Landesverbände setzen Schulz unter Druck

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Kurz vor dem SPD-Parteitag haben die mächtigen Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Hessen die Parteispitze mit Bedingungen für die Koalitionsverhandlungen unter Zugzwang gesetzt. Die NRW-SPD veröffentlichte am Samstag den Entwurf für einen Antrag, den auch die Hessen-SPD inhaltlich mitträgt. Darin heißt es, dass in den drei Knackpunkten sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen, Krankenversicherung und Familiennachzug von Flüchtlingen „substanzielle Verbesserungen erzielt werden müssen“. Offen ist, ob die Parteispitze in dieser Frage auf die Länder zugehen könnte, um damit noch Skeptiker einer weiteren großen Koalition auf ihre Seite zu ziehen.

Die Spitzengremien der SPD berieten am Samstag bis in den Abend, um den Parteitag vorzubereiten. Am Samstagabend und Sonntagmorgen dürfte es hinter den Kulissen weitere Gespräche geben, um den Kurs für den Parteitag abzustecken. Aus SPD-Kreisen hieß es, die Antragskommission werde am Samstagabend und Sonntagmorgen über eine Erweiterung des Leitantrages beraten. Bisher werden darin Koalitionsverhandlungen „auf Basis der Sondierungsergebnisse und des SPD-Wahlprogramms“ empfohlen. Nun ist die Frage, ob die SPD-Führung gewisse Forderungen der großen Landesverbände übernehmen könnte, um die GroKo-Kritiker in deren Reihen zu besänftigen.

Am Sonntag entscheiden die mehr als 600 Delegierte auf dem Parteitag in Bonn über Verhandlungen mit der Union, die dann schon am Montag beginnen könnten – vier Monate nach der Bundestagswahl.

„Über Details sprechen wir noch“

Die Union hat wesentliche Nachbesserungen an den Sondierungsergebnissen ausgeschlossen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl reagierte verärgert auf die Forderungen aus der SPD. „Diese immer neuen Runden helfen nichts und niemandem“, sagte der baden-württembergische Innenminister der Funke Mediengruppe. „Über Details sprechen wir noch – aber Grundlegendes, das nicht im Sondierungspapier steht, kommt auch nicht in die Koalitionsverhandlungen.“

Auch in der SPD-Spitze wird die Forderung nach grundlegenden Änderungen am Sondierungspapier skeptisch gesehen. Fraktionschefin Andrea Nahles hatte davor gewarnt, sich „Illusionen“ zu machen. Über die SPD-Forderungen nach einer Bürgerversicherung und einer Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen sei bereits hart gerungen worden, sagte sie vor wenigen Tagen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Position der Union über Nacht wirklich auflöst.“ SPD-Chef Martin Schulz hatte am Mittwoch dagegen mehr Spielraum angedeutet und gesagt, in Koalitionsverhandlungen werde „sicher das eine oder andere noch dazukommen“.

„Neue Hürden“

Niedersachsens Innenminister und SPD-Vorstand Boris Pistorius kritisierte den Vorstoß aus NRW und Hessen. Der Antragsentwurf erschwere das Geschäft eher, „weil er neue Hürden aufbaut“, sagte er.

Die Landesverbände Hessen und Nordrhein-Westfalen stellen in Bonn zusammen 216 Delegierte und damit mehr als ein Drittel der Gesamtzahl. In dem Antragsentwurf wird die ersatzlose Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und eine erweiterte Härtefallregel für den Familiennachzug von Flüchtlingen gefordert. Außerdem solle der „Einstieg in das Ende der Zwei-Klassen-Medizin“ durch eine Angleichung der Honorarordnungen für gesetzlich und privat Versicherte erzielt werden. In dem Antragsentwurf heißt es, die Parteispitze solle einen Koalitionsvertrag aushandeln, „der diese Verbesserungen enthält“. Das klingt nach einer ganz klaren Bedingung. Über einen Koalitionsvertrag müssten am Ende die mehr als 440 000 SPD-Mitglieder abstimmen. Damit gibt es auch nach dem Parteitag und den Verhandlungen mit der Union noch eine Möglichkeit, die große Koalition zu stoppen – falls die Bedingungen nicht erfüllt werden.

Widerstand gegen GroKo

In der SPD gibt es massiven Widerstand gegen eine Neuauflage eines Bündnisses mit CDU und CSU. Die komplette Parteiprominenz wirbt aber für Verhandlungen. Schulz wies die Delegierten eindringlich auf die Tragweite ihrer Entscheidung hin: „Am Sonntag schaut nicht nur das ganze politische Deutschland nach Bonn. Sondern auch ein großer Teil Europas“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. „Ich habe keinen Zweifel, dass sich alle Delegierten ihrer Verantwortung bewusst sind.“ Auch die CDU-Chefin, Kanzlerin Angela Merkel, mahnte bei einem Besuch in Bulgarien: „Die Welt wartet nicht auf uns.“

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gab sich zuversichtlich. „Am Ende wird es grünes Licht für weitere Verhandlungen geben“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Samstag). Würde der Parteitag aber gegen den Kurs der SPD-Spitze votieren, hätte das wohl dramatische Folgen. Schulz könnte sich in dem Fall wohl kaum auf dem Chefposten der Partei halten. Die SPD-Führung wäre beschädigt. Ein weiterer Absturz im Fall einer Neuwahl würde drohen. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich, dass die Delegierten dies in Kauf nehmen. Doch absolut sicher ist sich da niemand.