Sind die „Walfer Bicherdeeg“ ein kreatives Dorffest?

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Die "Walfer Bicherdeeg" gehen in die 23. Runde Ein paar Gedanken zu dem Event.

Die „Walfer Bicherdeeg“ gehen in die 23. Runde. 62 Autoren, 46 Verlage,
25 Institutionen und Vereinigungen, zehn Buchhandlungen und 95 Verkäufer auf dem Gebrauchtbüchermarkt. Auf der Pressekonferenz zur Veranstaltung musste zudem betont werden, dass dies insgesamt über 900 laufende Meter Tische bedeute. Aber was bedeutet es noch? Ein paar Gedanken zu dem Event.

Die eigentlichen „Walfer Bicherdeeg“ finden erst am 18. und 19. November statt. Das Rahmenprogramm der traditionsreichen Veranstaltung beginnt jedoch bereits am heutigen 9. November. All denjenigen, denen das Sehen und Gesehenwerden besonders am Herzen liegen, steht also ein wahrhaftiger Marathon zwischen (unter anderem) dem neuen Kulturzentrum CAW (dessen Namen alle wie die luxemburgische Bezeichnung „Kaff“ aussprechen), den heiligen (Sport-)Hallen und dem sagenumwobenen „Festzelt“ bevor.

Das Programm erstreckt sich über etliche Seiten und wer sich ein wenig Mühe gibt, findet darunter sogar Angebote, die wirklich etwas mit dem luxemburgischen Literaturbetrieb zu tun haben. So kann man beispielsweise mit den Schriftstellern Gast Groeber und Nathalie Ronvaux diskutieren, die sich derzeit in einer Autorenresidenz in Walferdingen befinden, oder auch zahlreichen Lesungen für Groß und Klein lauschen. Egal, ob der Anspruch hoch oder niedrig ist, hier ist „für jeden was dabei“.

Neben den zuvor genannten Autoren kann man auch mit dem Illustrator Pit Wagner über seinen Beruf sprechen oder einem Gespräch zwischen Jean-Marie Biwer und dem jungen Künstler Jérôme Koch beiwohnen. Außerem bietet sich bei einer Konferenz mit dem Titel „Les bibliothèques: Sources de connaissance et d’inspiration“ die Möglichkeit, spannende Wissensorte in Luxemburg zu ergründen.

And Now for Something Completely Different

Zwischen diesen Stationen reihen sich aber auch jede Menge Programmpunkte ein, die sich mehr oder doch eher weniger schleichenden Schrittes vom eigentlichen Thema entfernen. Während Malerei und Fotografie durchaus ihren Platz im Themenkomplex finden, werden unter der Überschrift der Büchertage zusätzlich noch Sportler geehrt, Blagen geschminkt und süße kleine Kinderfüße in Ballettschuhe gequetscht. Dazu noch ein paar liebliche Klänge von Coverbandveteranen oder dem bekanntesten (nicht mehr allzu weit fahrenden) Sänger Luxemburgs. Und wie sollte es anders sein: Natürlich gibt es auch noch reichlich zu essen und zu trinken, so dass eine humanitäre Krise zumindest in dieser Gemeinde als ausgeschlossen gelten kann.

Das traute Beisammensein läuft dieses Jahr unter dem Thema „Kreativitéit – iwwert Iddien an Inspiratioun“. Nach einer eingehenden Analyse des Angebots ist man jedoch dazu geneigt, sich zu fragen, ob dem hochgehaltenen Ideenreichtum denn bei der Konzeption der Veranstaltung wirklich entsprochen wurde. Denn irgendwie wittert man hier doch ein Volksfest, das zwar nicht zufällig, aber ebenso wenig hauptsächlich von Büchern und den Geschichten dahinter gesäumt ist.

Auch der Begriff der Inspiration gibt gewisse Rätsel auf, besieht man sich die Liste der angekündigten Redner. Die Anzahl jener, die es kaum erwarten können, dass beispielsweise der allseits bekannte Szene-Kenner Guy Arendt ans Rednerpult tritt, ist wohl kaum schätzbar.

Dem Kulturministerium wurde im Übrigen bei der Pressekonferenz von der aktuellen Bürgermeisterin Joëlle Elvinger inniglich für die erste substanzielle Spritze seit dem Bestehen der „Walfer Bicherdeeg“ gedankt. Ein Schelm, wer hier eine blaue Verbindungslinie zieht. Zumindest folgt die Veranstaltung dem „Kultur für alle“-Credo Xavier Bettels, der ja kürzlich gegenüber dem Luxemburger Wort feststellte: „Kultur soll nicht elitär sein – es darf weder finanzielle noch sonstige Barrieren geben.“

Der große Dinnerabend zugunsten von „Télévie“, der dann doch schon etwas offensichtlicher aus dem thematischen Rahmen fällt, kostet ja auch nur schlappe 90 Euro. Aber wenigstens wird der gesamte Erlös gespendet. Somit kann man sich ja dann guten Gewissens vollfressen und danach, wie sich das für gute Luxemburger gehört, betrunken nach Hause fahren.

