dass Luxemburg vor Ort war) als um den Inhalt. Nichtsdestotrotz gelingt es uns, der Zuhörerschaft zufolge, eine gelungene Lesung inmitten des Geklirrs der Teetassen zu bieten, die Komplimente genießen wir, während wir auch schon wieder von der Bühne gefegt werden. Zwischendurch sieht man Ian De Toffoli oft hin- und herlaufen – mein Verleger hat zwischen oder während der Veranstaltungen eine Menge unterschiedlicher Treffen.

„Dank dem Büro der Literaturagentin Ulrike Ostermeyer hatte Hydre Editions eine Reihe an Verabredungen mit kleinen, unabhängigen deutschen Verlegern, aber auch mit internationalen Agenten. Es ging darum, diesen unseren ‚Foreign Rights‘-Katalog vorzustellen. Im Katalog fungieren einige unserer Werke, von denen ein Verlagshaus sich die Rechte sichern kann, um eine Übersetzung in Deutschland oder anderen Ländern zu veröffentlichen.

Erste Kontakte wurden bereits geknüpft und einigen Verlegern habe ich auch schon Exemplare der Bücher, an denen sie eventuell interessiert sind, gegeben, andere werden sich melden, wenn die sich den Katalog in Ruhe angeschaut haben. Dies war ein erster sehr wichtiger und spannender Schritt, um die luxemburgische Literatur auf internationaler Ebene dem Büchermarkt vorzustellen. Jetzt gilt es natürlich, am Ball zu bleiben.“
Am Ball bleiben konnte man dann auch am Abend im Literaturhaus, dem Ian und ich zusammen mit Freunden aus dem LCB (Literarisches Colloquium Berlin), in dem wir beide jetzt residieren (Ian mit Stipendium, ich ohne), einen Besuch abstatteten, nachdem wir die Luxemburger, die man jeden Abend in der „Hauptwache“ auffinden konnte, kurz getroffen hatten.

Zwischen einer Unmenge Kasten lauwarmen Biers herrscht eine etwas verkrampfte Entspanntheit, weil hier Nabelschau und Networking durch die Bierfahnen durchscheinen. Authentisch geht anders.Als das „Chinasky“ uns wenig später den Eintritt verweigert, wir uns in der suspekten Vodka-Bar (mit Stripperin auf der Theke und verlotterten Gestalten, die tanzen und herummachen – also doch noch Bukowski-Flair) für einen Absacker niederlassen und dort überteuerte Longdrinks, die nach Chlor schmecken, aufgetischt bekommen, werde ich brummig und rege mich, als mich jemand fragt, ob ich vorhin Thomas Melle gesehen habe und mit wem er wohl auf der Messe unterwegs sei, über die vorherrschende „People“-Mentalität einer solchen Veranstaltung auf.

Selbstvermarktung

Freitag. Der dritte Tag intensiviert die verschiedenen Vorträge, Rundtischgespräche und Lesungen. Samuel Hamen flüstert mir zu, dass, wenn man auf einer solchen Messe niemanden kenne, man auch als Autor wenig davontragen könne, es aber eben interessant sein kann, wenn man hier bereits Beziehungen geknüpft habe. Ich frage mich, wieso man als Autor mittlerweile auch wie ein Hausierer, der Staubsauger verkauft, sein eigenes Produkt beziehungsweise seine eigene Person vermarkten muss.

Stichwort Selbstvermarktung: Eines der Hauptevents des Tages ist die Verkündung der Shortlist des luxemburgischen Buchpreises, die u.a. wegen der Anwesenheit eines Kriminalromans für einige Kontroverse sorgt. Neben Jean Schoos sind auch Samuel Hamen („V wéi vreckt, w wéi Vitess“), Nico Helminger („Kuerz Chronik vum Menn Malkowitsch sengen Deeg an der Loge“), Carla Lucarelli („La disparition de Wanda B.“) und Roland Meyer („Wenn immer alles so einfach wäre“) vertreten.

Begeistert sind einige der auserwählten Autoren allerdings eher weniger, was aber auch einer Fehlinformation auf RTL geschuldet ist, hat RTL doch auf seiner Internetseite fälschlicherweise gemeint, es handele sich um einen reinen Publikumspreis. Fakt ist jedoch, dass es sowohl einen Publikumspreis für alle Kategorien als auch einen Jurypreis gibt, der die jeweils besten Bücher in den Bereichen Belletristik, Kinder- und Jugendbuch und Sachbuch auswählt.

