Klangwelten: Slipknot können es noch, Bon Iver nicht mehr so

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Someone here wants everything

SLIPKNOT: We are not your kind

Das neue Album von Slipknot pendelt geschickt zwischen altbewährtem Thrash Metal und experimentellen Klängen. Dass dies nicht nur als clevere Verkaufsstrategie durchgeht, verdankt man einer Vielzahl starker Songs und einer intelligent strukturierten Platte.

Das rezente Narrativ um die angsteinflößenden Maskenträger aus Iowa ist ein tragisches: Nachdem Bassist Paul Gray im Mai 2010 tot aufgefunden wurde, schrieb die Band mit „5. The Gray Chapter“ (2014) ihre dunkelste Scheibe. Zeitgleich war es aber auch eine Wiedergeburt.

Denn nachdem die ersten beiden kompromisslosen Platten ungefähr so viel Melodie zeigten wie der amerikanische Präsident Subtilität, kam mit der dritten Platte („Vol. 3: The Subliminal Verses“) zwar ein kraftvolles Album mit mehr Melodie und Abwechslungsreichtum, auf dem Nachfolger „All Hope Is Gone“ (2008) wiederholte man dieses Schema jedoch bereits zu sehr.

„5. The Gray Chapter“ war düster, schwer, melodiös, hatte tolle Riffs, franste gegen Ende aber etwas zu sehr aus und ließ die aggressive Verspieltheit der ersten Platten vermissen.
Auf „We Are Not Your Kind“ soll
dies behoben werden, der Platte gelingt ein eindrucksvoller Spagat zwischen Alt und Neu und erinnert in ihrer wilden Experimentierfreudigkeit am ehesten an die „Subliminal Verses“.

Vertont werden hier bereits die nächsten Traumata – u.a. Sänger Corey Taylors Depression. Klar muss eine Metal-Band ihre Wut erzählerisch legitimieren, aufgesetzt wirkt auf dieser Platte trotzdem nichts – auch wenn man weiß, dass Slipknot mittlerweile eine sehr effiziente Marke geworden ist.

Auf die Single „All Out Life“ (2018) beruft sich zwar der Albumtitel „We Are Not Your Kind“, der Song ist jedoch nicht auf der Platte: Eine klare Aussage, will man doch so nahelegen, dass die Scheibe selbst ausreichend tolles Material hat. Und die Wette geht tatsächlich auf: weil die Songs hier fast durchgehend stark sind und das Album mit vielen elektronischen Interludes auf strukturelle Kohärenz setzt.

Die Vorabsingle „Unsainted“ ist klassischer Slipknot mit tollem Kirchenchor, die Ballade „A Liar’s Funeral“ kippt irgendwann in den Doom Metal, „Spiders“ klingt wie eine gelungene Begegnung zwischen Depeche Mode und den Queens of the Stone Age, „My Pain“ beginnt mit jazzy Klavierklängen, danach erinnert es an die atmosphärischen Experimente von Nine Inch Nails.

Daneben gibt es jede Menge Altbewährtes: „Nero Forte“, „Critical Darling“ und „Orphan“ sind effizienter Trash Metal mit melodiösem Chorus, die Verse „Everyone has something/Someone here has everything“ wird wohl im Februar in der Rockhal jeder mitbrüllen. Hier und da mag diese Formel leicht ausgereizt wirken und mit 14 Titeln ist die Platte wieder etwas zu lang geraten. Nichtsdestotrotz bietet Slipknot erneut intelligenten Mainstream-Metal und klingt auch nach 20 Jahren noch mutig. Jeff Schinker gibt 8 von 10 Punkten.


Leider dem Folk den Rücken gekehrt

Bon Iver: i,i

Nach zwei tief im Folk verwurzelten Alben und einem experimentelleren Werk mit elektronischen Elementen folgt nun Bon Ivers „Herbstplatte“ – eine unausgegorene Synthese, die nur selten überzeugt.

Gesprächsfetzen, verstörende elektronische Klänge (oder sind es verfremdete Stimmen?) und das alles ohne Rhythmus … Dann geht der erste Track „Yi“ in „iMi“ über und langsam entwickelt sich aus dem wirren Spiel der Klänge eine Art Song.

Allerdings hat Justin Vernon seine Stimme mit dem im Pop seit längerem omnipräsenten Autotune-Effekt verfremdet. Ein Stilmittel, das im seltensten Fall zu einem guten Ergebnis führt.