Dann gibt man liebenswürdigerweise am Folgetag seinen Mitstreitern eine größere Chance bei der „RTL-Dictée“, zu der sich Joëlle Elvinger bereits neben „Politikern und anderen Prominenten“, wie sie es selbst ausdrückte, angemeldet hat. Besser als die Herrschaften auf dem Kirchberg kann man wohl auch kaum einem potenziellen Bildungsauftrag nachkommen, hat man doch mithilfe einer extrem ausgeprägten Menschenkenntnis als pädagogisch wertvollen Preis für die wenigsten Fehler Einkaufsbons im Wert von 1.000 Euro ersonnen. Zumindest sei an dieser Stelle allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gewünscht, dass sie beim luxemburgischen Diktat nicht – wie manche im letzten Jahr – einen freudschen Lapsus à la „Jumelaasch“ statt „jumelage“ produzieren. (Von diesem Fall berichtete zumindest Yann Logelin, einer der Korrektoren.)

Nicht nur eine Randnotiz

Es geht hier keineswegs darum, interdisziplinäre Veranstaltungen zu verurteilen, ganz im Gegenteil. Das Programm erweckt nur den traurigen Eindruck, dass man in Luxemburg niemanden erreicht, wenn nicht neben dem eigentlichen Inhalt eine riesige Leuchtreklame prangt, auf der steht: „Fir Iessen a Gedrénks ass gesuergt!“ Die Tatsache, dass im Programm der einzige Teil, der den Titel „Kreative Impulse“ auch wirklich verdient, lediglich eine Seite einnimmt, verursacht einen komischen Beigeschmack. Denn bei den „Walfer Bicherdeeg“ von einer wahrlich innovativen Diskussionsplattform zu sprechen, wäre dann bei aller Güte doch etwas übertrieben.

Hat der Literaturbetrieb so wenige Probleme, dass man relativ schnell zu Brot und Spielen übergehen kann? Viele Stimmen aus der Kulturszene, zu deren Treffpunkt sich die „Walfer Bicherdeeg“ ja selbst ernennen, sprechen da eine andere Sprache, die in ihren Grundzügen beispielsweise auch in der Diskussion des „100,7 LiteraturLabo“ über den Schriftstellerberuf (vom 12.3. dieses Jahres) vernehmbar ist. Auch der zu verleihende Preis (bei dem allein schon die Zusammensetzung der reellen wie der virtuellen Jury nicht unproblematisch ist) wird die Gemüter nicht zähmen und vor allem die bestehenden Probleme nicht lösen.

Die hier nun niedergeschriebene Hinterfragung richtet sich keineswegs nur an derartige Formate, sondern auch an ein Publikum, das allzu häufig natürlich den dargebotenen Kuchen wählt, auch wenn es Brot hat.

Jeannosch
11. November 2017 - 8.04

Madame, eierlech gesot, well ech en Buch kaafen, gin ech an een Bicherbuttek.Weder well ech dann am Kaffigeroch stoen, nach Gerabbelsn an Geschwätz vun der Gastronomie em mech hun.Natierlech kann all Geschäftsmann /fraa machen wéi hien well, brauch sech awer hanno net opzereegen wenn dann den Klient bei A........... bestellt.

Laird Glenmore
10. November 2017 - 22.58

Ich kann mich nicht daran erinnern jemanden Beleidigt zu haben, für mich ist eine Bücherei da um Bücher zu kaufen oder können sie in der National Bibliothek auch Kaffee trinken und Kuchen essen ich glaube nicht. [Beitrag von der Redaktion gekürzt]

Zucchina
10. November 2017 - 21.55

Die Librairie heisst Diderich. An ech gesinn net anvierwaat een net kann e Buch mat enger Taass Kaffi oder Téi geneissen...klengkareiert Leit gin et iwwerall an dat extrem traureg. Blaiwt an Aerem Eck an drenkt Aere Beier um Oktoberfest

Clemi
10. November 2017 - 17.58

eine neue Feder im T? gratulation schon mal für diesen artikel!!

Laird Glenmore
10. November 2017 - 16.56

Anne Schaaf respekt für ihren Artikel habe selten eine ehrlichere Aussage von einer Jounalistin gelesen und zur Erheiterung bekommen wir hier in Esch/Alzette in der Librairie Diederich jetzt auch so eine Kaffe und Kuchen Lesebude, anscheinend ist Essen und Trinken wichtiger geworden als Bildung, Wo bleibt da die Kultur oder verblöden wir jetzt total.

Vapo
9. November 2017 - 15.00

Stëmmt, gudd geschriwwen !

de Philosoph
9. November 2017 - 13.53

Gudden Artikel!

Judd mat Gaardebounen
9. November 2017 - 13.20

Super Kommnetar. Hun mech freckt gelaach! Bravo!