„Selbstverständlich freut sich ein Schriftsteller, wenn er seinen Namen auf der Shortlist eines Preises findet, vorausgesetzt, der Preis taugt etwas“, meint Nico Helminger. „Das ist beim ‚Lëtzebuerger Buchpräis‘ leider nicht der Fall. Ich beanstande hiermit nicht nur, dass er kläglich dotiert ist, sondern vor allem die Tatsache, dass dabei unzählige Menschen abstimmen dürfen über Bücher, die sie gar nicht gelesen haben. Das ist absolut einmalig und völlig irre. Es wird nicht das beste Buch ausgewählt, sondern der Autor oder die Autorin mit dem größten Bekanntenkreis. Dementsprechend ist es mehr ein Stammtischpreis als ein Buchpreis.“

Quergeist  Zizek

Samuel Hamen sieht das Ganze ähnlich: „Ein Autor ist kein PR-Heini, dessen Job darin besteht, die Leute zu nötigen, für ihn zu wählen. Der Buchpreis ist aber einer solchen Logik unterworfen, weil es Autoren gibt, die auf sozialen Netzwerken so aktiv sind, dass im Endeffekt deren Fangemeinde, ganz gleich, ob diese Menschen die rezente Veröffentlichung überhaupt gelesen haben, spielentscheidend sein wird. Folglich geht es nach der Erstauswahl der Jury nicht mehr um literarische Qualität, sondern um ein quantitatives Stimmensammeln.“

Als der Missstand aufgeklärt wurde (die Kommentare der Autoren bleiben weiterhin wegen ihrer Auffassung gegenüber dem Buchmarkt und der Selbstdarstellung) und die Fake News von der RTL-Internetseite verschwunden waren, waren sich beide Autoren einig, dass ein solches Vorgehen (seit einem Jahr hat der Buchpreis diese geänderte Form angenommen) definitiv einen Fortschritt darstelle.

Zwischen zwei Veranstaltungen erzählt mir Nico Helminger von Zizeks Auftritt (den ich mir nicht ansehen konnte), der für Furore sorgte. Zu Beginn meinte die Moderatorin, Zizek, der sich auf Deutsch ausdrückte, habe nur ganz kleine Probleme mit der deutschen Sprache. Daraufhin entgegnete Zizek, zu behaupten, er habe nur sehr wenige Probleme mit der deutschen Sprache, wäre in etwa so, als würde man sagen, Hitler hätte nur ein kleines Problem mit den Juden gehabt. Problematisch bei Zizek ist eben, dass so mancher sich seine Vorlesungen und Diskussionsrunden anhört, weil er als intellektueller, versponnener Unterhalter auftritt – und nicht etwa, um seine oftmals interessanten Überlegungen zu verarbeiten.

Eine Stunde später findet ein Rundgespräch über Residenzen statt, an dem Ian De Toffoli, Nathalie Ronvaux und Thorsten Dönges vom LCB und ich selbst mitwirken – mitten in einer fast abgesperrten Halle, die von Polizisten überwacht wird, weil auf einem Stand AfD-Politiker Höcke einen Auftritt hat und man deswegen mit Tumult rechnet.

Dass dies medientechnisch ein Highlight der Messe sein soll, regt mich auf: Klar bringt es mehr Klicks, als wenn man über Literatur schreibt und sicherlich ist es wichtig, kritisch darüber zu berichten. Aber dass dann so ein großer Aufwand, ein Rummel gleich dem Auftritt eines Popstars, gemacht wird, ist dann fast wieder unfreiwillige Propaganda. Denn wie Oscar Wilde schon meinte: „Das Einzige, was schlimmer ist, als dass über einen geredet wird, ist, dass gar nicht über einen geredet wird.“

Abends finden wir uns, nachdem wir einer erschöpften Koordinatorin nach Bockenheim gefolgt sind (diesmal mit Erfolg) und dort in einer recht charmanten Kneipe feststellen, dass es in Frankfurt auch normale Bars gibt, auf einer schnöden, mondänen Party wieder, auf der lauter wichtige Verleger herumstolzieren, tanzen und sich an der Open Bar mit Riesenauswahl kräftig die Kante geben und eine prächtige Kulisse abgeben für einen mondänen Roman, den es noch zu schreiben gilt.