ÖsterreichKopftuchverbot in Schulen entzweit ÖVP und Grüne, aber auch Muslime

Österreich / Kopftuchverbot in Schulen entzweit ÖVP und Grüne, aber auch Muslime
Ein Kleidungsstück, das mehr ist als ein Symbol Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

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Das islamische Kopftuch sorgt nicht nur für erste Dissonanzen in der türkis-grünen Regierung, sondern spaltet auch Muslime.

Das Kopftuch sollte in der Volksschule „überhaupt kein Thema sein“. So hatte es Carla Amina Baghajati, Leiterin des Schulamtes der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), zumindest vor zwei Jahren noch gesehen. Ihre Begründung damals: „Hier wird von der Elternseite etwas forciert, was in dieser Phase noch nicht vorgesehen ist.“

Trotzdem legte die IGGÖ vorige Woche beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde gegen das noch von der im Vorjahr zerbrochenen ÖVP-FPÖ-Regierung eingeführte Kopftuchverbot an Volksschulen ein. Die neue türkis-grüne Regierung will sogar noch einen Schritt weitergehen: Das bislang nur für Mädchen bis 10 Jahre geltende Verbot soll auf bis zu 14-Jährige ausgedehnt werden. Dies beträfe auch Mädchen, die nach islamischer Lesart mit Erreichen der Geschlechtsreife Kopftuchkandidatinnen sind.

Und während die IGGÖ bei der neuen Bundesregierung trotz grüner Beteiligung eine „feindselige Haltung den Musliminnen und Muslimen gegenüber“ ortet, denkt Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) schon über den nächsten Schritt nach: ein Kopftuchverbot auch für Lehrerinnen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stellte sich hinter die Ministerin, bekam aber sogleich von den Grünen rotes Licht: Für deren Bundessprecher und Vizekanzler Werner Kogler ist ein Kopftuchverbot auch für Lehrerinnen „nicht vorstellbar“. Von katholischer Seite wird sekundiert: Der liberale Theologe Paul Zulehner schrieb im Standard gegen „Die Kopftuchkränkung und ihre fatalen Folgen“ an. Das Verbot nennt der von katholischen Fundis oft angefeindete Priester ein „auferlegtes Rechtsdiktat“.

Liberale für Illiberale

Bei säkularen Muslimen sorgt diese Sichtweise für Verwunderung: Die auch in Österreich aktive Berliner Imamin Seyran Ates sieht Zulehner in einem „extremen Widerspruch“, weil dessen Liberalismus die Fraktion der illiberalen Muslime stützt. „Genau die, die wie Grüne und Linke für mehr Gleichberechtigung der Geschlechter kämpfen, unterstützen in einer anderen Religion die Orthodoxie“, sagt die Initiatorin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, wo sie — wegen vieler Morddrohungen unter permanentem Polizeischutz — einen säkularen Islam predigt.

In Sachen Kopftuch ist ihre Position klar: „Wie können wir als offene Zivilgesellschaft akzeptieren, dass eine Religionsgemeinschaft sagt, sobald unsere weiblichen Mitglieder geschlechtsreif werden, müssen sie sich verhüllen? Das macht die Mädchen zu Sexualobjekten.“ Abgesehen davon sei das Kopftuch „absolut nicht religiös verankert“. Denn der Islam kenne keine Symbolik, lehne Symbole sogar ab.

Die IGGÖ beteuert freilich, das Kopftuch sei freie Entscheidung der Trägerin. Das weist Ates im Gespräch mit dem Tageblatt als „Scheinargument“ zurück, „weil die Heranwachsenden in der Machtsphäre der Eltern und Familienclans sind“. Deshalb sei es „so wichtig, dass diese Mädchen wenigstens einen Raum haben, nämlich die Schule, wo sie ausprobieren können, wie es ist, nicht verhüllt zu sein“.