Auf „i,i“, dem vierten Album von Vernons Projekt Bon Iver, ist das leider nie der Fall. Der Mann, der 2007 mit dem Song „Skinny Love“ aus dem Bon-Iver-Debüt „For Emma, Forever Ago“ die Herzen Tausender im Sturm eroberte und vier Jahre später unter anderem mit „Holocene“ aus dem Album „Bon Iver“ einen weiteren Meilenstein nachlegte, ist nicht mehr der einsame, introvertierte Folker, der seine Songs in einer entlegenen Waldhütte schreibt und aufnimmt (siehe „For Emma, Forever Ago“). Heute ist er Experimentalmusiker, der den Folk leider meist weit hinter sich lässt. Das ist die eine große Enttäuschung in Bezug auf „i,i“ – und bitte, was sind das überhaupt für Titel?

Hinzu kommt, dass die ersten Minuten von „i,i“ so irritierend sind, dass so mancher Fan seiner ersten beiden Alben vielleicht vorschnell die Lust daran verlieren wird. Dabei gibt es im weiteren Verlauf noch ein paar gute Songs: „We“, der dritte Track, ist der erste versöhnliche, und „Hey, Ma“, der fünfte, der erste
richtig gute, weil er noch am ehesten an den alten Bon-Iver-Sound erinnert. Ähnlich verhält es sich mit „Faith“.

Großartig ist „Marion“, eine Nummer, in der die Akustikgitarre die musikalische Federführung hat. Abgesehen davon gibt es immer wieder ein paar schöne Momente („Salem“), aber unterm Strich bleibt festzuhalten, dass Bon Iver anno 2019 zu oft zu anders klingen und sich zu oft gegen die gängigen Songstrukturen auflehnen.Und wer eine Autotune-Allergie hat, wird sich an „i,i“ ganz sicher die Zähne ausbeißen. Das mag die Zahnfee freuen, nicht aber das Bon-Iver-Fanherz. Kai Florian Becker gibt 3 von 10 Punkten.


Der Soundtrack der Ökokalypse

King Gizzard & the Lizard Wizard:
Infest the Rats’ Nest

15 Alben in sieben Jahren, davon fünf alleine in 2017 – man darf King Gizzard guten Gewissens als die produktivste Band des letzten Jahrzehnts bezeichnen, abgesehen natürlich von Buckethead. Die Australier verzichten dabei auf Nebensächlichkeiten wie klassische Genres, sondern wandeln zwischen Psychedelic Rock, Folk, Jazz, Spoken Word und Stoner.

Nach dem im April erschienenen „Fishing for Fishies“, das in seinem psychedelischen Sound Grateful Dead und den späten Beatles seine Reverenz erwies, hat die Truppe um Stu Mackenzie mit „Infest the Rats’ Nest“ nun eine radikale Kehrtwende vollzogen – und suhlt sich im Thrash Metal.

Das Septett hat sich für dieses Album auf ein Trio reduziert und der Sound rotiert zwischen Motörhead, Black Sabbath und Metallica, selbst die gizzardtypische Mundharmonika musste der brutalen Klangästhetik weichen. Die Präzision der gespielten Riffs tritt allerdings zugunsten des vollen Fuzz-Sounds in den Hintergrund – der Stempel des Eigenen bleibt erhalten.

Thematisch sind die Weichen seit dem Vorgänger gestellt: Mackenzies Liebe zur Dystopie lässt sich mit der aktuellen Klimakrise aber auch zu schön verbinden. Der Opener „Planet B“ klingt, als hätten Greta Thunberg und ihre Mitstreiter den friedlichen Protest satt und würden sich mit Streitaxt und Morgenstern durch die Aktionärsversammlung von RWE metzeln.

Mit „Mars for the Rich“ setzt sich die Thematik fort, behandelt nun die Klassengegensätze und die Flucht der Reichen von der zerstörten Erde. Klassischeren Gizzard-Sound, wenn es so was gibt, findet man erst bei „Superbug“, das auch das stärkste Stück der Platte ist.

Der Ausflug in den Thrash Metal ist zweifelsohne gelungen und Stu Mackenzie muss sich mit seinen Gesangseinlagen auch nicht vor James Hetfield verstecken. Trotzdem ist „Infest the Rats’ Nest“ vielleicht das bislang schwächste Album der australischen Combo, weil es klanglich einfach in zu bekannten Gewässern unterwegs ist. Der experimentelle Charakter, den die Gizzheads so lieben, tritt fast völlig zurück und hinterlässt ein gutes, aber doch irgendwie fades Album. Tom Haas gibt 6 von 10 Punkten.