Diesen Schutzraum hält auch die eidgenössische Menschenrechtsaktivistin Saida Keller-Messahli für unerlässlich: „Die öffentliche Schule ist möglicherweise der einzige Ort, wo ein muslimisches Mädchen die Erfahrung von Freiheit und Gleichberechtigung machen kann. Diesen Raum gilt es vor religiösen Begehrlichkeiten zu schützen“, so die aus Tunesien stammende Mitunterzeichnerin der „Freiburger Deklaration säkularer Muslime aus Deutschland, Österreich und der Schweiz“ (2016).

„Missverstandene Toleranz“

Auch ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen hielte sie wie Ates für richtig. „Eine Lehrperson vermittelt den Kindern ein lebendiges Beispiel dafür, dass Frau und Mann gleichwertig sind, während ein Kopftuch für das Gegenteil steht, nämlich, dass die Frau dem Mann nicht ebenbürtig ist.“ An einer öffentlichen Schule habe „die Lehrperson staatliche Symbolkraft und sollte deshalb religiös neutral auftreten“. Das Vorgehen der IGGÖ gegen das bestehende Verbot offenbart für Keller-Messahli „die Verbissenheit, mit der Repräsentanten des politischen Islams kämpfen, wenn es um Mädchen und Frauen geht“. Die Klage betrachtet sie daher als „schamlosen Übergriff“. Denn die IGGÖ bestehe „mehrheitlich aus muslimischen Männern, die behaupten, für die ganze muslimische Bevölkerung Österreichs zu sprechen“, so Keller-Messahli. Tatsächlich vertrete „die IGGÖ nur eine kleine Minderheit von konservativen Muslimen“.

Auch der aus Algerien stammende Islamwissenschafter Abdel-Hakim Ourghi findet: „Religiöse Symbole haben in der Schule nichts zu suchen.“ Der Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg hat ein Buch mit dem unzweideutigen Titel „Ihr müsst kein Kopftuch tragen“ verfasst (erschienen im Claudius-Verlag, ISBN 978-3-532-62821-8). Auch er verweist darauf, dass das Kopftuch „keine religiöse Vorschrift ist, sondern eine kulturelle und gesellschaftliche Vorschrift, die männliche Herrschaft, unterstützt von Vertretern des politischen und konservativen Islam, realisieren will“.

Ourghi zum Tageblatt: „Es ist wirklich traurig: Im Iran und einigen nordafrikanischen Ländern demonstrieren Frauen gegen das Kopftuch als Symbol der Unterwerfung und gegen die Herrschaftsstrukturen der Männerwelt und hier bei uns wird im Namen einer missverstandenen Toleranz die Freiheit mit Unterdrückung verwechselt.“

Paula
19. Januar 2020 - 14.21

Guter Artikel. Abdel-Hakim Ourghi bringt es zum Schluss ganz gut auf den Punkt. @Jacques, Religionen spalten, damit bin ich noch einverstanden und doch halten ihre Vertreter irgendwie zusammen, besonders wenn es um Frauenunterdrückung und Machtverlust geht. Das Kopftuch allerdings ist nicht das „geringste Problem“. Es ist sowohl ein Symbol der Unterdrückung sowie auch ein Instrument des rückgewandten und politischen Islam (den hoffentlich niemand hier haben will) und für den benutzt man halt gerne bereits kleine Mädchen. Ich finde es auch problematisch, wenn Schülerinnen, die kein Kopftuch tragen, von verwöhnten kleinen muslimischen Jungs als Schlampen bezeichnet werden, die zudem die Familienehre nicht wahren. Kein Mensch soll für die „Ehre“ einer ganzen Familie verantwortlich sein und schon gar kein Kind. Kopftücher und das wofür sie stehen, haben in unseren Schulen nichts verloren, deshalb bin ich für ein Kopftuchverbot nicht nur bis 14 sondern bis zur letzten Klasse in den Gymnasien..

Henry Edward
19. Januar 2020 - 11.23

Ich nehme an die kleine römische Folter-Miniatur an der Wand die die Exekution eines jüdischen Kriminellen am Kreuz zeigt, wurde schon vor Jahren entfernt?

Jacques Zeyen
19. Januar 2020 - 9.01

Und jetzt ist das Kopftuch noch das geringste Problem. Religionen spalten.